Existentialismus ist keine Philosophie!

– Über Pendlerbusse, Leichenwagen, Vorsteuergewinne und James Dean. –

von Timotheus Schneidegger, 01.02.2002, 12:58 Uhr (Dunkles Zeitalter)

Ich komme also von Arbeit zurück in meine kleine Studentenbude und ärgere mich darüber, daß der Spiegel nur einmal pro Woche erscheint und ich damit nur an einem Tag der Woche was zu lesen habe. Sar auf Etz meinte mal zu mir über Nachrichtenartikel: „…und wenn ich den durch habe, dann frage ich mich immer ‚Und, wie geht’s weiter?'“

Da will man was wissen und kaum weiß man was ist man immer noch nicht zufrieden. War am 11. September ja besonders schlimm, das können sich auch die Moralisten mal eingestehen.

Kein Spiegel, Zypresse kommt erst morgen und reicht eh nur für fünf Minuten, also keine Anhaltspunkte dafür zur Hand, daß es eine Welt außerhalb meines Erkennens gibt. Ich bin da etwas old skool und glaube sowieso nur Sachen, die ich schwarz auf weiß gedruckt lese, wobei ich Bilder auch durchaus gern angucke und damit schon eher zum neokonservativen Flügel des Bildungsbürgertums gehöre. Statt „Da dreht sich eine Welt!“ also nur der Krempel für meine Zwischenprüfung nebst philosophischem Hokuspokus-Geschreibsel, da man bis zum Hauptstudium ja einen Überblick über alles gewonnen haben sollte. Zu allem Überfluß hat die Woche erst begonnen und wird sich jetzt „überraschungsfrei“ bis zur erneuten Wiederholung fortsetzen.

Das ist wie „Lindenstraße“ gucken. Ob in München eine anarchistisch-syndikalistische Kommune ausgerufen wird? Wann sie den Osama wohl finden? Wie geht’s in der christdemokratischen Polit-WG weiter nachdem Weißbier-Ede ein- / aus- / zugezogen ist?

„Überraschungsfrei“, so hat der Prof mir auch meine Zwischenprüfung angekündigt.

Inzwischen überlege ich, nackt oder gar nicht hinzugehen, um die Sache etwas aufzupeppen.

Oder eine halbe Stunde lang Titelzeilen vom 12. September 2001 aufzusagen.

Meine Wut auf die Welt ist nicht die eines tyrannischen Kulturkritikers, eher die eines Hermann Hesse auf seinen holländischen Nachbarn. „Ich habe nichts gegen Menschen, nur gegen all die Leute um mich herum“, habe ich mal irgendwo gelesen, und weil das hier (zum Glück für mich) weder benotet noch wissenschaftlich gelesen wird kann ich mir das Kopfzerbrechen über die Zitatquelle mal schenken.

An einer Klo-Wand stand das jedenfalls nicht.

Im lachhaften Versuch, meine Hände über dem Waschbecken eines der sterilen Uni-Klos zu wassern, musste ich mal wieder an Simone de Beauvoir und ihren Macker Jean-Paul Sartre denken (wer von beiden wessen Macker war spielt noch keine so große Rolle).

Man merkt schon, Frühlingsgefühle beherrschen Denk- und Geschmacksorgane des Autors, doch weit gefehlt. Unweit der Pissbecken ging mir nämlich auf, daß ich überhaupt kein Interesse habe, irgendwas von Camus, Sartre oder der ganzen französischen James-Dean-Bande zu lesen. Weil mich das depressive Gequatsche von der leeren Welt und dem einsam gestrandeten Geist darin nervt. Das ist gut für schwache Phasen oder November-Sonntage, mehr aber nicht. Ich interessiere mich – jetzt kommen wir wieder zum Klo-Gedanken über Simone und Jean-Paul – erst recht nicht für die Biographien der Bourgeosie-Punker. Wenn Leute davon schwärmen, einmal mit Safranski einen Kaffee zu trinken oder Kierkegaard im Rollstuhl quer über Rügen zu schieben, dann habe ich überhaupt kein Verständnis, weil ich mich mit Camus volles Rohr zoffen würde. Der wäre mir schon vom Äußeren her unsympathisch und das würde auf Gegenseitigkeit beruhen. Bei Simone de Beauvoir hätte ich Glück, wenn ich mit intaktem Augenlicht aus dem Treffen hervorgehen würde.

Jetzt mag man zurecht fragen, was eigentlich der Punkt der ganzen Chose hier ist. Es geht jedenfalls nicht um den Affen, an den ich kürzlich dachte: Der saß vor einer ganzen Weile am Tigris und schrie plötzlich: „Scheiße, mir ist der Schwanz abgefallen! Entweder ich rubbel mir jetzt den Hintern rot und bleibe im Gebüsch hocken oder ich rasier mich, erfinde abstrakte Begriffe deren Inhalt ich hinterherjagen kann und schreibe Bücher darüber!“

Nee, der Punkt ist von dem hier, daß ich es – auch wenn ich natürlich keinen Augenblick an J-P und Simone denken würde – unglaublich finde, wie sich zwei Existentialisten aushalten können. Das fällt für mich schon in die Kategorie „Treffen sich zwei Solipsisten…“, etwa so: „Vertragen sich zwei Existentialisten…“

Oder so. –

Regeln für philosophische Disziplinen aufzustellen ist seit Nietzsche derartig out, daß man sich damit sehr schnell um seinen Ruf bringen kann. Ich habe keinen (noch!!) und Existentialismus ist auch keine Philosophie, sondern ein Lebensgefühl (wofür in diesem Text entgegen der Überschrift nicht im Geringsten argumentiert wird), zudem reglementiere ich nicht, ich stelle viel mehr fest:

  • Allen Existentialisten wird furchtbar schnell furchtbar langweilig wenn sie sich länger als zwei Tage einer Art von Alltag unterwerfen müssen und sie machen dann ein furchtbares Drama um den Sinn der Welt daraus, das sich aber hervorragend als Herbstlektüre lesen lässt.
  • Einmal pro Jahr ist Frühling, vom Sommer ganz zu schweigen.
  • Alle Existentialisten sind menschenverachtende Arschlöcher.
  • Alle Existentialisten sind Lügner und Heuchler (denn wozu schreiben, wenn man eh keinen Sinn darin sieht und niemanden mag!)
  • Alle Existentialisten sind Faultiere.

Da kann man sich jawohl mal fragen, was für eine Art von Beziehung Simone und Jean-Paul hatten! Selbst wenn sie es geschafft haben sollten, sich nicht mehr gegenseitig unendlich anzukotzen: Die werden sicherlich nicht nach dem Abwasch zusammen vorm Fernseher gesessen und einander gefragt haben: „Und wie war’s auffa Arbeit?“

Nein, die saßen vermutlich auch den ganzen Tag quarzend in ihrer Hütte und fragten sich, wann „der Russe“ kommt oder „der Ami“ oder was weiß ich was bei denen aktuell war.

Obsession mit Katastrophen, Zynismus und Überheblichkeit kombiniert mit einem Stoizismus, der in der psychohygienischen Außenwelt einfach „Lethargie“ heißt, und fertig ist der Existentialist. Der einzige Trost ist, daß es keine Hollywood-Filme über so welche geben kann.

„Kryptofaschistischer Stirner-Anarchist!“, das nenne ich mal eine schöne Bezeichnung, wobei mir das „Krypto“ am besten gefällt, denn was ich mit diesem Essay wirklich sagen wollte, bleibt zunächst rätselhaft. Daß ich etwas gesagt habe, ist zumindest ganz deutlich. Und auch wenn es keine Bilder von einstürzenden Hochhäusern sind, so hat mich oben gesagtes zumindest für eine kleine Weile vergessen lassen, was für ein Werktag es ist und in welchem Postleitzahlenbereich ich hause.

Vielleicht ging’s dir ähnlich, aber das ist mir – offen gesagt – völlig egal und ich will auch nix darüber hören. –

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