Ziel erreicht: Ein Ersti weniger

von dr faustus, 16.09.2003, 12:49 Uhr (Dunkles Zeitalter)

Es war einmal eine berühmte und alte Universität, in der seit Jahrhunderten die angesehensten unter den Angesehenen lehren, in der berühmte Streitgespräche stattfinden, mit Dozenten deren Vorlesungen in alle Welt getragen werden.

An jener Stätte der Bildung ergab es sich, daß ein schon längst ergrauter Professor seinen Platz räumte, um Platz für einen neuen, jungen Professor zu machen. Noch heute gedenkt man einer seiner ersten Vorlesungen, die ein ganzes Auditorium in seinen Bann zog. Aber nicht deshalb, weil man seinen Vortrag so gut fand (keiner erinnert sich noch der Wörter), sondern weil er es so geschickt verstand, mit geradezu genialer Rhetorik nichts zu sagen. Nach der Vorlesung sind alle Leute aufgestanden, um den „Weisen“ mit stehenden Ovationen und nicht enden wollendem Applaus zu würdigen.

Zugegeben nicht alle standen auf, in der vorletzten Reihe ganz links saß ein junger und neuer Student, der noch nie zuvor eine Vorlesung gehört hatte. Bedröppelt und von depressivem Unwissen geplagt, wagte er sich an seinen Nachbarn heran und fragte diesen, ob er denn verstanden hätte, was der Professor gesagt hat. Der Gefragte schaute ihn an, als ob er gerade geohrfeigt worden wäre. „Du bist neu hier, richtig? Dann möchte ich die mal etwas erklären: Solange du nicht habilitiert bist, wirst du hier weder etwas verstehen noch etwas erklärt bekommen. Ziel der Vorlesung war es nicht etwas zu erklären, sondern allen Anwesenden klar zu machen, daß sie nichts verstehen können.“

„Aber warum denn?“, wollte der Erstsemester wissen, „daß ergibt doch gar keinen Sinn!“

„Nun, wenn du dich hier umschaust, dir all die vornehm und intelligent gekleideten Hörer anschaust, dann glaubst du doch nicht wirklich, daß diese etwas verstanden hätten? Such dir einen, den du als besonders klug einschätzt, aus, sprich ihn an und du wirst feststellen, daß auch er nichts verstanden hat. Und ein letztes: je länger und lauter die Zuhörer klatschen, desto weniger haben sie verstanden!“

„Das verstehe ich nicht! Warum bin ich dann hier? Warum studiere ich überhaupt, wenn ich doch nichts gelehrt bekommen kann?“ Doch auf diese letzten Fragen antwortete der Gefragte nicht mehr; er stand eilig auf, lief nach vorn zum Professor und gratulierte diesem überschwenglich für den guten Vortrag.

Allein im Hörsaal sitzen blieb der neue Student, eigentlich der Ex-Student, denn er hatte in diesem Moment beschlossen, diese akademische Karriere aufzugeben und ins richtige Leben zurückzukehren. Der Professor blieb; für seine Vorträge, Vorlesungen und Seminare wurde er stets mit ausgezeichneten bis sehr guten Kritiken überhäuft, da ihn keiner je verstand.

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