Links der Woche, rechts der Welt 48/21

Weisheit oder Wahn

Maja Beckers hat bzgl. impfgegnerschaftlicher Pandemieverlängerung „den Kaffee auf“, wie man so schön sagt, und wägt in der ZEIT den Unterschied zwischen Geduld und Toleranz nicht nur in der Seuchenbekämpfung ab. Der famose Götz Eisenberg kennt sich als Gefängnispsychologe mit dem Eingesperrtsein aus und wirbt bei Telepolis dafür, den nötigen oder freiwilligen Lockdown als Chance zu nutzen, um noch einmal genau nachzulesen, was Blaise Pascal mit diesem Zitat, das inzwischen jeder kennt, meinte. (Achtung, die Lektüre kann zu Kündigung oder Scheidung führen!)

Hülfe es, wenn die Philosophen die Herrschaft übernähmen? Matthias Warkus zeigt sich in seiner Spektrum-Kolumne in Anbetracht der denkerischen Schnellschüsse prominenter Philosophiebeamter skeptisch. Apropos: Slavoj Žižek überlegt in der NZZ anhand von griechischen Ärzten, die Impfgegnern Kochsalzlösung versprachen und sie trotzdem „echt“ vakzinierten, ob es moralisch gebotene Täuschung geben kann.

Armin Nassehi derweil hat von der Corona-Krise gelernt, dass die Gesellschaft selbst etwas Krisenhaftes hat und damit ein Unbehagen produziert, dem sein in der FR rezensiertes Buch gewidmet ist.


 

Familiengeschichten

Weder Kindheit noch Hausfrauen hat es immer gegeben: Die taz stellt Evke Rulffes’ Kulturgeschichte eines weiblichen Lebensmodells vor, das die Jobs Managerin, Mutter und Muse umfasst(e). Im theorieblog gibt es eine Reihe über den Begriff der Sorge und Feline Tecklenburg argumentiert u.a. mit Emmanuel Lévinas und dem spanischen Kollektiv Precarias a la deriva dafür, Fürsorge und Verantwortung für andere nicht länger für einen falsch verstandenen Individualismus abzuwerten.

Philippe Van Parijs plädiert im Standard-Interview weiterhin für ein bedingungsloses Grundeinkommen als Voraussetzung tatsächlicher Freiheit und besserer Arbeitsbedingungen. Didier Eribons Bestseller über die Rückkehr in seine Heimatstadt Reims und die damit verbundene Konfrontation mit den Klassenunterschieden in Frankreich ist als Essaydoku verfilmt worden und die FR empfiehlt das Einschalten. (Auf in die arte-Mediathek!)

Der sonntägliche Tatort im Ersten mit Ulrich Tukur fiel ins Fachgebiet: Die taz ist hellauf begeistert vom Kommissar, der im ermordeten Obdachlosen seinen früheren Philosophie-Professor wiedererkennt, die FAZ dagegen sieht statt des im Titel stehenden Prinzips Hoffnung eher das Prinzip Palaver am Werk. Freunde Blochs und der Frankfurter Schule werden das „Prinzip Familienaufstellung“ womöglich anstrengend finden; nachzugucken in der ARD Mediathek.

 

Angstlust am Fremden

Hans Demmel hat sich ein halbes Jahr lang ausschließlich in der rechtsalternativen Filterblase bewegt und seinen Selbstversuch in einem Buch dokumentiert, das die SZ vorstellt.

Für eine Doku über Entstehung und Bedeutung des Kinofilms „Alien“ hat Alexandre O. Philippe allerhand Fachleute vor die Kamera geholt und die SZ findet das Ergebnis fast so spannend wie den Film, um den es geht:

 

Philosophisch leben

Die SZ berichtet von einer Tagung über Hannah Arendt im Literaturhaus München und die NZZ hat sich nach Irland begeben, um genau zu sein ins Atlantikdörflein Rosroe, in dem der späte Wittgenstein einige Monate lebte und arbeitete.

Alois Prinz’ Biographie der Simone de Beauvoir ist der FR etwas zu knapp geraten, taugt aber gut als Einstieg in ihr Werk, das die Themen der Gegenwart vorwegnimmt. Gisela von Wysocki schrieb einen Roman, in dessen Zentrum ihr Lehrer Adorno steht, und erzählt im Freitag-Interview aus ihrem Leben und Schreiben.

In Österreich gibt es viele seltsame Sachen, u.a. religiösen Sozialismus. Ausgewählte Schriften dessen Vordenkers Otto Bauer (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Austromarxisten) werden derzeit ediert und der Standard stellt den ersten Band vor.

 

Auf- und Abklärung

Auf Helgoland entwickelte Werner Heisenberg die Grundlagen der Quantenmechanik, weshalb Carlo Rovelli seine Interpretation der Theorie nach der Nordseeinsel benannt hat; Lenin kommt auch drin vor, trotzdem oder deswegen ist Spektrum nicht ganz zufrieden damit.

(Photo: jusuf111, pixabay.com, CC0)

Seit drei Jahren gibt es die nach Max Planck benannten institutsübergreifenden Graduiertenschulen und die FAZ hat sich „an“ derjenigen für Kognitionswissenschaften umgesehen. Anderswo geht es zurück in die Vormoderne: Die taz beschäftigt sich mit dem Antiintellektualismus der Lebensreformbewegung, die heute auf Homöopathie und Bio setzt und mit Neonazis gegen die Impfpflicht demonstriert.

 

Alles Scheiße, was tun?

Ralf Konersmann sucht in seinem Buch „Welt ohne Maß“ nach den Ursachen manischen Überkonsums, Wachstumszwangs und Optimierungswahns, was der FR zu sehr nach antimodernem Kulturpessimismus riecht. Man kann ihn ergänzen um Daniel R. Headricks Vergangenheitspessimismus: Seine lakonische Umweltgeschichte zeichnet den Menschen als immer schon verheerend und die FAZ empfiehlt sein Buch auch denjenigen, die davon nichts wissen wollen.

Im marxistischen Funke kritisiert Yola Kipcak den spielerischen Klang, den das Wort „Philosophieren“ inzwischen angenommen hat, und ruft den Ernst des dialektischen Materialismus in Erinnerung, dem es darum geht, von der Idee zur Praxis zu kommen. Also los: Wer glaubt, man müsse erst das Denken ändern, um die Gesellschaft zu ändern, hat Marx nicht verstanden, wie Rudi Netzsch bei Telepolis in Erinnerung ruft und eine kleine Geschichte dessen vorlegt, wie theoretische Gesellschaftskritik praktisch werden kann.

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