Links der Woche, rechts der Welt 46/21

Die Unordnung der Dinge sortieren

Richard J. Evans hat Verschwörungstheorien im Nationalsozialismus (wie der „jüdischen Weltverschwörung“, dem Reichstagsbrand oder Hitlers angeblicher Flucht) ein Buch gewidmet, das die taz ausgesprochen aktuell findet.

Götz Eisenberg geht bei Telepolis der Beliebtheit von Verschwörungserzählungen psychoanalytisch auf den Grund: Sie docken an durchaus reale Erfahrungen von Ausbeutung und Fremdbestimmung an, geben ihnen scheinbare Verursacher und schonen so die realen Verhältnisse. Über den Körper als durchoptimierte Hülle fürs bloße Funktionieren hat Enis Maci ein essayistisches Drama vorgelegt, das in der ZEIT vorgestellt wird.

„Wer darf wie reden?“ Die FR bringt einen Vortrag Martin Seels über Sprache, Politik und Öffentlichkeit. Da es um Identitätspolitik ohnehin schon genug Aufregung gibt, versucht Jörg Scheller sich dem Thema mit liberaler Konsensorientierung und historischer Analyse zu nähern – die ZEIT empfiehlt sein Buch. Nicht sehr zufrieden ist die SZ mit Natascha Strobls Buch über den radikalisierten Konservatismus unserer Tage, weil sie es sich mit den Guten und Bösen zu einfach mache.

Jürgen Kaube tritt in der FAZ mit Niklas Luhmann zu einer Ehrenrettung der vielgeschmähten Verwaltung an: Denn aus Luhmanns Nachlass ist nun eine Organisationssoziologie erschienen, die der Bürokratie ungeahnte Flexibilität und Verbindlichkeit zugleich zuschreibt.

 

Qualität kommt von quälen

Was treiben die jungen Leute so im Netz? Machen zum Beispiel einen Youtuber wie den „Drachenlord“ richtig fertig. Weil es geht. Velten Schäfer rät im Freitag zum näheren Verständnis dieses Falls zur Relektüre von Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft“.

Die hilft sicher auch beim Umgang mit Nutztieren: Björn Hayer plädiert in der FR für eine auch aus tierethischen Gründen dringend gebotene Transformation in Landwirtschaft und Fleischindustrie. Unter anderem um Corine Pelluchons Forderung, nichtmenschliche Wesen mit universellen Rechten auszustatten, geht es morgen bei Sein & Streit im DLF.

Die ZEIT freut sich (zu Recht) über die Neuauflage von Guido Morsellis Roman über das plötzliche Verschwinden der Menschheit. Caroline Arni erzählt in ihrem Buch fünf Jahrhunderte Frauengeschichte als Weltgeschichte anhand von zwölf Portraits, die SZ rezensiert.

„Die Weltklimakonferenz in Glasgow ist eine Katastrophe“, schreibt Arno Widmann in der FR und berichtet aus seinen in 75 Lebensjahren gesammelten Erfahrungen mit dem Prinzip Hoffnung als Notnagel der Politik. Über den Umgang mit den beängstigenden Zukunftsaussichten in Anbetracht der Klimakatastrophe unterhält sich Spektrum mit dem Psychotherapeuten Malte Klar.

 

Aus fernen Ländern

Der Fascho-Clan Oswald Mosleys bietet genug Stoff für eine Netflix-Serie und hält die Briten bis heute auf Trab: Die FAZ berichtet über einen Streit um Gelder, die die Universität Oxford aus dem Mosley-Vermögen angenommen hat.

Ebenda wird auch ein Band mit Olga Tokarczuks Essays und Reden besprochen, in dem die belarusische Nobelpreisträgerin darüber nachdenkt, wie fremd uns die Gegenwart in ihrer Allbekanntheit ist. Zu Dostojewskis 200. Geburtstag hat der Freitag ein A bis Z über den Schriftsteller vorbereitet und die NZZ rekapituliert die wechselhafte deutsche Rezeptionsgeschichte Dostojewskis.

 

Computer an

Künstliche Intelligenz und Big Data sind auch und besonders in der Klimaforschung unentbehrlich geworden, wie die FAZ über aktuelle Versuche schreibt, der Masse an immer neuen Studien mittels Automatisierung Herr zu werden. Bei Spektrum kann man einen kurzen Podcast über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die Geisteswissenschaften anhören.

(Photo: DariuszSankowski, pixabay.com, CC0)

Über das Lesen unterhalten sich Julika Griem und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5.

 

Neues von der alten Philosophie

„Walter Benjamin boomt!“, ruft der Tagesspiegel und berichtet von einer digitalen Berliner Tagung, die nach der Hoffnung und Utopie durch Kritik und der in Arbeit befindlichen kritischen Gesamtausgabe fragte. Peter Erwin Jansen beschäftigt sich mit Leben und Werk von Herbert Marcuse und Leo Löwenthal insbesondere anhand ihrer Korrespondenz; sein Buch wird bei Glanz & Elend besprochen.

David Edmonds erzählt die Geschichte des Wiener Kreises nach, der Metaphysik und Naturwissenschaft zusammenzubringen suchte und Rechtsradikalen ein Dorn im Auge war. Der Standard stellt das Buch vor. Hugh Aldersey-Williams’ Buch über den eher unbekannten Descartes-Zeitgenossen und Begründer der modernen Naturwissenschaft, Christiaan Huygens, wird bei Spektrum rezensiert.

Donatella Di Cesare wagt sich laut Freitag als eine der wenigen noch an die großen Gegenwartsfragen, und zwar in gleich zwei Büchern, die nach einem neuen Verhältnis der Philosophie zum Nationalstaat und zu Migration suchen.

Die FR rezensiert Svenja Flaßpöhlers Buch über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren. Die SZ hingegen ist beeindruckt von Franziska Schutzbachs Studie darüber, wie gut der Kapitalismus von der Ausbeutung weiblicher Sorgearbeit lebt und darum siamesischer Zwilling des Patriarchats ist.

Die taz blickt auf die neue Staffel der arte-Reihe „Streetphilosophy“, die existentielle Fragen für Partygänger auf dem Kiez aufbereiten will und das mal so, mal so hinbekommt. (arte-Mediathek) Darüber, ob man philosophisch schnelldenken kann, wenn’s drauf ankommt, denkt die NZZ nach.

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