Links der Woche, rechts der Welt 13/21

Wissenschaft ohne Grenzen

Lee Mclntyre beschreibt den kniffligen Unterschied zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft – doch Spektrum bedauert, dass sein Buch für die, die es nötig hätten, zu hoch ist. Denn gerade in der Pandemie fragen sich viele, was die Wissenschaftlerinnen eigentlich machen. Die ZEIT beschreibt mit angemessener Skepsis, wie sich Volkswirtschaft und Physik in die Corona-Debatte einbringen.

Doch nicht nur da machen sich die Wissenschaften nützlich: Im Spektrum-Podcast unterhalten sich Marc Zimmer und Mike Beckers über das Wesen des Teilchens, das zu ergründen mindestens so sehr Sache der Philosophie wie der Physik ist. Ähnliches gilt für die Triage, die nach wie vor (=in der dritten Welle) den Ethikrat und Medizinerinnen beschäftigt, wie die WELT schreibt.

Die SZ meldet die Enträtselung des Mechanismus von Antikythera, einer über 2.000 Jahre alten Maschine, deren Zweck bis neulich unklar war.

 

Identität und Streit im Kapitalismus

Mit der Frage, ob linke Identitätspolitik am gereizten Gesprächsklima dieser Tage schuld ist, beschäftigt sich Kaveh Yazdani in der taz und weist auf die Mängel in den Argumenten beider Seiten hin. Manuela Branz erinnert „linke Akademiker“ im Freitag mit persönlichen Erfahrungen daran, dass es mit der Reflexion über eigene Privilegien nicht getan ist, wenn der Begriff „Akademikerklasse“ als vorgestrig abgetan wird. Dabei hat die ZEIT einen eigenen Schwerpunkt zum Thema gesellschaftliche Klassen, nur halt hinter einer Paywall.

(Photo: Pixelpower-01, Lutz Krüger, pixabay.com, CC0)

Emilia Roig hat unterschiedliche Diskriminierungserfahrungen gemacht und beschreibt in ihrem in der FAZ rezensierten Buch „Why We Matter“ die intrikaten Machtmechanismen der Gesellschaft. Das merkliche Unbehagen der FAZ dabei rührt auch vom mitunter angespannten Verhältnis dekolonialistischer Autorinnen zum Holocaust-Gedenken – vgl. die Mbeme-Debatte letzten Jahres oder aktuell links des Rheins: Universitäre Cancel Culture oder neurechter Kampfbegriff? Leander F. Badura forscht im Freitag nach dem Ursprung des „islamo-gauchisme“, über den in Frankreich gestritten wird. Dort nahm vor 150 Jahren die Pariser Kommune ihren Lauf: Die FR empfiehlt die arte-Verfilmung einer Graphic Novel über die damaligen Ereignisse. (Bis zum 20. Mai in der arte-Mediathek.) Um die Pariser Kommune geht es auch morgen bei Sein und Streit im DLF.

 

Ausdauer und Improvisation lernen

Die Kultur leidet unter der Pandemie und kann und darf sich nicht nach der schlechten alten Normalität zurücksehnen: Lennart Laberenz schreibt im Freitag auf, welche Einrichtungen einfach ins Netz umgezogen sind, welche Bereiche auf der Strecke bleiben und wo Schließungen und Not das Neue hervorbringen.

Teseo La Marca ist Philosophie-Lehrer und wundert sich bei Telepolis, warum Resilienz kein Schulfach ist: Seit Jahrtausenden wird über den Umgang mit Einsamkeit, Langeweile und Trauer nachgedacht, Kinder und Jugendliche interessieren sich dafür, müssen aber Versmaße bei Klopstock zählen.

Giorgio Agamben hat zwei Themen und eines ist die kulturelle Verdrängung des Todes, die, wie er schwer altphilologisch in der NZZ schreibt, mit der Ausbeutung und dem Missverständnis des Bodens unter unseren Füßen zusammenhängt – hätte Agamben sich früher gemeldet, wäre der Text im aktuellen Lichtwolf zum Thema „unterirdisch“ erschienen.

 

Määädien

Halbwahrheit oder totaler Fake? Das erste ist ein ganz besonderes Diskursinstrument, das Nicola Gess literaturwissenschaftlich untersucht, und der Freitag empfiehlt ihr Buch. Es tut auch nötig, denn eine Studie zur Medienkompetenz, über die die FAZ berichtet, attestiert vor allem älteren Erwachsenen große Schwierigkeiten, Nachrichten vernünftig einzuordnen. Anhand von „Influencern“ haben Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt die nächste Eskalationsstufe der Reklame erkundet und die taz stellt ihr Buch vor. Spektrum hingegen rezensiert Erik Schillings Buch über das vergebliche Streben nach und das Inszenieren von Authentizität.

Über das Verhältnis zwischen Begehren und Ökonomie unterhalten sich Jule Govrin und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5. Was haben Boole, Maos Frau, Horst Mahler und Kylie Minogue gemeinsam? Sie alle (und noch viel mehr) kommen vor in der 6-teiligen BBC-Doku-Reihe, in der Adam Curtis die Emotions- und Machtgeschichte unserer Gegenwart ergründet:

(Wer keinen Zugriff auf die BBC hat, guckt sich das Ganze direkt bei Youtube an.)

 

Tiere wie wir

Die Massentierhaltung als Krieg gegen die Tiere zu bezeichnen, ist heikel, wie der Freitag in seiner Besprechung von Thilo Hagendorffs Buch über die politische Bedeutung von Tieren bemerkt. Helmut Höge setzt in der taz seine viehlosophische Arbeit fort: Diesmal erklärt er, was Spatzen mit Spinoza und Hitler zu tun haben. In Basel gibt es eine Volksabstimmung, um Affen Grundrechte zuzusprechen, was in der NZZ kommentiert wird.

Neues aus der Psychologie des Herdentiers: Laut SZ zeigt eine Studie, das wir uns Fehlverhalten der eigenen Gruppe und Tugendhaftigkeit der Fremdgruppe zum Vorbild nehmen. Das Herdentier ist auch Augentier und Matthias Warkus warnt in seiner Spektrum-Kolumne vor der Vernachlässigung der anderen Sinne in der Wissenschaftstradition.

 

Denker gestern und heute

Richard Dawkins hat das egoistische Gen, das Mem und den militanten Atheismus erfunden und wird nun 80 Jahre alt – die FAZ gratuliert und hier können Sie Dawkins auf Twitter folgen. Die „philosophische Autobiographie“ Dieter Henrichs wird in der FR vorgestellt – mitsamt ihres Auftrags an die Disziplin. Die SZ empfiehlt ein Hörspiel über Adornos Heimweh im Exil, zu hören etwa in der Audiothek.

Was eigentlich ist Kitsch? Warum ist etwas hässlich? Bernhard Wiens geht diesen Fragen bei Telepolis anhand der Architektur nach und findet eine Ästhetik der Bausünde.

 

Zanken wie die Kesselflickmaschinen

Über die US-Pläne, Desinformationskampagnen mit Künstlicher Intelligenz beizukommen, informiert Florian Rötzer bei Telepolis. Und wenn die Maschine Wahrheit von Unfug unterscheiden kann, lässt sich umso besser mit ihr streiten: Die ZEIT wundert sich fröhlich über KI-Spezialisten wie die Debattierclubmaschine.

Dann doch lieber analoge Streitkultur: Danger Dan von der Antilopen Gang hat einen „Track gedroppt“ (wie die jungen Leute sagen), der jedem Deutschkurs sowohl den Unterschied zwischen Konjunktiv und Indikativ vormacht als auch das Prinzip der Kunstfreiheit erklärt. Schnell gucken bevor die rechten Meldebots sich auf das Video:

(Noch mehr politisches Remmtemtem konnte man am Mittwoch bei den Querköpfen im DLF hören, wo an Kurt Tucholsky und die Goldenen Zwanziger des Kabaretts erinnert wurde.)

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