reich = ♂, schön = ♀

Mit Geld ist man schöner als ohne, aber vor allem sind die Frauen schön und die Reichen männlich. An Erklärungen für diese und andere Geschlechterunterschiede mangelt es nicht.

von Marc Hieronimus

 

„Ein Mann ist schön genug, wenn er seinem Pferde keinen Schrecken einjagt.“

– Deutsches Sprichwort

„Es fällt ja dem Durchschnittsmenschen unvergleichlich leichter, sich aus Leidenschaft für ein Weib aus dem Fenster zu stürzen, als etwa um ihretwillen ein Jahr von Kartoffeln zu leben.“

– Th. Lessing, Weib – Frau – Dame, 1910

Ein vielgelesenes Buch behauptet schon im Titel, Frauen könnten nicht einparken und Männer nicht zuhören. Der Weltbestseller von Allan und Barbara Pease von 1998 (D: 2000) ist aus heutiger Sicht eine Provokation. Überspitzt formuliert ist es ja schon unmöglich, überhaupt noch von den überholten Konzepten „Mann“ und „Frau“ zu sprechen; wenn es auch gewisse unleugbare (nicht: unkorrigierbare) körperliche Unterschiede zu geben scheint, gilt die Unterstellung angeborenen geschlechtstypischen Verhaltens als sexistisch, phallokratisch, protofaschistisch und ewiggestrig – so jedenfalls der Tenor bei den einschlägigen Wohlmeinenden. Aber die Feststellung obiger Zusammenhänge ist nicht sexistisch, sondern statistisch und offenbar neurologisch bedingt oder zumindest nachweisbar. Ebenso ist es eine wenig beachtete, aber statistisch einwandfrei nachgewiese Tatsache, dass Kriminalität männlich ist und Männer tendenziell kriminell. Fast alle Gewaltkriminalität geht auf ihr Konto, in jeder Sparte sind sie führend. Wenn Frauen bei Eigentumsdelikten nicht ganz so weit hinterherhinken, mag das wiederum an ihrem Drang bzw. Zwang zur Schönheit liegen, egal ob der nun kulturell oder biologisch begründet ist. Von Frauen begangene Ladendiebstähle betreffen meist Mode- oder Kosmetikartikel, also Waren zum Schönwerden und -bleiben, und wenn die Frau doch einmal etwas Größeres wie ein Auto oder einen hohen Geldbetrag stiehlt, macht sie das auch nicht hässlich.

Steinzeitpsyche

Eine Erklärung für die Geschlechterunterschiede ist paläopsychologisch: Wir stecken mit unserem Verhalten und Empfinden immer noch in der Altsteinzeit. Rob Beckers Broadway-Erfolgsstück und -buch „Caveman“ („Du sammeln, ich jagen.“) baut komplett auf der Beschreibung typischer Mann-Frau-Konflikte und ihrer paläolithischen Erklärung auf. „Erfolgreichstes Solostück in der Geschichte des Broadways, in 15 Sprachen übersetzt, in über 30 Ländern aufgeführt, weltweit über 8 Millionen Zuschauer“, sagt der Klappentext von 2010. Dabei ist das Buch nicht einmal komisch, ganz einfach, weil Menschen im Alter des Autors aller emanzipatorischen Entwicklungen zum Trotz das Geschilderte bis heute täglich erleben. Forscher dieser Denkrichtung erklären wie alles andere so z.B. auch das unterschiedliche Einkaufsverhalten von Männern und Frauen mit altsteinzeitlicher Prägung: Der Mann schleicht sich wortlos und sehr effizient an seine Beute heran und kauft eine Bohrmaschine oder die exakte Zusammenstellung der Artikel auf der Einkaufsliste, die Sammlerin schlendert und schaut, was die Regale heute zu bieten haben. Für Jäger ist Orientierung wichtig, darum finden sich Männer ohne Karte zurecht, Frauen müssen, während die Männer das Mammut jagen, mittels Kommunikation und Umgänglichkeit den Klan zusammenzuhalten, darum reden sie mehr. Vorausgesetzt natürlich, die Urzeit war so steinzeitlich, wie wir sie uns heute vorstellen.

Photo: jerrykimbrell10, pixabay.com, CC0

Gerade das ganz unterschiedliche Kommunikationsverhalten kann jedenfalls nicht biologisch, muss vielmehr sozial und psychologisch erklärt werden. Ebenfalls aus den 90ern stammt die Weltbestsellerreihe von John Gray – nicht „Fifty Shades of“, die nach Eva Illouz auf ihre Art auch einen Kommentar zu den Geschlechterverhältnissen liefern, sondern die Buchreihe mit Mars und Venus im Titel. Sie sieht Männer und Frauen als zwei so unterschiedliche Wesen an, dass sie eigentlich nur von zwei verschiedenen Planeten stammen können, nämlich Mars und Venus. Das ist (hoffentlich, vermutlich) nicht ernst gemeint, denn die beschriebenen Konflikte um die nahezu inkompatiblen Denk- und Handlungsweisen der XX- und XY-Chromosomler sind völlig alltäglich – wer eines der Bücher querliest, findet sich garantiert darin wieder. Ja, gerade Menschen mit langjähriger Beziehungserfahrung müssen es plausibel und durchaus auch tröstlich finden, dass die Konflikte zwischen Männern und Frauen schon seit Menschengedenken existieren, oder genauer schon länger, eben mindestens seit der Altsteinzeit.

Steinzeitkörper

Ein zweiter schwer von der Hand zu weisender Erklärungsansatz ist der biologische. Ihm zufolge liegt der Grund für die oder zumindest sehr viele Geschlechterunterschiede in den Hormonen, allen voran in Testosteron und Östrogen, die nachweislich bei Männern und Frauen signifikant anders verteilt sind. Nun, Testosteron macht aggressiv, eine künstlich herbeigeführte Senkung des Testosteronspiegels bzw. eine Vermehrung der Östrogene senken die Aggressivität. Für einschlägige Forscher wie die Peases ist unser Verhalten nahezu ausschließlich von den Hormonen bestimmt, und Männer und Frauen haben da nun einmal einen anderen Cocktail. Mehr noch, Mannweiber und Tunten, Trans- und Homosexuelle verdanken demnach ihre Eigenschaften ebenfalls den für „echte“ Männer und Frauen ungewöhnlichen Hormonzusammensetzungen und familiäre und gesellschaftliche Sozialisation spielen exakt gar keine Rolle. Sie nennen das bedenkenswerte Beispiel der zuerst in der Dominikanischen Republik dokumentierten Fälle von Mädchen, denen in der Pubertät männliche Geschlechtsteile wuchsen und die dann ohne jeden chirurgischen (oder therapeutischen) Eingriff als ganz normale Männer weiterlebten. Spinnt man den Gedanken weiter, kann man auch die von Homophoben bedauerte vermeintliche „Verschwulung“ der Gesellschaft und die in der Tat wachsende Geschlechtervielfalt –  Genderfluid, Maverique, Trans*gender, Bigender, Genderfuck, Genderflux, Polygender, Trigender, Graygender, Demigender, gender-neutral, um nur einige [!] der heute laut Louie Läugers „Gender-Kram“ (rezensiert in LW70) gängigen Genderarten zu nennen – biologisch mit den durch Umwelteinflüsse veränderten Hormonhaushalten zusammenbringen; wenn man keine Angst hat, sich die Finger zu verbrennen.

Zündstoff

Dass wir körperlich noch in der letzten Eiszeit stecken, können wir akzeptieren, weniger, dass unsere Psyche noch von damals stammt. Und wenn beides zusammenhängt? Ist jemand depressiv, erklären das Neurologen mit dem Hormonmix im Gehirn, Psychologen mit Erlebtem und Erlittenem – beide haben Recht, denn die veränderte Arbeit im Denkstübchen rührt ja vom Erlebtem her und ist ihr Ausdruck. Was wenn auch unser Beute-, Jagd- und Fortpflanzungstrieb seelisch und körperlich fortbestünde? Es könnte doch sein, dass aggressiv erzogene Männer auch einen erhöhten Testosteronspiegel haben, dieser also der körperliche Ausdruck einer ohnehin vorhandenen Aggressivität ist. Was auch immer Henne, was Ei sein mag, hier interessieren vor allem die philosophischen Implikationen der Frage. Jede Gesellschaft hat bekanntlich den intellektuellen Überbau, den sie verdient. Männliche Herrschaft ist leicht zu rechtfertigen, wenn jedermann „weiß“, dass Frauen keine Durchregiererinnen sind, weil sie biologisch, psychologisch oder warum auch immer nicht dazu geboren sind.

Die neue Sichtweise nicht bloß der „Gleichberechtigung“ (Art. 3 GG), sondern des individuellen Wahlrechts über die Geschlechtszugehörigkeit ist aber vielleicht noch perfider. Wenn Frauen (und alle anderen Geschlechter im Kontinuum von ♂ zu ♀ und darüber hinaus) exakt die gleichen Potenziale haben wie die Männer (Typ klassisch Cis), werden sie sich, nach einer Übergangsphase von gezielter Frauenförderung durch Quoten oder ähnliches, ihre Lage selbst zuschreiben müssen. Du verdienst weniger, hast weniger zu bestimmen? Warum bist du Lehrerin, Krankenschwester, Hausfrau geworden? Alle Berufe standen dir offen! Es wird sein wie in der „Demokratie“ unserer Prägung: Die Klassengegensätze bleiben bestehen, gerade weil niemand mehr vom Gesetz benachteiligt wird. Jede/r darf es schaffen. Von Können steht nichts in den Paragraphen.

Die Moden Bio und Paläo (die es vielleicht nicht zufällig auch in der Ernährung gibt) haben je für sich einen Rattenschwanz an weiteren Implikationen, bieten aber auch Erklärungsmöglichkeiten. Man denke an das Auto und all die Opfer, die wir ihm (dar)bringen (LW70). Wenn Frauen weder einparken noch sich zurechtfinden können, wundert es nicht, dass der Karren männlich konnotiert ist (und umgekehrt). Autos demonstrieren Macht, Aggression, Stärke, Reichtum, aber doch nicht etwa Schönheit, Harmonie, Versöhnung oder dergleichen. Das taten einmal Modelle früherer Zeiten, als es in der großen Breite der Typen einige Modelle ob ihres bloßen Aussehens zu Kultstatus brachten. Aber heute? Je teurer, desto agressiver. Billigere Karren sind nur weniger männlich. Kein einziges Auto hat wahrlich weibliche Züge. Wenn Frauen sie entwürfen, sähen sie anders aus. Man stelle sich die verkehrte Welt vor, in der spärlich bekleidete Männermodels weibliche Autos bewürben. Kein Wunder auch, dass Männer auch bei den Autounfällen durch aggressives Fahrverhalten fast alleine dastehen.

Ein anderer Punkt betrifft die stärkere Visualität der Männer. Frauen sind schön, weil Männer visuell veranlagt sind (oder umgekehrt), und weil Männer nun einmal auch herrschen, ja unsere Gesellschaften nach wie vor männlich geprägt sind, ist das Sichtbare wichtiger als das Emotionale und der grelle Schein des Kapitalismus anziehender als der wohlige Zusammenhalt und die Sicherheit im Sozialismus (vgl. S. 51).

Der größte Zündstoff liegt freilich in der Erklärung unseres Verhaltens über die Hormone, die in uns wirken. Können wir überhaupt Entscheidungen treffen, z.B. über Lebensgestaltung (Berufs- und Partnerwahl!), Regierungsform und -zusammensetzung? Dürfen bzw. müssen Frauen in Politik und Wirtschaft, obwohl bzw. weil sie anders sind? Was, wenn Menschen anderer Kulturkreise (z.B. Ostasien) einen anderen Hormonhaushalt haben (was de facto so ist) und folglich biologisch bedingt anders ticken und handeln – hat dann nicht der Rassismus eine wissenschaftliche Grundlage (wenn auch zum Nachteil der Aggro-Kaukasier)?

Ein anderes Früher

Zum Glück gibt es (nicht nur bei Boethius) den Trost der Philosophie. Einige wenige kluge Denker wussten, dass sich das Wesen der Frau bzw. des Mannes durchaus gewandelt hat, die beiden also offenbar nicht für ewig zementiert sind. Ganz sicher hat sich das Ansehen der Frau geändert, was Theodor Lessing in seiner wenig bekannten Schrift „Weib – Frau – Dame“ nachzeichnet. Man lasse nur die Bezeichnungen einmal auf sich wirken und sehe, welche Assoziationen sich einstellen: Weib, das ist Natur, Frische, Herrlichkeit, Ebenbürtigkeit neben dem Mann. Frau, das ist kulturelle Verfeinerung, das soziale Wesen. Bei Schiller: „Ehrt die Frauen, sie flechten und weben / himmlische Rosen ins irdische Leben“, aber beim Aufruhr „werden Weiber zu Hyänen / und treiben mit Entsetzen Scherz.“ Das Wesen mit der Bezeichnung Dame ist noch edler und steht für Hochkultur, Haltung, Keuschheit und künstliche Schönheit. Allerdings, so Lessing, sei dieses edle Wort „berlinisiert“ worden, gleich so vielen anderen aus der gleichen Kategorie. Dirne war einmal ein Kosename, bevor er Nutten bezeichnete, die Magd war eine reine junge Frau (Maria, Johanna von Orleans), bevor sie zum Mädchen für niedere Küchenarbeiten wurde, selbst Mädchen, Fräulein, Jungfrau und Frauenzimmer waren einmal sehr respektvolle Benamsungen. Schwer vorstellbar, dass sich mit dem Ansehensverlust der Anrede nicht auch das Ansehen der Bezeichneten gewandelt haben soll.

Größere Veränderungen haben sich freilich schon vor sehr viel längerer Zeit zugetragen. Schon bei Aristoteles steht der Mann für Kraft, Aufschwung, Selbstherrlichkeit, Freiheit und Stärke, das Weib für Schwäche, Gedrücktheit, Engherzigkeit und Schwere. Dieser Faden zieht sich durch bis zu Lessings Zeiten: „Fragen wir, was nach heute lebendigem Sprachgebrauch als weiblich oder männlich bezeichnet werde, dann sehen wir, daß die primitive Lehre von der geistigen und instinktiven, bewußten und unbewußten, aktiven und passiven Doppelnatur auch in uns noch so lebendig ist wie in Artistoteles oder Kant.“ Dabei ist für Lessing die Frau das intellektuellere Geschlecht. „Auf dem Gebiet der eigentlichen, strengen Erkenntnis, der Logik und Mathematik, ist ihre durchschnittliche Begabung von früh auf der des Mannes überlegen.“ Wann wurde die Frau zu dem, was ihr zugeschrieben wird, zu jener unzuverlässigen Memme, jenem „Gefäß des Teufels“ (Giordano Bruno)? […]


 

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Lichtwolf Nr. 72 (Reich und schön)

Der vollständige Text und viele weitere Essays zum Thema, werbefrei und nett illustriert, stehen in Lichtwolf Nr. 72 zum Thema Reich und schön.

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