Links der Woche, rechts der Welt 25/20

Sind wir unterwegs zu Platons Wächterstaat?“

…so fragt Jan Söffner in der NZZ, nachdem er aus der Höhle des Home Office ins Licht des Bodensees voller Touris trat. Kommen noch Carl Schmitts und Giorgio Agambens Ausnahmezustand hinzu, hat man einen weiteren Text, der irgendwie beleidigt klingt darüber, dass sich die meisten in der Pandemie an die Vorgaben von Staat und Virologie hielten. (14.06.20)

 

Staatsgewalt auf zwei Beinen

Kaum ein Beruf ist im Fernsehen so omnipräsent wie der des Polizisten. Georg Seeßlen denkt in der ZEIT über Krimis und Cop-Serien sowie ihre Geschichte und Beliebtheit nach. Das US-Kino dürfte den einsamen Sheriff, dem in feindlicher Umgebung alles erlaubt ist, die längste Zeit reflektiert haben. (15.06.20)

 

Wunderwelt der Spekulation

Steve Przybilla portraitiert für Spektrum den Exosoziologen Michael Schetsche, der uns auf den Erstkontakt mit außerirdischem Leben vorbereiten will. Der ist zwar unwahrscheinlich, aber extrem folgenreich, und selbst für die banalsten Aspekte der harmlosesten Szenarien gibt es nirgends einen Plan. (17.06.20)

 

Taufbecken unserer Moderne

Wir sind rassistisch und werden es auch noch lange bleiben, schreibt Andrea Böhm in der ZEIT. Denn unseren Wohlstand verdanken wir unserem Rassismus, dem nach langer Verdrängung aber gerade zögerlich offen ins Auge geblickt wird, wie Böhm hoffnungsvoll etwa an der Debatte um Immanuel Kant festmacht. (18.06.20)

 

Bücher

Otfried Höffe und Rüdiger Görner haben zwei höchst unterschiedliche Essays über Europa geschrieben, die in der FR vorgestellt werden. +++ Um fundierte Kapitalismuskritik, also kritische Theorie, ist es schlecht bestellt, obwohl sie nötiger ist denn je. Darüber unterhalten sich Nancy Fraser und Rahel Jaeggi in Form eines Buchs, das der Tagesspiegel bespricht. +++ Giorgio Agamben versucht mit einem neuen Buch, seine „Radikalkritik an der biopolitischen Staatsmaschine“ philosophiehistorisch zu begründen und Alternativen auszuzeigen, wie die ZEIT skeptisch schreibt. +++ Die Nikomachische Ethik ist von Dorothea Frede neu übersetzt und kommentiert worden – bzw. entrümpelt und modernisiert, wie die SZ lobt. +++ Spektrum ist begeistert von Albrecht Beutelspachers Buch mit wissenschaftshistorischen Geschichten zu den 39 prickelndsten Zahlen zwischen 0 und ∞. (Und ja, sowas ähnliches gab es auch in LW40.) +++ Das Tier der Saison ist der Fuchs, dem Katrin Schumacher und Adele Brand Bücher widmen, die die FAZ zur kombinierten Lektüre empfiehlt.

(Photo: photogeider, Thomas Geider, pixabay.com, CC0)

Radio

Im DLF kommt heute die Lange Nacht über Wolfgang Welt und morgen geht es bei Essay und Diskurs um das Vergleichen und die Konkurrenz. Sein und Streit widmet sich den Themen Rassismus und Öko-Leninismus, während Björn Vedder und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5 über die Rolle des Vaters in der modernen Familie sprechen.

 

Berichte aus der Akademie

36 außerirdische Zivilisationen soll es in der Milchstraße geben, wie es diese Woche pressemeldete; Spektrum erklärt, was von solcher Kaffeesatzleserei zu halten ist. +++ Das Ding aus dem Eis“, ein 66 Mio. Jahre altes Fossil ist, meldet die FAZ, als Dino-Ei identifiziert worden. +++ Auf die Sesshaftigkeit folgt die Großstadt und dann das Masern-Virus, das – wie Spektrum meldet – uns seit der Antike begleitet. +++ Über das Voynich-Manuskript zerbricht sich die Menschheit seit mindestens einem Jahrhundert den Kopf; die SZ stellt die jüngste Deutungstheorie des Rätseltextes vor. +++ Der Lügendetektor gilt als unzuverlässig und in der Justiz unentbehrlich – die FAZ stellt eine Studie vor, die sich mit der Ambivalenz des Testverfahrens und der zugrundeliegenden Annahmen beschäftigt. +++ Die ZEIT unterhält sich mit Hartmut Rosa, der gerade daran arbeitet, das Konzept der Energie für die Soziologie fruchtbar zu machen. +++ Einen ganzen Satz von Studiengängen mit glänzenden Zukunfts- und Jobaussichten stellt die FAZ vor – von Astrobiologie über Quantentechnologie bis Zukunftsforschung.

 

Die Unordnung der Dinge

Der Freitag unterhält sich mit Matthew Horace, der 28 Jahre lang im Polizeidienst war und die berüchtigte „Cop Culture“ der USA recht gut kennt. +++ Ebenfalls im Freitag hofft Leander Scholz, der Mensch möge in der Corona-Krise verstanden haben, dass er nicht alleine auf der Welt ist. +++ Die Klimapolitiker Reinhard Loske und Josef Göppel geben ihren Herbert-Gruhl-Preis zurück, weil die Stiftung, wie sie gegenüber der taz erklären, „eine Tarnorganisation der AfD“ geworden ist; Zeitreisende, die schon den Sommer-Lichtwolf gelesen haben werden, wundern sich darüber nicht. +++ Bald erscheint die Nullnummer der von Michel Onfray gegründeten „Front Populaire“ und die FAZ schaudert schon vor dieser antiliberalen Querfront. +++ Aus Berlin dagegen wird die Einstellung des Stadtmagazins Zitty nach 43 Jahren gemeldet.

 

Trotz Philosophie

Corona, Klimaschutz, Rassismus, Žižek, NZZ – Sie wissen ja. +++ Im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste geht es auch Statuen und Instanzen an den Kragen: Kant war Rassist, Marx auch, aber den verteidigt Elisa Nowak im Freitag gegen zutiefst bourgeoise Antisemitismus-Vorwürfe. +++ Die SZ hat sich in der Friedrich-Engels-Ausstellung umgesehen, die noch bis Ende September in der Kunsthalle Barmen voraussetzungsreich das Leben und Wirken des 200-jährigen Industriellenerben würdigt. +++ Auch Telepolis erinnert zu seinem 100. Todestag an Max Weber und stellt seine nüchterne „Entzauberung der Welt“ dem Staunen und Wundern zeitgenössischer Naturwissenschaftler gegenüber. +++ Die taz freut sich über den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Amartya Sen. +++ Jörg Schröder hat mit seinem MÄRZ-Verlag den bundesdeutschen Literaturbetrieb vor der Banalität gerettet und ist nun mit 81 Jahren verstorben. Die SZ zählt im Nachruf seine justiziablen und geschmacklosen Verdienste auf, Bdolf würdigte das MÄRZ-Portfolio bereits in LW64.

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