Links der Woche, rechts der Welt 51/19

Die Zerschlagung der Kuh

Kunstfleisch könnte Ernährung und Wirtschaft umkrempeln. Thomas Steinfeld erinnert in der SZ anlässlich einer Studie daran, wie schnell die Technik das gesamte Leben umkrempeln kann, und blickt auf die vielfältigen Folgen einer Umstellung auf Hackfleisch, das im Labor gezüchtet wurde. (13.12.19) [Um Kunstfleisch u.a. in der Sprachphilosophie geht es auch in LW58 zum Thema „Wurst“.]

 

auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“

„Klimaschutz oder Freiheit“, wird gern von interessierten Kreisen skandiert, weshalb Carl Christian Rheinländer bei Telepolis auf rhetorische Vermeidungsstrategien schaut und sich klarstellende Wortmeldungen von Rechtsphilosophinnen und Verfassungsjuristen wünscht: Gelten die Grundrechte auch für künftige Menschen? (14.12.19)

 

Arbeit kann ihre Gesundheit gefährden

Die Angst vor Arbeitslosigkeit kann ähnlich belastend sein wie der Jobverlust selbst. Fanny Jimenez sichtet für Spektrum einige Ergebnisse der Arbeitspsychologie bezüglich psychischer Gesundheitsgefährdung in der und durch die moderne Berufswelt. (14.12.19)

 

Die Frau des Sozialdemokraten

Für die NZZ unterhält sich René Scheu mit der Mormonin und Philosophin Mary Rorty, die im Silicon Valley lebt und mit einem berühmten Denker verheiratet war. Es geht u.a. um das Interesse von IT-Konzernen an Geisteswissenschaften und die Ironie in Zeiten rechtspopulistischer Triumphe. (17.12.19)

 

Die Utopie ist undenkbar, aber notwendig

Rainer Schreiber nimmt bei Telepolis den Brand einer Spielwarenfabrik in Neu-Delhi zum Anlass, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Arbeitsverhältnisse im globalen Kapitalismus zu blicken. Die Ausbeutung von Lohnabhängigen hat sich demnach verbessert im Sinne von „erstaunlich differenziert“. (18.12.19)

 

Danke für nichts, Facebook

Zum Auftakt einer ZEIT-Essayreihe über die 2010er Jahre blickt Roberto Simanowski auf die sozialen Netzwerke, deren goldenes Zeitalter vorbei sein könnte, nun da jeder verstanden haben sollte, dass es den Betreibern um nichts anderes als Profit geht – auch um den Preis sozialer und epistemischer Verheerungen. (20.12.19)

(Photo: NextStarTech, Tucumcari, NM, pixabay.com, CC0)

Bücher

Timothy Garton Ashs Essayband über die Rolle der Intellektuellen im Ostblock und die sozialpsychologischen Folgen des diktatorischen Sozialismus wird neu aufgelegt, worüber sich die taz freut. +++ Die Unordnung der Dinge war auch vor 100 Jahren sehr groß: Wolfgang Martynkewicz erinnert an intellektuelle Versuche, 1920 die neue Unübersichtlichkeit in den Griff zu kriegen, und die NZZ rezensiert sein Buch. +++ Lee Smolin hält die Quantentheorie für mit dem physikalischen Realismus unvereinbar und darum für falsch, wie er in seinem Buch darstellt, das von der FAZ besprochen wird. +++ Physik und Philosophie gibt es auch in Carlo Rovellis Buch über Anaximander als Begründer der Wissenschaft, das ebenfalls in die FAZ vorgestellt wird. +++ Ken Krimsteins Graphic Novel „Die drei Leben der Hannah Arendt“ gefällt der taz, weil sein „antiautoritärer Witz“ jede heroenhafte Überhöhung vermeidet, während die FR mit diesem skizzenhaften Stil gar nichts anfangen kann. +++ Grégoire Chamayou zeichnet in seinem neuen Buch die Genealogie des autoritären Liberalismus nach und die FAZ empfiehlt es allen, die schon Foucault, Deleuze und Guattari gelesen haben. +++ Christoph Butterwegge ist Armutsforscher und beschreibt in seinem neuen Buch, das der Freitag vorstellt, wie der Klassenkampf von oben und das Schweigen darüber seit 1949 Regierungsprogramm ist. +++ Der Standard weist kurz und knapp auf Robert Misiks Buch über „Die falschen Freunde der einfachen Leute“ hin. +++ Antje Schrupp hat einen Essay über Körper, Geschlecht und Politik vorgelegt, den die taz bespricht und der allen empfohlen sei, die nicht „Schwangerwerdenkönnen“ (so der Titel). +++ Wolfram Schütte hat „Die Wunderkammer der Deutschen Sprache“ noch nicht ganz durch, ist von dem Buch aber so begeistert, dass er es bei Glanz & Elend schnell noch als Geschenk empfehlen muss.

 

Radio

Im DLF kommt heute Abend die Lange Nacht über Theodor Fontane und morgen bei Essay und Diskurs der dritte Teil von Mathias Greffraths kritischem Jahresrückblick. Bei Sein und Streit geht es u.a. um Erich Fromm und Claude Lévi-Strauss und im Philosophischen Radio des WDR 5 um Klimaethik. Apropos: Schämen Sie sich, wider besseren Wissens ihre Geschenke bei Amazon bestellt zu haben? Ludger Heidbrink erklärt in einem ZEIT-Podcast, woher das kommt und warum es nicht nötig tut.

 

Die Unordnung der Dinge

Über das Dilemma, Vollidioten in der Demokratie mitmachen lassen zu müssen, hat sich Rudolf Stichweh soziologische und politikwissenschaftliche Gedanken gemacht, die von der FAZ nacherzählt werden. +++ Telepolis berichtet über eine Studie, wonach die Langeweile unter US-Jugendlichen trotz oder wegen allerhand Daddelkram um sich greift. +++ Der Tagesspiegel portraitiert die Astronomin Anna Ijjas, die der gängigen Urknalltheorie das Modell eines zyklischen Universums entgegenstellt. +++ Die Verarbeitung von Sehreizen im Gehirn könnte komplizierter ablaufen als bisher gedacht, wie eine Studie nahelegt, über die Spektrum berichtet. +++ Adrian Lobe beschäftigt sich in der SZ mit antizipativer Politik, die dank Algorithmen und Big Data Probleme (wie z.B. demokratische Mitsprache) löst, bevor sie auftreten. +++ Wie weit darf man gehen, um die Welt zu verbessern? Darauf antwortet Thomas Gebauer im Freitag-Interview und erklärt, warum „effektiver Altruismus“ und Wohltätigkeit Quatsch sind.

 

Berichte aus der Akademie

Die Lehrpläne platzen aus allen Nähten und dabei fällt Erdkunde unter den Tisch – die FAZ kommentiert, was mit dem Fach verloren ginge. +++ Facebook sponsert das neue „Institute for Ethics in Artificial Intelligence“ an der TU München und der Tagesspiegel hat einige Zweifel, ob die Freiheit der Forschung wirklich noch gegeben ist. +++ An der Münchner LMU dagegen wird der Sonderforschungsbereich „Vigilanzkulturen“ eröffnet; Arndt Brendecke erklärt im SZ-Interview, warum man sich interdisziplinär mit Wachsamkeit beschäftigen muss. +++ Das BILDblog ist wachsam gegenüber deutschsprachigen Medien und blickt zum Jahresende in einer achtteiligen Serie auf kognitive Verzerrungen und andere Umstände, die Fehler begünstigen – lesenswert für alle im Journalismus, aber auch in der Wissenschaft! +++ Mächtig enttäuscht zeigt sich die FAZ vom Niveau einer Tagung am Potsdamer Einstein-Forum über Jacob Taubes und Carl Schmitt. +++ Die Volkshochschulen feierten dieses Jahr ihr 100-jähriges Jubiläum und Lars Spannagel hat für den Tagesspiegel versucht, in einer Woche so viele Kurse wie möglich zu besuchen.

 

Jahresendfestivitäten

In diesen Tagen strebt allerhand Volk nach Hause und/oder zu den Altvorderen zwecks Weihnachtszerfeierung. Der Freitag hat zu diesem Anlass ein A bis Z zum Thema „Heimreise“ zusammengestellt. Kaum angekommen, ist mancher vielleicht mit dem Dilemma konfrontiert, der klimabewussteren Verwandt- und Bekanntschaft etwas schenken zu wollen, sich aber nicht zu trauen – womit sich die ZEIT auseinandersetzt. Über das Schenken an und für sich (und für den Eigennutz) denkt auch Matthias Warkus in seiner Spektrum-Kolumne nach. Patrizia Hausheer und Vanessa Sonder debattieren in ihrer philosophischen NZZ-Kolumne über das Neue im Begriff des „neuen Jahres“.

 

Trotz Philosophie

Daniel Zamora und Mitchell Dean erklären im Freitag-Interview, wie Foucault mit seinem Begriff der Gouvernementalität zu einem neoliberalen Vordenker wurde. +++ Der neue Lichtwolf zum Thema „Riten und Gebräuche“ ist da und als Heft sowie E-Book erhältlich. Überschattet wird die neue Winterausgabe vom Tod eines geschätzten Kollegen. Wir wünschen Ihnen schöne Feiertage – trotz Heft, trotz Sterblichkeit, trotz Philosophie.

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