Links der Woche, rechts der Welt 13/19

Ist das noch oder schon ein Mensch?

Mit Gentechnik, Biopolitik und der Neuerfindung des Menschen im Labor befasst sich Joachim Müller-Jung in der FAZ anlässlich eines Aufrufs zu einem Moratorium, der von der Sorge geprägt ist, dem Menschen könne sein Menschsein abhanden kommen – als ob er dessen je gewiss gewesen wäre. (22.03.19)

 

Ein Loblied der Schreibmaschine

Felix Philipp Ingold sehnt sich in der NZZ nach den entschleunigten Zeiten zurück, da man (bzw. die ansehnliche Vorzimmerdame) noch mit der Schreibmaschine Texte zu Papier brachte, die im Gegensatz zum Bleistift völlig zur Antiquität geworden ist. Ingold rekapituliert, was mit ihr verloren ist. (24.03.19) [Leserinnen des hiesigen Weltmagazins wissen freilich, wie wichtig die Schreibmaschine dem Lichtwolf ist.]

 

Toxisch und fragil zugleich

Nils Markwardt denkt im Freitag über die Reproduktion traditioneller Männlichkeit durch Hollywood-Filme nach – und über die hysterischen Abwehrreaktionen gegen alle Versuche, das selbstzerstörerische Ideal zu entgiften und an die komplexe Realität anzupassen. (25.03.19)

 

Durchlauferhitzer für Weltanschauungen

Was sind das für Intellektuelle, die im heutigen Neo-Irrationalismus noch die Debatten bestimmen, fragt Simon Ingold in der NZZ und stellt fest: Die sind alle bei Youtube und Twitter, im „intellektuellen Darknet“, und haben von den postintellektuellen Stars aus den USA gelernt, wie man auffällt. (27.03.19)

 

Die grandiose Mimose

Verursacht zu viel oder zu wenig elterliche Aufmerksamkeit eine narzisstische Persönlichkeitsstörung? Dem geht Annemarie Huiberts bei Spektrum nach und stellt den Stand der Erforschung von Selbstwertgefühlen und von instabilen Identitäten dar, die seit den 1980ern anscheinend häufiger werden. (28.03.19)

 

Pan ruft den Weltbürger

Greta Thunberg verlangt von den Eliten, angesichts der Klimakatastrophe in Panik zu geraten, und erinnert damit Stéphane Hessels Losung „Empört euch!“. Harald Seubert legt in der FR einen philosophiesatten Text darüber vor, was das über den Zustand von Politik und Bürgerlichkeit verrät. (29.03.19)

(Photo: NeuPaddy, Patrick Neufelder, pixabay.com, CC0)

Bücher

Die Leipziger Buchmesse ist vorbei und die Verlage haben sich für ihr alljährliches Schaulaufen wieder richtig ins Zeug gelegt… +++ Es heißt nicht umsonst German Angst: Die ZEIT stellt das Buch des Historikers Frank Biess über den Umgang der Westdeutschen mit ihren vielfältigen Ängsten seit 1945 vor. +++ Der Tagesspiegel ist ganz begeistert von Lothar Müller erzählendem Essay, der sich Sigmund Freud über seine Alltagsgegenstände annähert. +++ Auch bei Glanz & Elend wird Francis Fukuyamas Plädoyer für eine an Einheit und Würde orientierte Demokratie besprochen. +++ Dirk Baecker beschäftigt sich in der SZ ausführlich mit Werner Plumpes wirtschaftshistorischer Ehrenrettung des Kapitalismus als erfolgreiche Massenkultur. +++ Paul Morland hat ein Buch über die bisherige demographische Entwicklung der Weltbevölkerung und ihre extrapolierte Zukunft geschrieben, das bei Spektrum rezensiert wird. +++ Timo Rieg empfiehlt in seinem Buch die aleatorische Demokratie, in der ausgeloste Bürgerinnen die Gesetze machen; Robert Jende zeigt sich in seinem Hypotheses-Blog fasziniert von dieser Utopie. +++ Soziale Ungleichheit macht Gesellschaften instabil, weshalb Paul Collier für einen sozialen Kapitalismus als Gegenmittel plädiert; bei Glanz & Elend wird sein Buch vorgestellt. +++ Katrin Hörnlein fragt in der ZEIT anlässlich nachgerade panischer Leseförderungsversuche: „Wozu brauchen Kinder noch Bücher?“

 

Radio

Über Not und Möglichkeiten der Selbstoptimierung unterhalten sich Jörg Scheller und Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5. Der DLF gratuliert Volker Schlöndorff zum 80. Geburtstag heute Abend mit einer langen Nacht über Leben und Werk des Regisseurs. Auf dem Kölner Kongress 2019 sprach Richard Sennett über den Nutzen der Öffentlichkeit, was morgen bei Essay und Diskurs nachzuhören ist.

 

Aus den Wissenschaften

Die Uni Hamburg wurde vor 100 Jahren gegründet und der Tagesspiegel blickt zum Jubiläum auf die interessante Geschichte dieser jungen Hochschule. +++ An der Uni Passau wiederum herrscht vor der anstehenden Präsidentenwahl dicke Luft um die autoritär-neoliberale Amtsinhaberin, wie die SZ berichtet. +++ Eine Reihe von Wissenschaftlern wehrt sich in der FAZ gegen drohende Kürzungen im Etat des Bundesministeriums für Bildung. +++ Oliver Czulo spießt in seinem Hypotheses-Blog die Schludrigkeit von Sprachwahrern auf, die sich über den Superlativ „einzigste“ mokieren. +++ Nicht einmal Geisteswissenschaftler können noch einfach so schöne Literatur lesen, wie die FAZ beklagt.

 

Die Unordnung der Dinge

Plötzlich sind alle Hipster: Telepolis stellt ein mathematisches Modell des dialektischen Verhältnissses von Nonkonformismus und Mainstream vor. +++ Michael Blume beschäftigt sich professionell mit Verschwörungsglauben und bekommt darum eine Menge Post; in seinem Scilogs versammelt er einige erstaunliche Spam-Mails aus seinem Metier. +++ Alexander Unzicker denkt bei Telepolis weiter über den Begriff „Verschwörungstheorie“ nach, der viel zu oft zur Diffamierung kritischen Denkens eingesetzt werde. +++ Im Standard warnt Daniela Ingruber davor, die freitäglichen Schülerproteste für mehr Klimaschutz zu belächeln, und Franz Alt kommentiert bei Telepolis die klimapolitische Ignoranz des deutschen Verkehrsministers Scheuer. +++ Mit dem antiphilosophischen Lob des gesunden Menschenverstands, wie es Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini vertritt, befasst sich die NZZ. +++ Damit der Mensch nicht zum Haustier Künstlicher Intelligenzen verkommt, muss er selbst zur Maschine werden – so das Credo des Transhumanismus, mit dem sich der Standard beschäftigt. +++ Autofahrer sind Mörder: Peter Nowak kommentiert bei Telepolis cum ira et studio ein Berliner Gerichtsurteil, Automobilpropaganda und toxische Männlichkeit mit zu viel PS.

 

Trotz Philosophie

Die aristotelischen Syllogismen sind in Logik und Rhetorik nach wie vor das Maß der Dinge, aber schwer zu kapieren. Vielleicht hilft Josef Honerkamps Darstellung in den Scilogs weiter. +++ Zu seinem 100. Geburtstag portraitiert die FAZ den Moralphilosophen Richard Mervyn Hare, der einiges zum modernen Konsequentialismus beitrug. +++ „Der Wegweiser geht auch nicht den Weg, den er weist“: Die SZ fragt, ob Ethikerinnen und Moralphilosophen bessere Menschen sind. +++ Matthias Warkus fragt sich in seiner Spektrum-Kolumne dagegen, ob an Platons Kritik der Schriftsprache nicht doch etwas dran ist.

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