Links der Woche, rechts der Welt 01/19

Das kurzgeschlossene Gehirn

Ein kulturelles Relikt von 1968 ist LSD, dass sich nach wie vor bemerkenswerter Beliebtheit erfreut, wie Joachim Retzbach bei Spektrum im ersten Teil einer Reihe über Halluzinogene schreibt und die Entdeckung, Wirkung und Risiken der Droge darstellt. (29.12.18)

 

Legal, illegal, surreal

Bernhard Wiens beschreibt bei Telepolis den Einfluss der Situationistischen Internationale auf die Studentenrevolten von 1968 gegen die Spektakelgesellschaften in Frankreich und Deutschland und darüber hinaus: die Kunst auf die Straße, Aktion, Auto und brennende Kaufhäuser, yeah! (30.12.18)

 

Ausblick auf künftige Geschäftsjahre

Die ZEIT-Redakteure Christian Spiller und Steffen Dobbert diskutieren zum Jahresende die Frage, ob die Welt wirklich besser wird. Der Optimist Dobbert freut sich, Spiller dagegen denkt mit Grausen an die planetare Katastrophe, die unser Wohlstand nach sich ziehen wird. (30.12.18)

 

Das – ist – suuuper!

Im Tagesspiegel erklärt Kerstin Decker anhand eigener Konsumerfahrungen der Wendezeit, was Nietzsche mit dem Begriff „Supermarkt“ zu tun hat: Zarathustras Übermensch kam via US-Comics als Superman über die Welt, die sich fortan mit dem knackigen Präfix aus ihrer Erniedrigung zu erhöhen sucht. (31.12.18)

 

Kants Kunst der Erziehung

Immanuel Kant war auch ein großer Reformpädagoge, wie Otfried Höffe in der NZZ schreibt und das mit Kants schlechten Erfahrungen in der Penne erklärt. Die Befähigung, sich des eigenen Verstands zu bedienen, wird nach Kant in vier Schritten erreicht, die trotz mancher Eigenwilligkeit bis heute den pädagogischen Grundtakt in Demokratien vorgeben (sollten). (31.12.18)

 

Personenbeförderungsschein nicht vergessen

Für manchen hier längst zu spät, verfasst Winfried Degen bei Telepolis einen langen Brief an einen jungen Philosophen, „um das Schlimmste zu verhindern“: Er solle sich vor dem Geschwätz und den antiken Vordenkern hüten und seine kognitiv-sprachlichen Werkzeuge und -stoffe pflegen, und zwar mit Logik, in der Degen einen Grundkurs gibt. (31.12.18)

 

Hurra, wir verblöden! (Oder?)

Der durchschnittliche IQ wuchs über Jahrzehnte kontinuierlich an und scheint nun zu stagnieren. Theodor Schaarschmidt fasst bei Spektrum einige Theorien zusammen, woran das liegen könnte: die Datenlage ist unsicher, die von Lorenz prophezeite „Verhausschweinung des Menschen“ setzt ein oder es ist die Umwelt. Falls der Befund denn überhaupt stimmt. (01.01.19)

 

Die Wiedergeburt der Renaissance

Im Mai wird Leonardo da Vinci seit einem halben Jahrtausend unter der Erde sein und Thomas Assheuer nimmt das in der ZEIT schon jetzt zum Anlass, um an die folgenreiche Befreiung des Denkens von kirchlichen Dogmen zu erinnern, die mit da Vincis Bücherkiste begann, in der Assheuer stöbert. (02.01.19)

 

Das Jahr des Anstands

Nicht nur bei der CDU spricht man mehr denn je von „Anstand“, wie Hannes Soltau bemerkt und dem Modewort im Tagesspiegel einen Essay widmet. Was schwingt noch von ständischen Umgangsformen mit in der Forderung nach Zusammenhalt in der Wettbewerbsgesellschaft – und bedeutet das überhaupt irgendwas? (03.01.19)

 

Die Theorie bleibt dialektisch und praktisch

Bei Telepolis unterhält sich Reinhard Jellen mit dem Erziehungswissenschaftler Hartmut Krauss darüber, wie sich der klassische Marxismus zur Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft verwenden lässt und wo der Klassenkampf ist. Ein zweiter Teil folgt. (03.01.19)

 

Schuld sind immer die Frauen

Der Bube Hannes Stein hatte eine schwere Kindheit mit einer stalinistischen Feministin als Mutter und erklärt, warum er trotzdem Feminist geworden ist, was in der WELT ja mal ein mutiges Statement ist. Dank anderer Frauen in Berufs- und Privatleben wurde ihm klar, dass Gleichberechtigung schlicht und einfach vernünftig ist. (04.01.19)

(Photo: raincarnation40, Rain Carnation, pixabay.com, CC0)

Bücher

Die taz wirbt für Enis Macis Essayband „Eiscafé Europa“, der unsere krisenhafte digitale Gegenwart analysiert. +++ Die NZZ freut sich dagegen über die Essays des David Foster Wallace in einem Band. +++ Merklich erleichtert ist die NZZ auch über Eamonn Butlers Verteidigung des Kapitalismus als Ordnung, die nicht nur den Privilegierten nutzt. +++ Außerdem stellt die NZZ das Buch „Warum Liebe endet“ von Eva Illouz vor, das sich mit der Beziehungsunfähigkeit unter dem kapitalistischen Glücksgebot befasst; auch die FAZ bespricht das Buch und legt ihren Fokus auf die Unverbindlichkeit der marktmäßig freien Liebe. +++ Martin Meyer leitete lange das NZZ-Feuilleton, aus dem seine Aufsätze „Vom allmählichen Verschwinden des Gewohnten“ nun als Buch hervorgegangen sind, das der Standard vorstellt. +++ Der Tagesspiegel empfiehlt Eltern gebildeter Kinder Peter Frankopans Bilderbuch, das eine Weltgeschichte für Kinder anhand der Seidenstraßen von der Antike bis heute zeigt.

 

Radio

Rabimmel, rabammel, rabumm: Im DLF kommt heute Abend die Lange Nacht des Schlagzeugs, ehe es morgen früh bei Essay und Diskurs weiter um den Schwerpunkt „Mensch und Natur“ geht: Eckhard Fuhr erklärt dann die kulturgeschichtliche Bedeutung von Wölfen und Schafen für den Menschen. Bei Sein und Streit geht es u.a. um Autorität und Jürgen Wiebicke unterhält sich im Philosophischen Radio des WDR 5 mit Armen Avanessian darüber, ob und was nach dem Kapitalismus kommen kann.

 

Das Weitere und Engere

Die Unordnung der Dinge: Julia Seeliger zeigt sich im Freitag merklich angekotzt von diesem einst so hoffnungsvollen Internet, das nur noch zum Konsum taugt. +++ Die NZZ unterhält sich mit der Emotionshistorikerin Ute Frevert u.a. über Demütigung und Soziale Medien als Pranger und Jauchegrube. +++ Zum Abschluss des Jubiläumsjahrs hält Willi Winkler in der SZ einen Abgesang auf den falschen Mythos 1968 als Selbstbeweihräucherung oder Feindbild. +++ Die NZZ blickt zurück aufs Krisen- und Katastrophenjahr 2018 und tröstet uns damit, die Dauerkrise könne auch einfach bloß die menschengemäße Existenzform sein. +++ Der Zukunftsforscher Daniel Dettling zeigt sich im Tagesspiegel zuversichtlich, dass der Populismus die Welt durch die Auseinandersetzung mit ihm besser machen wird. +++ Nikolaus Piper erklärt in der SZ, was es mit dem in der Unabhängigkeitserklärung der USA verbürgten Recht, nach Glück zu streben, auf sich hat. +++ Die FAZ wundert sich über die Volten der Bundesregierung, allen voran der schießwütigen Landwirtschaftsministerin, in ihrer „Wolfspolitik“.

Neues vom Urheberrecht: 20 Jahre lang war das Urheberrecht in den USA eingefroren, nun werden alle bis 1923 veröffentlichten Werke gemeinfrei, darunter viele in Bild und Ton, und die SZ blickt auf das, was uns da in den kommenden Jahren noch erwartet. +++ Eine Liste der Urheber*innen, deren Werk 2019 in Deutschland gemeinfrei geworden ist, findet sich bei Wikipedia. +++ Ganz so einfach ist es aber auch nicht: Nach einer BGH-Entscheidung können Abbildungen gemeinfreier Werke trotzdem Abmahnungen nach sich ziehen, weshalb Klaus Graf den #Gemeinfreitag in seinem Archivalia-Blog einstellt. +++ Ende Oktober ist ein von einer KI gemaltes Bild für fast 400.000 Euro versteigert worden und nun gibt es Streit um die Frage, ob und welchen urheberrechtlichen Anteil der Autor des verwendeten Programmcodes daran hat, wie die SZ berichtet.

Trotz Philosophie: Der effektive Altruismus ist in Bayern angekommen, wo die WELT einige Leute besucht hat, die nur nach streng ökonomischen Prinzipien helfen wollen. +++ In Bonn ist die lustige Oper „Marx in London“ von Jonathan Dove zu sehen, die der Tagesspiegel trotz holpriger Komik gelungen findet. +++ Bei Schwein und Zeit wird vor allem das Für und weniger das Wider des freiwilligen Aussterbens der Menschheit erörtert. +++ Es ist die Zeit der guten Vorsätze und Matthias Warkus fragt in seiner Spektrum-Kolumne, warum wir gegen unseren Entschluss handeln können. +++ Kommende Woche, so heißt es, verlässt der überfällige Lichtwolf Nr. 64 („Riemen“) endlich die Druckerei und das Warten hat ein Ende.

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