Links der Woche, rechts der Welt 52/18

Wie rauchte das mittelalterliche Paris?

Jesper Klein erzählt in der SZ die wunderliche Geschichte der „Raucher“ („Les Fumeux“), die lange vor der Ankunft des Tabak in Europa ab 1492, nämlich im 14. Jahrhundert im Umfeld der Pariser Universität dichteten, komponierten und dabei was auch immer rauchten. (19.12.18)

 

Die Welt auf der Couch

Sigmund Freud fasziniert bis heute und Tobias Hürter erklärt bei ZEIT Wissen, wieso: Er rekapituliert den biographischen Weg zur Psychoanalyse und zur Entdeckung des Unbewussten, die trotz ihres unwissenschaftlichen Ruchs unser Bild vom Menschen und seiner Gesellschaft prägt. (22.12.18)

 

Kleine Begriffsgeschichte des „Patriarchats“

Der Freitag bringt einen langen, lesenswerten Text der Kulturchefin des Guardian, Charlotte Higgins, über die Konjunktur, die der Begriff des Patriarchats gerade erlebt: Einst als zu plump eingemottet, dient er nun – wie zur Zeit seiner Schöpfung – zur Benennung (und dann zur Bekämpfung) der vielfältigen Mechanismen männlicher Hegemonie. (24.12.18)

 

Zwischen Mythos und Rohstoff

Gunda Bartels denkt im Tagesspiegel über die seltsame enge Verbindung von Mensch und Baum nach, wie sie sich nicht nur zu Weihnachten oder bei den Protesten im Hambacher Forst zeigt. In der Erde verwurzelt dem Himmel zustrebend haben die holzigen Sauerstoffspender eben auch eine beinahe metaphysische Dimension. (25.12.18)

 

Toleranz heißt Konfrontation, Haltung auch

Regina Wank vom Tagesspiegel hat sich die Weihnachtsansprache des Buprä zu Herzen genommen und denkt über den Gegensatz von passiver Toleranz und agonaler Haltung nach, der ein scheinbarer ist, wie sie u.a. am Beispiel des Popper-Diktums von der intolerablen Intoleranz und Max Frischs Biedermann erklärt. (26.12.18)

 

Der neue Mensch nach wessen Bilde?

Nach wie vor hält die Geburt genmanipulierter Zwillinge, die selbst der sonst nicht zimperlichen chinesischen Regierung zu weit ging, die Welt in Atem. Walther Ch. Zimmerli erklärt in der NZZ, warum die Empörung wohlfeil ist und die Ethik sich der Frage zuwenden sollte, zu welchem Nutzen das gemacht werden sollte, was fortschrittsgemäß sowieso irgendwann gemacht wird. (27.12.18)

 

Hart und schlau wie ein Denkpanzer

Für die NZZ berichtet Marc Neumann vom schweren Stand der Geisteswissenschaften in den USA, aus dem heraus die Philosophie gerade eine fragwürdige Renaissance erfährt: Das Fach gilt als geistiges Fitnessstudio für Entrepeneure des Digitalkapitalismus und ihre Ethikberater. (27.12.18)

 

Zynische Vernunft revisited

Zum Ende jeden Jahres darf Peter Sloterdijk ohne Zeichenbegrenzung die NZZ vollschreiben und wer noch Resturlaub hat, mag seiner unendlichen Reise vom Hölzchen aufs Stöckchen – von der menschlichen „Irrtums-Ganzheit“ über den Zynismus bis ins von Terror, Trump und politischer Korrektheit verheerte Heute – folgen. (29.12.18)

(Photo: OpenClipart-Vectors, pixabay.com, CC0)

Bücher

Der Cheflektor des Suhrkamp-Verlags hat unter dem Titel „Polyloquien“ eine Fibel mit Sentenzen des Peter Sloterdijk herausgegeben, die Jürgen Nielsen-Sikora bei Glanz & Elend rechtschaffen enthusiasmiert. +++ Der „Spekulative Realismus“ wird jenseits des Atlantik als Kontinentalphilosophie verachtet, drum hat Graham Harman eine launige Einführung geschrieben, die der Standard rezensiert. +++ Außerdem bespricht der Standard vier Neuerscheinungen über Psychopathen und das Böse. +++ Gläubige im Hirnscan: Boris Cyrulnik untersucht die biochemischen Bedingungen und Möglichkeiten religiöser Überzeugungen und Spektrum stellt sein Buch vor. +++ Die ZEIT bespricht Walter Schüblers Biographie des großen Kraus-Antagonisten und frechen Neurasthenikers Anton Kuh. +++ César Rendueles beschreibt assoziativ anhand von Literaturfragmenten die Entwicklung des „Kanaillen-Kapitalismus“ und die taz findet das anregender als so manche kohärente Theorie. +++ Wie der Kapitalismus Vergangenheiten und Traditionen erfindet, um sie zu verwerten, beschreiben Luc Boltanski und Arnaud Esquerre in ihrem neuen Wälzer, den der Standard vorstellt. +++ Äußerst unzufrieden ist der Tagesspiegel mit den Banalitäten und Platitüden in Peter Cornelius Mayer-Taschs „Kleine Philosophie der Macht“. +++ Hans-Peter Martin hat die gegenwärtige Entwicklung zum autoritären Kapitalfeudalismus mit populistisch-konsumistischen Sedativa in eine düstere Zukunft extrapoliert, bei der es der ZEIT kalt den Rücken runterläuft.

 

Das Weitere und Engere

Aus den Wissenschaften: Stresshormone scheinen im Laufe des Tages abzunehmen, wie Spektrum meldet und spekuliert, was sich daraus für die Tagesgestaltung ableiten lässt. +++ Die FAZ weist auf einen Fachartikel von George Steinmetz hin, der aufarbeitet, wie viele berühmte Soziologen sich nach 1945 in den nach Unabhängigkeit strebenden Kolonien umtaten und wie das die Disziplin beeinflusste. +++ Ebd. geht es auch um Anselm Rinks Untersuchung sozialer Ungleichheit anhand des römischen Erbrechts, das bis heute reichende Folgen hat. +++ Die taz berichtet über neueste verhaltenswissenschaftliche und neurologische Erkenntnisse zum Quell des Altruismus.

Trotz Philosophie: Die duzende WELT erklärt mit Marcel Proust, warum die Liebe nach der Trennung zurückkommt und man nicht wissen kann, was man fühlt. +++ Peter Kuras und Mladen Gladić unterhalten sich für den Freitag mit dem Psychoanalytiker Joel Whitebook, der dem Gründervater seiner Disziplin dessen Standardbehandlung zukommen ließ und Freuds Verhältnis zu seiner Mutter analysierte. +++ Der Standard gibt einen kurzen Überblick über das Geld in der Philosophie, die mit ihm stets wenig anfangen konnte. +++ Alles Menschenwerk ist ein Contrajekt, aus dem einem die Lüge entgegenbrüllt – so steht es nebenan bei Schwein & Zeit geschrieben.

Et cetera: Der Freitag unterhält sich mit der Spex-Redaktion darüber, was man an ihrem eingestellten Musikmagazin hatte und ob das Internet ihm den Garaus gemacht hat. +++ Nach der großen Ernüchterung über die Chancen des Digitalismus machen Streiks und Selbsorganisation bei den IT-Giganten der Linken nun wieder etwas Hoffnung, wie Nina Scholz im Freitag schreibt. +++ Meinungsfreiheit fordern gern diejenigen, die mit ihrer populistischen Hetze gegen die freie Presse die Demokratie bedrohen, merkt Gert Heidenreich in der SZ an. +++ Der Gartenteil der FAZ beschäftigt sich mit Winterdepressionen und den Gegenmitteln aus Haus- und Gartenapotheke. +++ Arno Widmann denkt in der FR über Religion, Gewalt und Trost nach. +++ Die SZ blickt außerdem auf den Kalenderspruchtiefsinn, der sich über und in Sozialen Medien ausbreitet. +++ Allen, die neue Belege für die Gerechtigkeit des Max-Goldt-Diktums über den Umgang mit BILD und den dafür Verantwortlichen brauchen, sei der Rückblick des BILDblog auf die Schandtaten von Friede Springers Drecksblatt im ausgehenden Jahr 2018 empfohlen.

 

Der Lichtwolf wünscht Ihnen einen guten Start ins neue Jahr!

Schreiben Sie einen Kommentar