Milchmädchenrechnungen – Bonusmaterial III

Noch mehr der schönsten Milchmädchenrechnungen, die nicht mehr in den aktuellen Lichtwolf mit dem Titelthema „Milchmädchen“ reinpassten.

 

Alles in Pi

Eine meiner Lieblingsszenen in „Person of Interest“ ist, als sich Harold Finch, der Erfinder der Maschine, als Vertretungslehrer für Mathematik ausgibt. Als er an der Schiefertafel die Kreiszahl π erklärt, fragt eine Kaugummi kauende Schülerin, wozu man das eigentlich braucht.
„Ich will es Ihnen erklären“, antwortet der Meister der Informatik. Und dann zeigt er es auf. Hinter dem Komma der irrationalen Zahl Pi stehen alle Zahlen, die es überhaupt gibt. „Auch Ihre Telefonnummer, Ihre Sozialversicherungsnummer, Ihre Adresse, einfach alles und alles was möglich ist. Wozu Sie das brauchen können? Das ist Ihre Entscheidung.“
Diese Lehrstunde über eine Zahl, die Archimedes vor 2.300 Jahren erstmals eingrenzte und die Leonhard Euler so richtig publik machte, eine transzendente Zahl, die reell ist, aber nicht rational, eine Zahl, die aufzeigt, dass es unmöglich ist, die exakte Quadratur des Kreises zu errechnen, so eine Zahl beinhaltet schlicht alles Mögliche. Tatsächlich kommt nach dem Komma jede mögliche Folge von Zahlen in dieser Zahl Pi vor. Sogar das gesamte Leben (als Folge von binären Zahlen) eines Menschen kommt als Folge irgendwann in Pi vor.

Und worum geht es bei „Person of Interest“? Um eine Überwachungsmaschine, die schlicht alles überwacht, indem sie alle Daten kombiniert. Daher kann sie einen geplanten Mord erkennen. Und zudem kann eine Maschine, die so exakt ist, dass sie die Zahl Pi nach jeder Zahlenkombination befragen kann, jedes Schicksal berechnen. Und zwar in jeder Zeit. Damit ist die exakte Vorhersage von Ereignissen möglich geworden. Aber das Problem ist die Paradoxie.

– Bernhard Horwatitsch

 

Alles perfekt

„Nein, Sie bezahlen direkt erst mal gar nichts. Das machen wir. Das geschieht zügig zu Ihrer vollen Zufriedenheit durchs Einzugsverfahren. Wir buchen heute schon die besprochene Summe ab, und dann verwalten wir das für Sie, so dass Sie sich darum von jetzt an nicht mehr zu kümmern brauchen. Sie unterschreiben hier unten, ja dort, genau, danke, ja, da auch noch mal, danke, sehr gut, alles andere läuft jetzt von selbst, wir informieren Sie, das hat aber Zeit. Wir wollen nur, dass Sie sich wohlfühlen. So ist unsere Finanzphilosophie. Damit ist eigentlich jetzt nun soweit auch schon alles perfekt.“

– Rüdiger Spiegel

 

Baden gegangen

Letzten Mai beging meine Nachbarin, Frau Schwalbe, ihren fünfzigsten Geburtstag und wir stießen bei einem Glas Rotkäppchen „auf die nächsten 50 Jahre“ an. Frau Schwalbe hatte das große Ziel, ihren hundertsten Geburtstag zu erleben, und ordnete dem alles unter. Deshalb hatte sie angeblich auch nie geheiratet: „Singles leben länger!“ Mit Statistiken zur Lebenserwartung kannte sie sich prima aus. Sie wusste den unterschied zwischen durchschnittlicher und durchschnittlicher weiterer Lebenserwartung und betonte oft, letztere liefere die genaueren Prognosen. Frau Schwalbe begnügte sich aber nicht mit Zahlen. Um das mit dem Alter exponentiell ansteigende Sterberisiko zu minimieren, verbannte sie einen Mortalitätsfaktor nach dem anderen aus ihrem Alltag. Sie hatte nie geraucht, früher auch keinen Alkohol getrunken; inzwischen gönnte sie sich jeweils zu ihrem Geburtstag und an Silvester ein Glas Sekt, weil sie gelesen hatte, das sei gesund. Sie aß wenig, meist Obst und Gemüse, kaum Fleisch, nichts Süßes. Statt riskante Sportarten zu treiben, ging sie stundenlang spazieren. Sie fuhr weder Auto noch Rad, mied Leitern und andere unsichere Orte sowie offenes Feuer.

Jüngst hatte sie sich noch ihr Bad renovieren lassen, denn es hieß, Badewannen seien im Alter wahre Todesfallen. Also wurde ihre Wanne durch eine ebenerdige Dusche ersetzt und damit gab es keinen Rand und keine Kannte mehr, über die man stolpern und sich dabei den Hals brechen konnte.

Trotzdem kam Frau Schwalbe dann in ihrem Bad zu Tode. Sie glitt auf den nassen, noch neuen Fliesen aus und schlug sich den Kopf an. Hirnblutung.

– Jean-Baptiste O‘Lebigmac

 

Lichtwolf Nr. 61 (Milchmädchen)

Auch die erste und zweite Charge von Outtakes sind online. Weitere Milchmädchenrechnungen finden Sie in Lichtwolf Nr. 61, als werbefreies Paperback mit 112 Seiten im A4-Format für 8,50 Euro (inkl. Versand) hier im Einkaufszentrum erhältlich – oder als DRM-freies E-Book für Amazon Kindle oder im offenen epub-Format zum Preis von nur 3,99 Euro.

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