Links der Woche, rechts der Welt 16/18

Nicht geboren zu sein…

…ist laut griechischer Mythologie das Beste, jung zu sterben das Zweitbeste. Tobias Haberkorn portraitiert für die ZEIT den modernen Anti- oder Denatalismus des Théophile de Giraud, der sich aus ökologischen und glücksökonomischen Gründen für ein „langsames und friedfertiges Aussterben der Menschheit“ einsetzt, was eher so mittel bei den Leuten ankommt. (15.04.18)

 

Die Lösungen gescheitert, das Problem bleibt

Zum 200. Geburtstag von Karl Marx darf auch Slavoj Žižek nicht fehlen. In der NZZ schreibt er, warum Marx sich über die von ihm erwartete finale Krise des Kapitalismus täuschte und welchem Muster die tatsächlichen kommunistischen Revolutionen folgten. Und trotzdem bleibt Marx „in unserer Zeit des globalen Finanzkapitalismus höchst relevant“. (17.04.18)

 

Die Gefahren des illiberalen Konstruktivismus

Das postfaktische Zeitalter erscheint manchem als geifernder Wiedergänger der Postmoderne, deren Relativismus den Weg dafür bereitet habe. Albrecht Koschorke geht diesem Vorwurf in der NZZ auf den Grund, indem er nachzeichnet, wie ursprünglich emanzipatorische Ansätze „in rechte Nutzniesserschaft übergegangen“ sind. (18.04.18)

 

Die Erfinderin von 1968

Norbert Frei erinnert in der ZEIT an die Rolle, die Hannah Arendt dabei spielte, den damaligen Studentenunruhen die bis heute gültige Chiffre „1968“ zu verpassen, die ursprünglich ihrem Briefwechsel mit Karl Jaspers entstammt. Und auch sonst war 68 eine ziemlich transatlantische bis globale Veranstaltung. (18.04.18)

 

Dank Frauen, Handel und Buchdruck

Vor einem Weilchen erregte der Psychologe Steven Pinker mit einem Buch die Gemüter, wonach die Welt trotz Holocaust und Syrien immer friedlicher wird. Im Spektrum-Interview erklärt er, wie wir psychologisch und philosophisch mit Aggression umgehen und warum es uns so schwerfällt, dem statistischen Rückgang der Gewalt zu trauen. (19.04.18)

 

Zwischen Skylla und Charybdis

Man muss nicht ins Lager der neurechten Chauvis wechseln, um über die textästhetische Last einer geschlechtsneutralen Sprache zu seufzen. Kornelius Friz weist im Blogseminar der FAZ auf ein Genderwörterbuch im Internet hin, mit dem wir Autorinnen halbwegs elegant zwischen generischem Maskulinum und Binnen-i hindurchsegeln und der überempfindlichen Sprachpolizei beider Seiten entschlüpfen. (20.04.18)

 

Radio

Um „Transkulturalität“ statt Multikulti geht es diese Woche beim Philosophischen Radio des WDR 5 und im DLF kann man morgen ab 9:30 Uhr bei Essay und Diskurs den zweiten Teil des Gespräch zwischen Daniel Cohn-Bendit und Claus Leggewie über 1968 hören. Mittags geht es bei Sein und Streit um Ethik und den Untergang des Abendlandes.

 

Lichtspiele

68 ist irgendwie auch das Sozialistische Patientenkollektiv (SPK) rund um den Uni-Assistenzarzt Wolfgang Huber in ihrem Kampf gegen das krankmachende System mit der Krankheit (und reichlich linker Theorie) als Waffe. Der Regisseur Gerd Kroske hat diese Gruppierung aus dem deutschen Vorherbst in seinem Dokumentarfilm „SPK Komplex“ portraitiert, der den Tagesspiegel nachdenklich macht, während die WELT sich an der Sympathie (oder Faszination?) stört, mit der der Regisseur sich dem SPK nähert. Hier der Trailer:

 

Bücher

Wolfram Eilenbergers Buch über die großen Philosophen der 1920er wird weiter im Feuilleton herumgereicht: Der Standard bespricht es genauso begeistert wie die FR, die sich mehr Mühe gibt, inhaltliche Kritik zu üben. +++ Die NZZ macht sich ausgiebige Gedanken darüber, wie man über Sexualität nachdenken kann, und ist dazu durch den posthum erschienenen abschließenden Band der „Geschichte der Sexualität“ Michel Foucaults inspiriert worden. +++ Einen anderen Blick auf 1968 unternimmt Jörg Magenau im Freitag, indem er der damaligen Stimmung anhand der Bücher-Bestseller nachspürt. +++ Otfried Höffe freut sich in der FR über zwei Neuübersetzungen von Thomas Hobbes’ „De cive“, das dem „Leviathan“ vorausging und dem Staatsbürger mehr Aufmerksamkeit widmet. +++ Bei aller Skepsis begeistert hat die ZEIT das Antimanifest „MRX-Maschine“ von Luise Meier gelesen, das im Sound von Deleuze und Guattari nach Solidarität im Zeitalter von Hipstertum, Selbstoptimierung, #meToo und Rechtspopulismus fragt.

 

Das Weitere und Engere

Die Zahl der psychischen Störungen ist hoch und steigt – und die SZ erklärt (aus aktuellem Anlass), was das mit Diagnostik, Pathologie und Stigmatisierung zu tun hat. +++ Bei Spektrum stellt Christian Honey klar, warum die Meldungen über vermeintlich selbstbewusste Roboter bisher reichlich übertrieben sind. +++ Könnten wir die Spuren einer Zivilisation erkennen, die lange vor den Menschen auf der Erde lebte? Lars Fischer berichtet bei Spektrum über entsprechende Forschungen, die vor allem von der Frage nach unseren Hinterlassenschaften motiviert sind. +++ In der SZ kommentiert Felix Stephan die Kulturkämpfe einer in Echokammern zerfallenden Gesellschaft, die genauso zu werden droht, wie faschistische Vordenker sie haben wollen. +++ Im Interview mit dem Standard erklärt Robert Pfaller, wie Moralisierung und Bevormundung den vernünftigen Diskurs zwischen mündigen Erwachsenen zerstören und damit perfekt in den Neoliberalismus passen. +++ Der Sprachphilosoph Paul Sailer-Wlasits wiederum erklärt bei Telepolis, wie Verbalradikalismus und sprachliche Gewalt das zivilisierte Miteinander zerstören. +++ Im fünften Teil des schönen Marx-Lexikons von Bernhard Wiens bei Telepolis geht es um die ursprüngliche Akkumulation und wie man sie wieder rückgängig macht (bzw. aufhebt). +++ Dass Veröffentlichungen in Germanistik und Religionswissenschaften fünf Jahre nach der Publikation überwiegend unzitiert bleiben, kann man sich denken, aber dass die Pharmazie dabei weit schlechter als die Philosophie abschneidet, ist überraschend.

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