Links der Woche, rechts der Welt 13/18

Die Konstruktion der Kriminalität

Gerd Schwerhoffs spannende Begriffsgeschichte des Verbrechens aus dem entsprechenden Sonderheft der ZEIT ist nun auch online zu lesen. Darin geht er der Faszination auf den Grund, die immer schon von Serienmördern ausging, und warum Kriminalitäts- immer auch Zeit-, Sitten- und Institutionsgeschichte ist. (21.03.18)

 

Computermodelle statt Intuition

Darüber, dass indogermanische Sprachen miteinander verwandt sind, herrscht Einigkeit, nicht jedoch darüber, wer Onkel und Cousin ist und wo der gemeinsame Urahn gesprochen wurde. Wolfgang Krischke berichtet in der FAZ über zeitgemäß computergestützte Modelle, die den Streit beilegen sollten und den klassisch geschulten Sprachhistoriker alt aussehen lassen. (24.03.18)

 

Was Ökosysteme wert sind

Die Artenvielfalt schwindet von Jahr zu Jahr, ohne dass moralisch oder ökologisch begründete Appelle etwas ausrichten. Vielleicht helfen also (die gleichfalls ziemlich düsteren) ökonomischen Argumente des „Weltrats für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen“, die Christopher Schrader bei Spektrum aufzählt. (26.03.18)

 

Verbale Gegengewalt

Gregor Dotzauer zeigt sich im Tagesspiegel unzufrieden mit der Art, wie identitätspolitische Debatten über Gedichte geführt werden. Emanzipatorische Selbstgerechtigkeit verhindert eine sachliche Auseinandersetzung mit Kunst und Grammatik, während die Mehrheit damit überfordert ist, „Differenz einerseits zu übersehen und andererseits als fundamental anzuerkennen“. (27.03.18)

 

Die ewige Opferreligion

Manfred Lütz ist Psychiater und Theologe aus katholischer Überzeugung. Im Interview mit der FR wehrt er sich gegen die Kriminalgeschichte des Christentums, die er als einen Haufen böswilliger Fake News betrachtet: Von den Kreuzzügen über die Hexenverfolgung bis zum Achselzucken angesichts des Holocausts ist das gut gemeinte Christentum nur missbraucht worden. (27.03.18)

 

Stadtguerilla und Rechtsstaat

Vor einem Vierteljahrhundert beging die RAF ihren letzten Anschlag. Aus diesem Anlass unterhält sich Frank Bachner für den Tagesspiegel ausführlich mit Eberhard Foth. Als damaliger Richter erinnert er sich lebhaft an den Stammheim-Prozess, die damalige gesellschaftliche Stimmung und die rechtsstaatlichen Herausforderungen, die damit bis heute verbunden sind. (27.03.18)

 

Europa entweder national oder sozial

Der französische Präsident Emmanuel Macron war mal Student bei Étienne Balibar, mit dem sich Pepe Egger und Leander F. Badura für den Freitag unterhalten. Es geht um das innige Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus früher und heute, um eine vernünftige linke Haltung zu Europa und um seinen früheren Schüler, an den sich Balibar nicht erinnern kann. (28.03.18)

 

Unter sich statt unter Leuten

Nicht nur die neue Rechte veranstaltet gern Salons, auch Film-Feministinnen ziehen sich immer lieber in solche intellektuellen Schutzräume zurück, wie Michael André für Getidan beobachtet. Grund ist die Enttäuschung über die kurzatmige Massendemokratie und das Scheitern von moderner Öffentlichkeit. (28.03.18)

 

Von Morija nach Golgatha

Zu Ostern opfert Gott mit Jesus seinen Sohn, wie er es einige Staffeln vorher von Abraham verlangt hatte. Der Theologe Jan-Heiner Tück wundert sich in der NZZ (und ist geistesgeschichtlich damit nicht alleine), ob diese Forderung Gott nicht unmöglich macht, findet aber natürlich die dramaturgische Pointe. (30.03.18)

 

Stoff für die nächste Netflix-Serie

Ständig ist die Rede von „Heilsbringern“ und schon Jesus hatte in diesem Metier Konkurrenz, wie in „Das Leben des Brian“ akkurat dargestellt und von Sebastian Hollstein bei Spektrum sehr anschaulich und spannend ausgeführt wird: Der „Messias“ als „Gesalbter“ war in alttestamentarischen Zeiten einfach eine Führungsfigur – und dazu fühlte sich so mancher berufen. (30.03.18)

(Photo: Wolfgang Vogt, pixabay.com, CC0)

Bücher

Die WELT rezensiert den schulbuchartigen Titel „Oh, Simone!“, mit dem Julia Korbik eine wichtige Figur des Existentialismus und des modernen Gender-Diskurses wieder populär machen möchte. +++ Etwas behäbig bespricht der Tagesspiegel Wolfram Eilenbergers „Zeit der Zauberer“ über die Großdenker der Weimarer Republik. +++ Die NZZ stellt das Buch vor, mit dem Oona Hathaway und Scott Shapiro den Briand-Kellogg-Pakt als Zeitenwende des Völkerrechts wieder in Erinnerung bringen. +++ In der SZ fräst sich Franziska Augstein im Schnelldurchgang durch das, was die Verlage gerade zu Marxens 200. Geburtstag raushauen; etwas mehr als einen Satz pro Buch widmet sie den aktuellen Marx-Biographien. +++ Im theorieblog freut sich Matthias Bohlender über die Neuausgabe der „Deutschen Ideologie“, die einen wichtigen Beitrag zur Entmythologisierung des Marxismus leistet. +++ Timm Koch beschäftigt sich in „Herr Bien und seine Feinde“ mit dem Bienensterben und beschreibt anschaulich den Verlust, den es nicht nur ökonomisch darstellt; die FR bringt einen Auszug aus dem Buch und hier sei noch einmal erinnert, dass die Biene bzw. der Bien auch das Viehlosovieh in LW58 war. +++ Hannah Arendts nachgelassener Essay „Die Freiheit, frei zu sein“ beherrscht die Bestsellerlisten, im FAZ-Interview erklärt Thomas Meyer diesen zeitgemäßen Erfolg mit dem im Titel stehenden Donnerwort „Freiheit“.

 

Elektronisches und Weltliches

Vom New Yorker „Feminist Zinefest“ und der dort präsent(ert)en DIY-Gegenöffentlichkeit von Punkfeminist*innen berichtet die taz. +++ Die SZ wiederum berichtet über den bereits ziemlich großen Anteil von automatisiert erzeugten journalistischen Texten und deren Beliebtheit bei Redakteurinnen und Lesern. +++ Donata Schoeller hält in der NZZ den kürzlichen Silicon-Valley-Gedanken, ein künstliches In-der-Welt-sein ohne Körperlichkeit zu schaffen, für gutes KI-Marketing und schlechte Philosophie. +++ Nichts desto trotz werden im Silicon Valley und in anderen Unternehmen, die keine Zeit zur Reflexion haben, Philosophinnen zu genau dem Zweck eingestellt, wie der Guardian meldet. Und wer hat das schon vor 14 Jahre angeregt? Genau. +++ Florian Freistetter erinnert bei Spektrum an Jean Baptiste Joseph Fourier, der gerade seinen 250. Geburtstag feiert und dessen mathematische Leistungen für unsere signaldurchwirkte Gegenwart unentbehrlich sind. +++ Philipp Hübl widerspricht in der ZEIT der Darstellung, Cambridge Analytica habe mittels Big Data Trump zum Wahlsieg verholfen: Zwar lässt sich aus Persönlichkeitsmerkmalen auf politische Einstellungen schließen, aber genau darum sind letztere nicht mit etwas Facebook-Reklame zu beeinflussen. Bei Telepolis gibt Stephan Schleim dagegen zu bedenken, dass die Tücken des US-Wahlrechts durchaus zu zielgerichteter Wählermanipulation einladen.

 

Das Weitere und Engere

René Scheu füllt eine komplette NZZ-Ausgabe mit einem unendlichen Sloterdijk-Interview, bei dem nun wirklich alles egal ist. (Am besten nicht-nüchtern lesen.) +++ Jörg Albrecht stellt in der FAZ klar, dass das Rotkehlchen keineswegs so niedlich ist wie es aussieht. +++ In der FAZ geht es einmal mehr darum, wie schamlos Universitäten und Forschungseinrichtungen das Recht zur Befristung von Arbeitsverträgen ausnutzen. +++ Wie der Guardian berichtet, wird Julia Kristeva vorgeworfen, in den 1970ern für den bulgarischen Geheimdienst gearbeitet zu haben. +++ Bernhard Wiens eröffnet bei Telepolis seine eigene Würdigung zu Karl Marxens 200. Geburtstag: ein Lexikon in acht Teilen, dessen erster u.a. die Begriffe „Fetisch“ und „Holz“ erklärt. +++ Thomas Assheuer gibt in der ZEIT einen guten Überblick, wie völkisch-nationalistische Rechtsintellektuelle seit 1945 daran gearbeitet haben, den Anschluss an demokratisch-konservative Kreise vorzubereiten, der nun erfolgt ist. +++ Otto Wöhrbach erinnert im Tagesspiegel an Deutschlands erste Mathe-Professorin Emmy Noether, „die mit brillanter mathematischer Beweisführung zeigte, dass die Erhaltung der Energie mehr ist als ein empirisches Prinzip“. +++ Bei Lyotard studieren und dann elektronische Musik machen? Hat Richard Pinhas gemacht und die taz freut sich, dass die Alben seiner Band Heldon nun auch in Deutschland zu haben sind (und nicht bloß z.B. auf Youtube). +++ Die taz gibt außerdem zwölf Tipps, wie der endgültige Ausstieg aus dem Datensumpf Facebook gelingen kann – falls Sie noch ein Projekt fürs lange Wochenende brauchen. +++ Tragen Sie beim Osterspaziergang bitte einen Helm, denn eine chinesische Raumstation stürzt gerade ab und keiner weiß, wo sie landet. +++ Für den Fall, dass Sie doch was abkriegen, können Sie sich mit dem ZEIT-Beitrag von Jakob Simmank vorbereiten, der beschreibt, was physiologisch beim Sterben passiert.

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