Links der Woche, rechts der Welt 10/18

Projekte statt Paradigmen

Der Emeritus Peter Strasser beklagt in der NZZ, dass die studentische Jugend von heute nicht mehr akademischen Modewörtern wie Entfremdung, Chaos, Rhizom und Posthumanismus verfällt, sondern aus ihrer frühvergreisten „Denkkollektivierung“ heraus dem „Realitätsfilter des ‚Expertenkauderwelschs‘“ mit Hohn begegnet. (05.03.18)

 

Der freie, tätige Körper

Für den Freitag unterhält sich Anna Stiede mit Franco Berardi über seine Erfahrungen im Operaismus der 1970er und warum die Befreiung von der Lohnarbeit bzw. „den erotischen Körper der kognitiven Arbeit wiederzubeleben“ in heutigen hochtechnisierten Zeiten unwahrscheinlicher, aber auch notwendiger denn je ist. (07.03.18)

 

Linksgrüner Tugendterror im Labor

Herfried Münkler schreibt in der NZZ unter typisch martialischer Überschrift über die Einflussnahme von NGOs auf die Politik, Medien und den Wissenschaftsbetrieb, was zu einer Moralisierung der Diskurse geführt hat, die in der Forschung am wenigsten zu suchen hat – zumal ihr andernorts mehr „Beinfreiheit“ gewährt wird. (07.03.18)

 

Der Hausfreund aus Silikon ruft

Ausgehend von Heidegger und einschlägiger Sci-Fi-Literatur, die Technik nie als nur rein instrumentell zu verstehen gelehrt haben, beschäftigt sich Klaus Benesch bei Telepolis mit dem neuesten Stand der Technik: Sexroboter, die neben Triebbefriedigung auch für allerhand Fragestellungen zum Mensch-Maschine-Verhältnis sorgen. (07.03.18)

 

Rauschende Verrechner für alle

Immer häufiger geistern Meldungen durch die Welt, wonach der Quantencomputer unmittelbar vor der Marktreife stünde. Philip Ball erklärt bei Spektrum, wie so ein Ding funktioniert, was es kann und warum mit den unschlagbaren Verheißungen dieser Technologie auch die Hürden verbunden sind, die der Quantenwelt nunmal eigen sind. (07.03.18)

 

Was ist Aufklärung?

Urs Hafner wundert sich in der NZZ, warum seit den 1990ern das Wort „Aufklärung“ in immer regerem Gebrauch ist, obwohl oder weil es schon zu Zeiten der Aufklärung keine eindeutige Bedeutung hatte. Es geht um Selbstvergewisserung, denn „unaufgeklärt“ und „antiaufklärerisch“ sind immer die anderen. (09.03.18)

 

Neue Perspektiven auf alte Werke

Der Feminismus versetzt die Kunstwelt in Angst und Schrecken, weil neuerdings über Sexismus in Kunst und Literatur diskutiert wird, wie Tomasz Kurianowicz in der ZEIT rekapituliert und dann überlegt, wie zwischen Kunstfreiheit und Zensur, Kanon und Giftschrank zu debattieren und neu zu rezipieren wäre. (09.03.18)

 

Wer spricht für den Islam?

Der Islam hat weder Papst noch Synode noch Konkordatslehrstühle und das findet Malte Lehming im Tagesspiegel problematisch. Anlass seines Essays ist das Gezerre um die geplante (überfällige) Einrichtung vierer Lehrstühle für muslimische Theologie an der Berliner Humboldt-Uni. (09.03.18)

 

Was das Gehirn im Labor versteht

Sprache ist voller Mehrdeutigkeiten, weshalb es ein Wunder ist, dass wir einander überhaupt verstehen. Was dabei vor sich geht, ist der Gegenstand der Linguistik, die dank Hirnscans die Frage, was wir neurobiologisch beim Reden eigentlich machen, noch kniffliger gestaltet hat, wie Ruth Berger bei Spektrum darstellt. (09.03.18)

 

Bücher

Tilman Spreckelsen empfiehlt in der FAZ die Lektüre von Philip K. Dicks „Eye in the Sky“, worin es möglich ist, die vielen postfaktischen Welten alternativer Fakten zu besuchen. +++ In der WELT wiederum empfiehlt Denis Scheck „Also sprach Zarathustra“ von Nietzsche wg. „Wortwucht“, „Drive“ und schwieriger Rezeptionsgeschichte. +++ Simon Critchley hat ein Buch darüber geschrieben, worüber wir nachdenken, wenn wir über Fußball nachdenken, und die ZEIT ist angetan von der philosophischen Ergründung der Faszination, die man diesem Sport gegenüber hegt. +++ Hugo Fischers Buch „‚Lenin‘. Der Machiavell des Ostens“ ist jüngst aus der Versenkung geholt worden und der FAZ zufolge das ideale Querfrontbuch, das linken Antikapitalismus mit völkisch-autoritären Phantasien verbindet. +++ Die WELT freut sich, dass Maurizio Bettini in seinem Buch „Wurzeln“ den Rechtspopulisten nicht nur Italiens hinter die Löffel schreibt, dass man im Christentum firm sein sollte, um das Abendland zu verteidigen. +++ Die ZEIT ist begeistert davon, wie spannend Philippe Sands in „Rückkehr nach Lemberg“ die rechtsphilosophische Auseinandersetzung mit dem Holocaust schildert. +++ Der Tagesspiegel bespricht den Roman „Serverland“ von Josefine Rieks, der in einer Zukunft spielt, in der das Internet abgeschafft worden ist und von neugierigen Rebellen wiederentdeckt wird; die ZEIT sieht die Autorin mit ihrem eigentlich interessanten Thema völlig überfordert und vom Lektor im Stich gelassen. +++ Die NZZ lobt Christina von Hodenbergs „Das andere Achtundsechzig“, worin sie die „‚Gesellschaftsgeschichte‘ von 1968 teilweise neu“ und den Medien einiges hinter die Löffel schreibt. +++ Außerdem empfiehlt die NZZ Nina Verheyens historische Studie über die Begriffsgeschichte des Wörtchens „Leistung“. +++ Die Menschen gehen immer seltener zum Ausleihen von Büchern in eine Bibliothek, weshalb die Institution sich als „Dritten Ort“ und öffentlicher Raum neu erfinden sollte, wie Carolin Gasteiger in der SZ rät. +++ Wenn alle nur noch kaffeetrinkend bei freiem WLAN rumhängen, wird halt auch nicht mehr gelesen bzw. gekauft: Kurz vor der Leipziger Buchmesse sieht es nicht gut aus für Buchhandel und Kleinverlage, wie die NZZ meldet. +++ Ungemütlich wird es in Leipzig auch, weil sich wieder rechte Verlage angekündigt haben, denen sich diesmal ein Aktionsbündnis entgegenstellen will, über das der Freitag berichtet.

 

Radio

Das philosophische Radio bei WDR 5 widmet sich mit Bernhard Pörksen und Jürgen Wiebicke der allgemeinen Gereiztheit durch Digitalisierung. Im Deutschlandfunk kommt heute Abend die Lange Nacht entlang der Elbe, und morgen früh geht es bei Essay und Diskurs weiter ums Erzählen in den Medien: Frank Witzel erklärt, wann ein Text eine gut erzählte Geschichte ist. Und bei Sein und Streit sind morgen Mittag Wolfram Eilenberger und Michael Pauen zu Gast, um die Philosophie der Goldenen 20er gegen die von heute abzuwägen. Geert Keil übrigens widerspricht in der FAZ der Polemik, mit der Eilenberger in der aktuellen ZEIT die erstarrte Universitätsphilosophie von heute (Achtung, Bezahlschranke!) bedacht hat.

 

Das Tier und wir

Barbra Streisand hat ihren verstorbenen Schoßhund klonen lassen, wozu der WELT nur Spott einfällt. Etwas ernsthafter geht Gerald Wagner in der FAZ auf unser Verhältnis zu Tieren ein, die wir als Mitbewohner verhätscheln, in Tierversuchen quälen oder nach einem kurzen, freudlosen Leben aufessen; ein älterer Fachartikel von Larissa Deppisch in Tierstudien fragt nach den dazugehörigen „diskursiven Legitimations- und Delegitimierungsstrategien“.

 

Das Weitere und Engere

Auch nach jüngsten Theorievorschlägen weiß man noch immer nicht genau, warum die Erde diesen Mond hat – nur dass es gut so ist, wie die FAZ schreibt. +++ Neue Überlegungen auch in größeren Skalen: Vera Spillner erklärt bei Spektrum, wie man die Multiversum-Theorie vielleicht doch empirisch überprüfen kann. +++ Die SZ berichtet über einige Studien, denen zufolge sich falsche Nachrichten schneller und weiter verbreiten als wahre und nicht Bots, sondern unser Stammhirn verantwortlich dafür ist. +++ Also doch! Die FAZ berichtet über eine Studie, derzufolge Rechtsstaatlichkeit, Homosexuelle und Muslime zwangsläufig zu Multikulti führen und die Politik machtlos ist!!1! +++ Die Universitätsbibliothek Gießen stellt bis Mitte April Zeichnungen und Gemälde von Odo Marquard aus, in denen sich seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Ästhetik eindrucksvoll niedergeschlagen hat, wie die FAZ schwärmt. +++ Außerdem bringt die FAZ einen Nachruf auf Hayden White, dessen Buch „Metahistory“ die vermeintlich objektive Geschichtswissenschaft bis heute in Aufregung versetzt. +++ Die ZEIT spricht mit Achille Mbembe über Europas Dekolonisierung und die Restitution geraubter Kunstgegenstände Afrikas als Geschenke an die Menschheit. +++ Henrik Pomeranz unterhält sich fürs Uniblog der FAZ mit Haruna Oroku über ihr Studium auf Kuba, wo es jeden Tag Guacamole, aber kein Internet gibt. +++ In der taz erwägt Ulrike Fokken, warum es so schwer, aber nicht unmöglich ist, aus dem Verzicht eine politische Forderung zu machen. +++ Warum es dagegen äußerst lohnend ist, in Sachen Lichtwolf keinen Verzicht zu üben, wird hier erklärt.

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