Links der Woche, rechts der Welt 07/18

Links-grüne Angepasstheit

Herbert Marcuse befürchtete schon 1975 das Scheitern der Neuen Linken, das Karl Kollmann heute vollendet sieht, wie er bei Telepolis schimpft: Der damalige gesellschaftliche Aufbruch war ein Projekt allein der kommenden Elite, die sich heute in den Verhältnissen eingerichtet hat und mit ihren infantil-autoritären Befindlichkeiten nervt. (10.02.18)

 

Neid aufs Schneeglöckchen

Wenn der Mensch nach Gottes Ebenbild geformt ist, müsste er doch auch in der Lage sein, eine eigene Schöpfung zu kreieren – so zeichnet Roman Bucheli in der NZZ einen Topos nach, der von Pygmalion über den Golem bis zum Klon die weltverbesserische Hybris des sterblichen Menschen zur Schau stellt. (11.02.18)

 

Heimatkunde nach Adorno

Demnächst gibt es ein Bundesheimatministerium und Bersarin rät in seinem Blog Aisthesis, darüber nicht zu sehr ins Gelächter oder Stirnrunzeln zu geraten, sondern den Heimatbegriff endlich mal reflexiv zu durchdringen. Bei Adorno lassen sich Anhaltspunkte dafür finden, wie man „Heimat“ aus der „nationalen Mottenkiste“ befreien könnte. (12.02.18)

 

Die Roboter nehmen uns die Arbeitsplätze weg!

Es gibt nur noch eine Utopie im alltäglichen Abnutzungskampf: die Erlösung von der Arbeit. Tobias Haberkorn portraitiert in der ZEIT die Post-Work-Bewegung bzw. den Postoperaismus inkl. Lektüreliste. Der Dauerkrise der Arbeitsgesellschaft soll u.a. durch Automatisierung ein Ende gemacht werden, wie es schon Marx versprach. (13.02.18)

 

Der Ernst im Schwärmerischen

Hinter dem Boom von Büchern über die Natur steckt die Sehnsucht der Menschen, mit ihrer Innenwelt nicht allein unter seelenlosen Biomaschinen zu sein, schreibt Andreas Weber sehr schön in der ZEIT. Zugleich gibt es die Gegenbewegung der blinden Sentiment- und Naturverachtung vor allem auf Seiten der kulturkritischen Eliten. (14.02.18)

 

Schizophrene Identitätspolitik der Entsiffer

Marc Jongen war Sloterdijk-Assistent und ist neuerdings „kulturpolitischer“ Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, der sich als solcher darauf freut, die „Entsiffung des Kulturbetriebs in Angriff zu nehmen“. Daniel Hornuff schreibt in der ZEIT über seinen früheren Kollegen an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, den man wahrlich nicht als „AfD-Philosophen“ bezeichnen kann. (14.02.18)

 

Im Mittelalter war alles besser

Die Bologna-Reform sollte die innereuropäische Mobilität zwischen den Unis verbessern, ist u.a. damit aber gescheitert – vor allem im Vergleich zum Mittelalter, den Veronika Hock für das Uniblog der FAZ zieht. Demnach hatte es der fahrende Scholasticus ohne Anerkennungsverfahren für ECTS-Punkte leichter, von Nürnberg nach Paris zu wechseln. (16.02.18)

 

Digitaler Fordismus

IT-Konzerne sorgen für uns, schreibt Evgeny Morozov in der NZZ, aber ihre Anteilnahme ist ziemlich eigennützig und wohl nicht von Dauer. Wenn der Konkurrenzdruck groß genug ist und wir von den mit Nutzerdaten gepäppelten künstlichen Intelligenzen abhängig geworden sind, wird sich der digitale Kapitalismus ganz unverhüllt zeigen. (17.02.18)

 

Lichtspiele

Wenn Philosophie darin besteht, doofe Fragen zu stellen, ist Philomena Cunk, die Kunstfigur der britischen Komikerin Diane Morgan, eine der größten Denkerinnen unserer Zeit, die in dreieinhalb Minuten zum Beispiel die gesamte Philosophiegeschichte auf den Punkt bringen kann:

Wie sexuelle Belästigung eigentlich aussieht, das zeigen im Rahmen der Kampagne #ThatsHarassment sechs Kurzfilme, auf die die ZEIT hinweist. Die Berlinale muss sich dieses Mal auch der #meToo-Debatte stellen. Susan Vahabzadeh erklärt in der SZ, warum das Kino sich verändern muss und das nichts mit Zensur zu tun hat.

 

Radio

Sibylle Anderl unterhält sich mit Jürgen Wiebicke im Philosophischen Radio des WDR 5 über die philosophischen Fragen der Astrophysik. Im Deutschlandfunk befasst sich Essay und Diskurs morgen früh um 9:30 Uhr mit schriftlichen Quellen und ihrer Gewissheit. Bei Sein und Streit geht es mittags dann um unsere Altvorderen (Eltern und 68er).

 

Bücher

Die NZZ stellt Mary Beards Essay über die „männliche Codierung der öffentlichen Rede“ von Homer bis Trump vor. +++ Mit der wissenschaftlichen Darstellung von Frauen beschäftigt sich Angela Saidis bislang nur auf Englisch verfügbares Buch „Inferior: How Science Got Women Wrong“, auf das Florian Freistetter in seinem ScienceBlog hinweist. +++ Der Freitag bespricht einen Sammelband mit Aufsätzen zur Aktualität Susan Sontags. +++ Die taz freut sich auf den posthum erscheinenden vierten Band von Michel Foucaults „Geschichte der Sexualität“. +++ Außerdem empfiehlt die taz David Millers klug abwägenden Essay „Fremde in unserer Mitte. Politische Philosophie der Einwanderung“. +++ Michael Meyen hat für sein Hypotheses-Blog „Chaos. Das neue Zeitalter der Revolutionen“ von Fabian Scheidler und Erik Olin Wrights „Reale Utopien“ gelesen – zwei Bücher, die nach neuen und zeitgemäßen Wegen aus dem Kapitalismus suchen.

Der Philosoraptor ist ein Meme für die gebildeten Stände.

 

Das Weitere und Engere

Frederic Jage-Bowler beschäftigt sich in der taz mit Internet-Memes als Kommunikationsstrategie, die Ähnlichkeit mit Graffiti und eine eigene politische Ästhetik hat. +++ Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe macht in seiner Ausstellung „Tiere“ unser Verhältnis zu den Schöpfungskollegen aus der Abteilung Fauna anschaulich und die WELT hat sich dort umgeguckt. +++ Die Kresizahl Pi ist genauso ein mathematisches Faszinosum wie unendlich – und wie beide miteinander zusammenhängen, macht Vera Spillner bei Spektrum anschaulich. +++ Ebendort erklärt Matthias Warkus, warum die Frage nach der Existenz Gottes nicht der Theologie vorbehalten ist, sondern auch in die Philosophie gehört.

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