Links der Woche, rechts der Welt 04/18

Der Ausnahmezustand als Bewährungsfall

Stefan Selke suchte vor dem Orkan Friederike Zuflucht in der Bonner Unibibliothek. Dort schwante ihm, wie er bei Telepolis berichtet, dass Deutschland auch zwischenmenschlich überhaupt nicht auf Katastrophen eingestellt ist und sich mal lieber mit John Stuart Mill beschäftigen sollte, um einen Sinn für die Fragilität der Zivilisation zu bekommen. (21.01.18)

 

Der schwierige Fortschritt

Links ist progressiv und das heißt fortschrittlich. Georg Seeßlen macht im Freitag den Auftakt zum Gedenkjahr und geht dem kritischen Verhältnis, das man 1968 zum Fortschritt pflegte, auf den ideenhistorischen Grund, um von Adam und Eva über Rom und die Industrialisierung bis in die heutige Praxis des globalen Digitalkapitalismus und seiner rechts-doof-regressiven Begleitmusik zu gelangen. (21.01.18)

 

Hach ja, dieser Marx!

„2017 drehte sich alles um Luther, aber 2018 ist großes Karl-Marx-Jahr“, schreiben Anne Hähnig und Martin Machowecz in der ZEIT – und ihre Kollektion unter dem Titel „So kommen Sie gut durchs Marx-Jahr“ verspricht, dass die öffentliche Würdigung aus ähnlich aufgeblasenen Banalitäten wie im Vorjahr bestehen wird. (22.01.18)

 

Erst das Bewusstsein, dann die Materie

Allem Neurokram zum Trotz ist noch immer rätselhaft, wie ein materielles Gehirn etwas Immaterielles wie das Bewusstsein hervorbringen kann. Hedda Hassel Mørch rekapituliert in der FAZ die Problemlage und sieht auch in der Physik Fragen, die mit noch so raffinierter Messtechnik nicht zu fassen sind. Ein Lösungsweg findet sich allerdings schon bei Leibniz. (24.01.18)

 

Politik ästhetisch gedacht

Juliane Rebentisch erhält den diesjährigen Lessing-Preis für ihre Forschung „an der Grenzlinie von Politik, Gesellschaft und Ästhetik“. Die WELT führt aus diesem Anlass mit ihr ein Interview über die Demokratie zwischen Theater und Mehrheitsentschluss. (26.01.18)

 

Fack ju Göhte !!1

Dass es um die Orthographie immer schlechter bestellt ist gehört zur Grundausstattung des Kulturpessimismus. An der Uni Duisburg-Essen macht man sich aber ernsthafte Sorgen, da rechtschreibschwache Lehramtsstudis Kindern bald etwas beibringen sollen, was sie selbst nicht checken, wie Philipp Frohn im Uniblog der FAZ berichtet. (26.01.18)

 

40 Jahre Große Weigerung

Antje Lang-Lendorff, Johanna Roth und Philipp Daum zeichnen in der taz den Tunix-Kongress nach, zu dem sich 1978 die zwischen RAF und Polizeistaat eingequetschte West-Berliner Sponti-Szene versammelte, Besuch u.a. von Foucault, Guattari und Deleuze erhielt und den Boden für die Grünen, die taz und andere Versuche des richtigen Lebens im falschen bereitete. (26.01.18)

 

Angry Loners, vereinigt euch!

Die neue Beliebtheit des Autoritarismus rührt aus der postmodernen Vereinsamung des Menschen, so Peter Sloterdijks These in der NZZ. Denn Kosmopolitismus – unterstützt von Globalisierung und Digitalisierung – macht den Leuten ihre identitäre Stammeserzählung madig, die man ihnen lassen sollte, wenn der Totalitarismus nicht als letzte Zuflucht der Isolierten gelten soll. (27.01.18)

 

Bücher

Die FAZ freut sich über Alexander Sedlmaiers Studie über Konsumkritik und Gewalt in der jungen BRD, sieht sie aber an herrschaftssoziologischen Fragen scheitern. +++ Der Freitag empfiehlt zwei Bücher von Ralf Höller und Volker Weidermann mit literarischer Perspektive auf die Münchner Revolution 1918/1919. +++ Osman Hajjars Doktorarbeit „Besuch der Gräber“ ist ab sofort erhältlich und warum das eine so gute Nachricht ist, erfahren Sie hier.

 

Radio

Claus Leggewie ist zu Gast im Philosophischen Radio des WDR 5 und unterhält sich mit Jürgen Wiebicke über Europa. In Essay und Diskurs morgen früh im DLF geht es weiter um Nature Writing und bei Sein und Streit morgen Mittag steht die Scham im Mittelpunkt.

 

Gomringer muss weg

Seit bald zwei Jahren gibt es Streit um ein Gedicht Eugen Gomringers, das auf einer Außenwand der Alice-Solomon-Hochschule in Berlin zu lesen ist und als sexistisch gilt. Nun soll alle paar Jahre ein anderes Gedicht auf die Wand gepinselt und die Debatte damit beendet werden, wie die SZ meldet und der guten Ordnung halber den Germanisten Ralph Müller das Gedicht analysieren lässt. Gomringers Tochter (als Dichterin und Frau gleich dreifach betroffen!) kämpft nach eigenem Bekunden in der WELT mit Spuckis für die Zeilen ihres Vaters.

Unabhängig davon, vielmehr anlässlich einer Ausladung des Polizeigewerkschafters Rainer Wendt schreibt Thomas Thiel in der FAZ über Wissenschaftler_innen, die sich um die Meinungsfreiheit an der Uni insgesamt sorgen. Wie es wäre, wenn jemand wie Stephen Bannon zu einer Rede ins Audimax käme, kann man sich ja mal überlegen: Brian Leiter verweist auf die entsprechende Kontroverse in Chicago. Die FAZ wiederum hält sich den Blogger Don Alphonso, um ihrer distinguierten Leserschaft Menschenfeindlichkeit als gutbürgerliches Accessoire zu verkaufen. Für seine jüngste Einlassung hat er ungefragt Menschen im Görlitzer Park photographiert und ihnen Flucht- und Kriminalitätsgeschichten angedichtet, was bei den rechtsbraun verschmierten Schlechtmenschen im Kommentarbereich für Jubel sorgt und ziemlich rassistisch ist.

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin (Photo: 3093594, pixabay.com, CC0)

Das Weitere und Engere

Nachdem in China „erfolgreich“ zwei Affen geklont worden sind, wird über die ethischen Konsequenzen diskutiert, wie die SZ rapportiert. +++ Künstliche Intelligenz lernt mittels neuronaler Netze selbstständig und nimmt ein von außen nicht mehr durchschaubares Eigenleben an, weshalb so mancher schon eine eigene KI-Kognitionspsychologie fordert, wie auf Telepolis berichtet wird. +++ Hart an der Grenze zum Zynismus vermeldet Constanze Kurz in der FAZ, dass unsere weder nützliche noch verhältnismäßige Massenüberwachung durch US-Geheimdienste weitergeht. +++ Eine Kunstausstellung in Baden-Baden fragt, wie real die USA in postfaktischen Zeiten überhaupt noch sind, und die WELT hat sich dort umgesehen. +++ Auch sonst viel doller Service im WELT-Feu: Hannah Lühmann erklärt in ein paar Absätzen, „was Sie über die Hermeneutik wissen müssen“. +++ Über Authentizität verfügt die Philosophin erst, wenn sie das Wort fehlerfrei auszusprechen gelernt hat. Die FAZ berichtet über eine Studie, die das soziale Konstrukt der Authentizität in der Gastronomie untersucht hat. +++ Anlässlich des heutigen Holocaust-Gedenktags macht sich Mirna Funk in der ZEIT Gedanken über die unangenehme und darum oft oberflächliche Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus früherer und heutiger Tage. +++ Yad Vashem hat eine Onlineausstellung konzipiert mit den letzten Briefen, die Menschen vor ihrer Ermordung im Holocaust geschrieben haben.

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