Links der Woche, rechts der Welt 02/18

Autoritärer Phantomschmerz

Für die ZEIT unterhält sich Christian Staas mit der amerikanischen Philosophin Susan Neiman über den deutschen Nationalcharakter und seinen Hang zum Autoritären bzw. Unterwürfigen. Aber trotz Rechtspopulismus und Fremdenfeindlichkeit ist doch wohl einiges besser geworden im Land der Richter und Henker. (03.01.18)

 

Betriebsphilosoph im Teilchenbeschleuniger

Interdisziplinarität ist nach wie vor der heiße Scheiß an den Unis, dabei sind Geistes- und Naturwissenschaftler wie Katz und Hund. Konnten Physikerinnen höchstens mit Poppers Wissenschaftstheorie etwas anfangen, so gibt es inzwischen – wie Sibylle Anderl in der FAZ berichtet – Forschungsprojekte, bei denen die Philosophinnen auch was sagen dürfen zu Teilchenphysik, Neurokram oder Datensammlungen. (06.01.18)

 

Menschen sind die besseren Tiere.

Richard Ryder und Peter Singer gehören zu den Vordenkern des Antispeziesismus, wonach es unmoralisch und irrational ist, nichtmenschlichen Personen die Würde abzusprechen. Für Damiano Cantone ist der Antispeziesismus nur der eigennützige Versuch, die menschliche Überlegenheit durch ihre Moralisierung endgültig zu zementieren, wie er in der NZZ schreibt. (09.01.18)

Ein mutmaßlich männlicher Mensch. (Photo: Olichel Adamovich, pixabay.com, CC0)

 

Kontraproduktiver Moralismus

Der Politikwissenschaftler Mark Lilla erklärt im ZEIT-Interview mit Lars Weisbrod, warum linke Identitätspolitik zur Zersplitterung von gesellschaftlicher und persönlicher Identität sowie zur ungebrochenen Dominanz der Republikaner in Trumpistan führt. (10.01.18)

 

Alles, was mir gefällt

In der ZEIT meditiert Heike-Melba Fendel über Jugendliche, die vor dem Subway in Siegen ihre Identität vermittels Chicken-Teriyaki-Sandwich affirmieren. Die ubiquitäre Wahlfreiheit im von Algorithmen gefilterten Überschuss allerdings treibt dem Leben den reizvollen Zufallsfund aus. (10.01.18)

 

Der Elfenbeinturm als Kerker

Mit ihrer Ökonomisierung ist der Universität die Freiheit abhanden gekommen, die erst Erkenntnisfortschritte ermöglicht. In seinem Blog „Kultur/Reflexion“ setzt sich Dirk Rustemeyer mit der geistfeindlichen akademischen Bürokratie und der Frage auseinander, ob Universität nur noch außerhalb der Universität möglich ist. (10.01.18)

Noch ein mutmaßlich männlicher Mensch. (Photo: Madeinitaly, pixabay.com, CC0)

 

Lichtspiele

Wohin Selbstoptimierung und Digitalisierung führen, zeigt der dystopische Film „Life Guidance“, auf den der Standard hinweist. Die WELT wiederum macht Feu anscheinend nur noch für Leute, die ihr Bücherregal wegrationalisiert haben („Simplify your Life“ halt). So geht sie der Forderung der Drogenbeauftragten auf den Grund, in deutschen Filme dürfe nicht mehr so viel geraucht werden (wg. d. Vorbildfunktion, die Filme nicht haben). Außerdem empfiehlt die WELT die Amazon-Serie „Electric Dreams“, in der Philip K. Dicks frühe Science-Fiction-Geschichten verarbeitet werden (die ZEIT ist davon eher nicht so begeistert), die Doku „Prepper – Leben für den Ernstfall“ über Leute, die sich auf den Zusammenbruch der Zivilisation freuen (weil sie vorbereitet sind) und den Kinofilm „Die dunkelste Stunde“, in dem der famose Gary Oldman keinen anderen als Churchill darstellt – und extrem viel raucht:

Im Computerspiel „Far Cry 5“ ballert man sich durch eine von einer talibanesk-evangelikalen Sekte beherrschte Red-Neck-Provinz. Dass erstmals weiße amerikanische Christen im Visier des Spielers sind, hat in den USA für einige Unruhe gesorgt. Das religionswissenschaftliche Blog „Marginalien“ untersucht ganz nüchtern die im Spiel dargestellten Sektenstrukturen.

 

Radio

Über das Buzzword „Nachhaltigkeit“ geht es beim Philosophischen Radio des WDR 5 mit dem Soziologen Sighard Neckel und Jürgen Wiebicke. Morgen Mittag im DLF widmet sich Sein und Streit dem Guten und dem Skandalösen, zuvor geht es in Essay und Diskurs um die Gründe für die Neuentdeckung der Natur in der Literatur und heute ist ab 23:05 Uhr die Lange Nacht über Cole Porter zu hören, von dem jeder auf der Welt mindestens ein Lied kennt.

 

Bücher

Der Tagesspiegel stellt Jonas Grethleins Buch über die Kunst des Erzählens anhand von Homers Odyssee vor. +++ Jürgen Nielsen-Sikora ist bei Glanz & Elend so begeistert von Emmanuelle Loyers Lévi-Strauss-Biographie, dass er nach über 1.000 Seiten gern weitergelesen hätte. +++ Auch die NZZ bespricht Robert Pfallers Plädoyer für mehr Erwachsenensprache und weniger funktionselitäres Mimosentum. +++ Und noch ein Buch für den Trend zum Opfer, diesmal aber historisch: Die NZZ weist auf Svenja Goltermanns Studie über die „Wahrnehmung von Krieg und Gewalt in der Moderne“ hin. +++ Außerdem freut man sich in Zürich über die bislang nur auf Französisch vorliegende Edition der Briefe, die Albert Camus mit (einer) seiner Geliebten Maria Casarès zwischen 1944 und 1959 austauschte. +++ Algorithmen sind wie Schusswaffen harmlose Werkzeuge, bis sie in falsche Hände gelangen: Die FAZ bespricht Cathy O’Neils Buch, in dem sie einen hippokratischen Eid für Programmierer fordert.

Und noch ein mutmaßlich männlicher Mensch. (Photo: StockSnap, pixabay.com, CC0)

 

Das Weitere und Engere

Ab in die Berge: Für das Unbiblog der FAZ unterhält sich Allegra Mercedes Pirker mit Linda Koch, die ihr Erasmus-Semester in keiner überlaufenen Partymetropole verbringt, sondern in Südtirol. +++ Für die FAZ blickt Carolin Wiedemann auf das rechte Geschlechterbild zwischen theweleitschen „Männerphantasien“ und „weißer Scharia“, das von der AfD bis zur Alt-Right-Bewegung gepflegt wird. +++ Die taz (genauer: die dpa) wundert sich, warum ein Gespräch mit Hannah Arendt auf Youtube über 1 Mio. Klicks hat. +++ Die Jugend von heute weiß mit ihrer neoliberalen Freiheit nichts besseres anzufangen, als sich das Leben mit zwanghaftem Perfektionismus zu versauen, wie eine Studie belegt, über die Telepolis berichtet. +++ Klaus Theweleit hat dem Deutschen Literaturarchiv seinen Vorlass übergeben – in Gestalt von Schriftrollen, wie der Freitag meldet.

Schreiben Sie einen Kommentar