Links der Woche, rechts der Welt 01/18

Exportschlager Antifa

Der Amtsantritt Donald Trumps hat Nazis, Rassisten und Antisemiten in den USA Morgenluft wittern lassen, aber auch eine Bewegung ins öffentliche Blickfeld gerückt, die ein in Europa bewährtes Gegengift zu völkischem Größenwahn ist. Lukas Hermsmeier berichtet in der ZEIT über die Antifa, die in den USA für Angst und Schrecken sorgt. (30.12.17)

 

In den Augen einer Farbökologin

Qualia sind ein schönes Beispiel für prinzipielle Grenzen der Erkenntnis: Sibylle Anderl und Joachim Müller-Jung machen das in der FAZ am Beispiel der Farben deutlich, deren Wahrnehmung kulturell-sprachlich geprägt oder universal sein könnte – eine Debatte, in der Philosophie, Biologie und neue Spezialdisziplinen wie „Visualökologie“ oder „Neuroethologie“ gefragt sind. (01.01.18)

 

Die Krankheit als Waffe

Seit den 1960ern wächst die Skepsis, ob die Psychiatrie nicht eher den Wahnsinn hervorbringt, den sie therapieren soll. Theodor Schaarschmidt zeichnet in der ZEIT die Geschichte der Antipsychiatrie-Bewegung nach, die Behandlung als Repression erkannte und etwa in Gestalt des Sozialistischen Patientenkollektivs (SPK) den politischen Kampf aufnahm. (02.01.18)

 

Freiheit als Mythos der Mächtigen

Was Kunst dürfe ist Gegenstand von Debatten, die lauter denn je geführt werden und nie ohne Zensurvorwurf auskommen, wie Julia Pelta Feldman in der ZEIT resümiert. Allerdings sei Misstrauen angebracht, wenn Proteste gegen das sexistische und rassistische Kulturerbe pauschal als moralische Hysterie abgetan werden. (02.01.18)

 

Moralisches Wohlstandsgefälle

Von Werten zu schwatzen ist heutzutage leichter als sich Tugenden, Pflichten oder Normen zu verpflichten, schreibt Wolfgang Ullrich in der NZZ. Denn Werte lassen dem modernen Individualisten den Spielraum, der sich mit materiellen Ressourcen füllen lässt – was die weniger Besitzenden auch moralisch auf Abstand hält. (03.01.18)

Transatlantisches Denken

Die US-amerikanische Nationalphilosophie des Pragmatismus (und ihr Gegenstück, der Transzendentalismus) entstand im 19. Jahrhundert vor allem durch regen Austausch mit britischen, aber auch deutschen Denkern. Stephan Wackwitz zeichnet in der taz das intellektuelle Pingpong deutsch-amerikanischer Philosophie (Emerson, Thoreau, Alcott, James und Dewey) nach. (03.01.18)

Konfuzius kommt krass

Urs Schoettli schreibt in der NZZ über die Renaissance des Konfuzius und seiner Pflichtethik in China, wo man ein halbes Jahrhundert nach der Kulturrevolution und mitten im Abstieg des Marxismus im guten alten Staatsdenken eine Ideologie wiedergefunden hat, die systemstabilisierend und flexibel ist. (05.01.18)

Lichtspiele

Die FAZ empfiehlt den ARD-Film „Krügers Odyssee“, in dem drei bierphilosophische Rentner auf den Spuren Homers und Platons wandeln. (Bis Anfang April in der Mediathek zu sehen.) +++ Agnieszka Holland hat mit „Die Spur“ einen Ökofeminismus-Thriller vorgelegt, der im klerikal-konservativen Mainstream ihrer polnischen Heimat (und den ähnlich tickenden USA) für Empörung sorgt. Die WELT zeigt sich fasziniert von dem ungewöhnlichen Film, die ZEIT ebenfalls und die taz unterhält sich mit der Regisseurin über patriarchale Brutalität und deren Überwindung.

 

Radio

Beim Philosophischen Radio des WDR 5 unterhält sich Jürgen Wiebicke diesmal mit Andreas Reckwitz über Individualität in der Gesellschaft. Sein und Streit im DLF blickt morgen Mittag u.a. auf die Studentenrevolte von 1968 zurück. Bei Essay und Diskurs unterhielten sich am Neujahrsmorgen Dirk Baecker und Frank Kaspar über die höhlengleiche Wirklichkeit in Zeiten ihrer medialen Vermittlung und morgen früh wird ein Feature von Markus Metz und Georg Seeßlen über serielles Erzählen wiederholt. Bis dahin kann man auch durchmachen mit der Langen Nacht im DLF, die sich heute ab 23:05 Uhr der Winterreise als Epos und Metapher widmet.

 

Bücher

Das Buch verliert an Attraktivität, weshalb Jörg Bong in der FAZ – als Geschäftsführer der S. Fischer Verlage nicht ganz uneigennützig – für den Erhalt dieser mächtigen Kulturform wirbt. +++ Als wäre Pubertät nicht schon hart genug, stellt die NZZ drei aktuelle Beispiele von Jugendliteratur vor, die keine Erfolgsgeschichten sind, da ihre jungen Protagonisten von Angst- und Zwangsstörungen geplagt werden. +++ Ganz angetan ist die NZZ von Thomas Hettches Essayband „Unsere leeren Herzen“, der für die Literatur als Rettungsanker in der Informationsflut wirbt. +++ Das Weisheitsbuch des chinesischen Philosophen Zhuangzi liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor, wie sich der Tagesspiegel freut. +++ Als Politiker noch vernünftige Bücher schrieben: Wolf Lepenies erinnert in der WELT an das vor 100 Jahren erschienene Buch „Von kommenden Dingen“, in dem Walther Rathenau vor den seelischen Verheerungen der mechanisierten Moderne warnte. +++ Der Standard empfiehlt Robert Pfallers Pamphlet gegen die infantil-postmoderne Sprache des Neoliberalismus. +++ Die ZEIT bespricht dagegen den Essayband „Die Mutter aller Fragen“, in dem Rebecca Solnit die systemische Gewalt patriarchaler Sozialstrukturen untersucht. +++ Frischfleisch für E-Book-Farmer: Telepolis hat mal geguckt, wessen Werke neben denen Aleister Crowleys seit Neujahr gemeinfrei sind. +++ Der Schluss ist das beste: Die SZ hat einige Autor_innen nach den schönsten letzten Sätzen gefragt, mit denen ein Buch aufhört.

 

Deutschland, du Opfer.

Neulich ward hier vermeldet, die anscheinend ziemlich unterforderte Hamburger Polizei habe Strafanzeige gegen Konkret gestellt. Die hat inzwischen den inkriminierten Boykott-Aufruf Leo Fischers gegen Deutschland ins Netz gestellt. Komisch-juristischer Ärger auch anderswo dank des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das für eine zeitweise Sperrung des Twitter-Zugangs sowohl diverser AfD-Hassprediger als auch der sie karikierenden Titanic sorgte, wie u.a. die FR berichtet. Titanic darf inzwischen wieder twittern, derzeit mit Alexander Gauland Dobrindt als Gastautor, der auch hier für die Konservative Revolution wirbt, weil man unter dem linksgrünen Tugendterror ja nicht direkt für den Nationalsozialismus werben darf. Zeit für „La deutsche Vita“ von Das Neue Nichts:

 

Das Weitere und Engere

Als Nachtrag zu Weihnachten ist in der FAZ ein kleines Stück von André Kieserling über die Theorie des Schenkens in Ökonomie und Kommunikationswissenschaft zu lesen. +++ Mittels Augmented Reality können Tech-Unternehmen den öffentlichen Raum beliebig überformen, worauf Städte und Kommunen politisch noch gar nicht vorbereitet sind, wie Philipp Bovermann in der SZ warnt. +++ Nach dem Fairphone kommt nun die Maus: Die FR berichtet, die niedersächsische Polizei werde mit Computermäusen aus regionalem Holz und fairer Produktion ausgestatte. +++ Der Qualfleischkonzern Wiesenhof steigt nun in die Entwicklung von Retortenfleisch ein, wie die taz meldet. +++ Florian Freistetter erfreut sich in seinem Scienceblog an den unendlich vielen Unendlichkeiten, die wir Georg Cantor verdanken. +++ Nebenan bei Schwein & Zeit ging es diese Woche um Philosophie in Blogform unter der Fragestellung: Wozu das alles?

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