Abrittanbieter bis Computer

Abtrittanbieter

Was heißt schon anrüchiges Gewerbe in Bezug auf andere Berufe, wo ein Abtritt-anbieter (österr.: Buttenmann/-frau) doch wortwörtlich den ganzen Scheiß vor der Nase bzw. auf den Schultern hatte. Zwei Eimer an Ketten, ein Joch, dazu ein weiter Umhang – fertig war die Arbeitsausrüstung. Um die Jahrhundertwende 18./19. Jh. fand sich dieser Beruf in einigen größeren Städten mangels Kanalisation, und er ermöglichte die Verrichtung der Notdurft nahezu überall, wo man den Abtrittanbieter antraf. Es handelte sich sozusagen um den Vorläufer des Dixi-Klos, nur eben in der Variante to go. Vor Blicken geschützt durch den weiten Mantel des Dienstleisters nahm man also auf dem Eimer Platz und zahlte nach erfolgreicher Er- bzw. Entledigung. Ein weiteres Mal klingelte die Kasse, wenn dann der gesammelte Urin zu Geld gemacht wurde, und zwar bei den Gerbern und den Salpetersiedern. Weil heutzutage vor allem aus Scheiße Geld gemacht wird (siehe Werbung), ist dieser Beruf ausgestorben, aber eben auch wegen der Kanalisation, die dann kam. Er wäre heute stellenweise wieder vonnöten, z.B. bei Festivals, Fußballspielen oder Faschingsveranstaltungen. Wer weiß, vielleicht ist er gar nicht ausgestorben, sondern pausiert nur. (mk)

Alchemist

„Nimm hinweg die Erde von dem Feuer, das Feine von dem Groben, mit Vorsicht und Kunst. Und in ihm ist die Kraft des Obersten und des Untersten.“ Der Satz stammt aus der Tabula Smaragdina, die angeblich von Sarah, der Frau Abrahams, im Tal Hebron in den Händen des Leichnams von Hermes entdeckt worden sei und die Grundlage der Alchemie darstellt. Der Verfasser Hermes Trismegistos (dreimal großer Hermes) ist eine synkretistische Göttergestalt in der sich der griechische Gott Hermes und der ägyptische Gott Thot vereinen. Daraus entwickelte sich das Corpus Hermeticum, eine Sammlung von Traktaten und Predigten (100-300 n. Chr.), die in der Renaissance wiederentdeckt wurden und in den Besitz von Cosima de Medici gelangten. Bis heute fasziniert viele Menschen die Alchemie. Mit dem Stein der Weisen könne man nicht nur Gold herstellen, sondern auch sein Leben verlängern und seinen Geist veredeln. Der Ursprung des Wortes „Alchemie“ könnte vom griechischen cheo, ich gieße, abgeleitet sein, und mit dem arabischen Artikel al vermischt. Es könnte aber auch eine Verwandtschaft mit der hebräischen Wurzel Khams, Idee der Wärme, möglich sein, die identisch ist mit dem Kam des Sanskrit und mit dem griechischen kamno. Der Alchemist Johann Rudolph Glauber (1604–1670) vermutete  in seiner Abhandlung „De natura salium“, der Name sei aus Hal-chimia, Salzkochung, entstanden. Die beste Erklärung stammt von Plutarch (lebte 45 bis 125 n. Chr.), der Name Alchemie sei aus al-Kemia, al-Chemie entstanden, ein arabisches Wort mit seinem Artikel, das schwarze Erde bedeutet, der Name des alten Ägypten. (bh)

Ankerwart

Jedes Schiff ab nennenswerter Größe, aber auch jeder Verein, der sich mit nautischem Erbe und Andenken befasst, brauchte einen Ankerwart. Der Ankerwart sorgt sich um die Lubrikation der sogenannten „Ankerkette“ und hält dem Anker frei von Korrosion. Denn wie sagt das Sprichwort: „Ein gepflegter Anker ist ein Anker im Seegrund!“ (bd)

Annoncen-Akquisiteur

Ein namhafter Vertreter des alten Berufs eines Annoncen-Akquisiteurs ist Leopold Bloom im Ulysses. Verbissen kämpft er sich durch. Wir lesen: „Mr. Bloom, völlig außer Atem, nahe den Büros des Irish Catholic und des Dublin Penny Journal in einen Strudel wilder Zeitungsjungen geraten, rief: Mr. Crawford! Einen Moment! […] Was ist denn? sagte Myles Crawford und blieb einen Schritt zurück. […] Es ist bloß wegen der Annonce, sagte Mr. Bloom, indem er sich mit kräftigen Knüffen zur Treppe vorarbeitete, schnaufend, und den Ausschnitt aus der Tasche zog. Ich habe grad mit Mr. Keyes gesprochen. Er will auf zwei Monate erneuern, sagt er. Dann wartet er erstmal ab. Aber er möchte auch einen kleinen Artikel im Telegraph, in der rosa Samstags-Ausgabe. […] Aber daß er erneuern will, hat er praktisch schon versprochen. Er möchte nur einen kleinen Aufreißer dazu. Was soll ich ihm sagen, Mr. Crawford? Ach, richten Sie ihm doch aus, er kann mich im Arsch lecken, sagte Myles Craw-ford, indem er, seinen Worten Nachdruck zu geben, den Arm ausstreckte. Und das sagen Sie ihm bitte stallfrisch, ja? […] Nun, sagte Mr. Bloom […], wenn ich die Vorlage bekomme, denke ich doch, daß die Sache einen kurzen Werbeartikel wert ist. Ich glaube bestimmt, daß er uns den Auftrag gibt. Ich werde ihm sagen… Er kann mich in meinem königlich irischen Arsch lecken, schrie Myles Crawford laut über die Schulter zurück. Jederzeit, wo’s ihm paßt, sagen Sie ihm das.“ Die Atmosphäre kommt uns nahe: derbe Ausdrucksweise, „außer Atem“, „Zeitungsjungen“, „Büros“, „auf zwei Monate erneuern“, „einen kleinen Aufreißer“. (ws)

Bergmann

Der Bergbau wird bzw. wurde hierzulande unweigerlich mit dem Ruhrgebiet verbunden. „Dein Grubengold / hat uns wieder hochgeholt“, wie schon Grönemeyer wusste. Das dieses Hochholen allerdings in gesellschaftlich und sozial sehr unterschiedlicher Lastenverteilung vollzogen wurde, kann den Kämpfen der Gewerkschaften und Bergwerksdichter entnommen werden. Der Lindener Heinrich Kämpchen fand in seiner kämpfenden Kunst klare Worte: „Habe dreißig lange Jahre / Nur für andere gestrebt / Abgerackert bis aufs Blut mich / Vegetiert und nicht gelebt“. Heute fährt in Bochum, Essen und Duisburg niemand mehr ein, nur in Bottrop (Prosper-Haniel) ist eine letzte Zeche in Betrieb. Der Tod des letzten Steinkohle-Bergwerks im Ruhrgebiet wird aktuell durch (demnächst auslaufende) Subventionen künstlich am Leben gehalten. Das letzte Grubenpferd, Tobias, ging bereits 1966 in Rente. Die Vergangenheit wird museal und pittoresk, als verharmloste Verklärung der Vergangenheit, als Industriekultur, in Extra-Schichten und, sehr wichtig, als kunstvoll und insbesondere bunt beleuchtete Architektur dargestellt. Man halte Goethe dagegen: „In bunten Bildern wenig Klarheit / Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit“. (sr)

Beutelschneider

Der Beutelschneider ist klassisch eher Berufung als Beruf. Der Beutelschneider widmet sich dem illegitimen Erwerb von Geld und Geldeswert. Sein Ansehen ist bescheiden, die Vermögenswerte mitunter beträchtlich. (bd)

Blockwart

Den Blockwart kennt man heutzutage überwiegend als Schimpfwort, dabei hatte er seinerzeit unter den Nationalsozialisten durchaus eine staatstragende Funktion. Seine Aufgaben umschrieb das Hauptschulungsamt der NSDAP so: Er muss alles erfahren. Er muss sich überall einschalten. Der Blockwart war derjenige, der auf unterster Ebene alle auf Linie brachte und jene, die nicht auf Linie zu bringen waren, meldete. Der Beruf starb aus, weil es um 1945 zunehmend schwierig wurde, die Menschen auf Linie oder zum Volkssturm zu bringen bzw. überhaupt noch Menschen außerhalb der Keller oder Bombentrichter und Schlachtfelder zu finden. Nach 1945 wurde der Beruf dann nicht wieder belebt – ein Fehler, wie sich heute zeigt. Nicht nur das Handwerk hat Fachkräftemangel; auch in diesem Bereich mangelt es an Nachwuchs. Doch zum Glück gibt es innovative Unternehmen, die mithilfe der Digitalisierung diese Lücke schließen können. So verkauft Google seit kurzem den Blockwart Home; zuvor gab es schon den Konkurrenzblockwart Echo von Amazon. Der Nachteil ist freilich, dass sie Geld kosten, aber dafür sehen sie schick aus und können in verschiedenen Farben geordert werden. Das war beim Vorgängermodell noch nicht möglich, das gab es nur in braun. 1935 gab es übrigens etwa 200.000 Blockwarte. Weil die Menschen heute viel smarter sind, wird diese Marke aber sicherlich bald geknackt. (mk)

Caesar

Ein heute ausgestorbenes Metier ist das der C.es. Ursprünglich war C. das Branding eines Familienunternehmens, das jedoch in Schwagerhände fiel und dann nicht mehr als Firmenname, sondern als Berufsbezeichnung gehandelt wurde. Gründer der in der römischen IHK (Imperatoren- und Herrscherkammer) eingetragenen GmbH ist Herr G. Julius, übernommen hat den Betrieb sein Großneffe August. Der C.-Profession gab der mit dem Clan der C.-Kette verschwägerte Herr N. ein neues Profil, denn er betrachtete sich dezidiert als Künstler. Dass er im Zuge einer Grundsanierung der maroden Gesellschaft die Produktionsanlage in Schutt und Asche gelegt habe, ist ein Gerücht, das sich trotz Beweises des Gegenteils in der Betriebsgeschichte festsetzte. Es wäre auch ein Missverständnis, den Beruf des C.s mit „Unternehmensleitung“ zu identifizieren. Vielmehr ist er mit der Bezeichnung „Meister“ verwandt, der via „Brief“ oder „Titel“ verliehen wird. Der C.-Titel ist jedoch ausschließlich in der Sparte der höheren Staatsdiener üblich, bei denen es unerheblich ist, ob er verdient ist oder nicht. Letzter C. war ein Herr Heinrich Staufer in Deutschland, der seinen Dienst überaus ernst zu nehmen pflegte. (oh)

Computer

Ein Computer war die längste Zeit der Menschheitsgeschichte für aufwändige Berechnungen vor allem für astronomische und religiöse Zwecke zuständig. So brachte der Übergang von der jüdischen zur römischen Zeitrechnung manchen Computator Ecclesiasticus in Lohn und Brot, der das alljährliche Osterdatum auszuknobeln hatte, und wer eine Sonnenfinsternis vorauszuberechnen verstand, war der Held jeder Menschenfresserparty. Nach dem Mittelalter kam alsbald das Militär als Betätigungsfeld für Computer hinzu: Festungsstatik, ballistische Flugbahnen, Marschdistanzen – was gab es nicht alles zu berechnen für Volk und Vaterland!

In der New York Times tauchte das Wort erstmals am 2. Mai 1892 in einer Kleinanzeige der US-Marine mit dem Titel „A Computer Wanted“ auf, wobei Kenntnisse in Algebra, Geometrie, Trigonometrie und Astronomie vorausgesetzt wurden. Das britische Team um Alan Turing, das während des Zweiten Weltkriegs mit dem Knacken der deutschen Engima-Verschlüsselung beschäftigt war, dürfte zu den letzten richtigen Computern gehört haben, indem sie den entscheidenden Beitrag zur Obsoleszenz ihres Metiers leisteten: Die Turing-Maschine übernahm fortan und mehr und mehr das Rechnen. Die US-Computeusen um Jean Jennings taugten als hochbegabte Mathematikerinnen nach dem Krieg nur noch für das Programmieren, d.h. Umstöpseln der Schaltkreise des ENIAC (Electronic Numerical Integrator and Computer), dessen hausgroßes Vorgängermodell von einer hineingeflatterten Motte lahmgelegt worden war, weshalb Computerpannen durch Programmfehler bis heute „bug“ genannt werden, obwohl längst kein lebendes Wesen mehr zwischen die Schaltungen passt. (gf)

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