Der Pöbel, die Plebs, das Pack

Populisten sind weltweit dabei, die Art von Demokratie wiederherzustellen, vor der Platon eindringlich warnte. Das Staatswesen ist nur was für den dazu berufenen Geistesadel, der Rest sollte mal besser bloß seinen schlichten Vergnügungen nachgehen.

von Timotheus Schneidegger, 20.03.2017, 15:49 Uhr (Zwote Dekade, 1/2)

Donald Trump hat in den ersten 100 Tagen seiner US-Präsidentschaft klar gemacht, die Welt für seine lieblose Kindheit im goldenen Käfig bezahlen lassen zu wollen. Die Gegenaufklärung hat, indem sie dieses Riesenbaby auf den Thron wählte, dem Neofeudalismus die zynische Agraffe eingesetzt.

Dass die Rache einer frustrierten Wählerschaft an der herrschenden Ordnung mit demokratischen Mitteln erfolgreich war, widerlegt einerseits den bloßen Showcharakter von Wahlen. Andererseits hält das Trump nicht davon ab, gegen jede Realität von Wahlbetrug zu schwatzen. Und wieder andererseits bestätigt die Art und Weise seines Wahlsiegs das Urteil der Politiksoziologen Gaetano Mosca und Vilfredo Pareto, wonach eine Elite durch eine andere abgelöst werden mag, die breite Masse aber nie an deren Stelle trete. Der Populismus ist somit „besonders raffinierte Strategie bei der Aufrechterhaltung der Elitenherrschaft“ (Herfried Münkler).

Trump hat durch eine geschickte Wahlkampagne die Mehrheit der bundesstaatlichen Elektoren erhalten, nicht die der absoluten Stimmen. Seine Zustimmungsrate von 38 % (Gallup Polls) drei Wochen nach Amtsantritt bestätigt die seit November 2016 gehegten Vermutungen, lediglich eine Minderheit in der Minderheit seiner 63 Mio. Wähler (gegenüber den 66 Mio. Stimmen für Rodham Clinton) habe für Trump gestimmt. Die Mehrzahl hat gegen Rodham Clinton und die Fortsetzung der „World as we know it“ (REM) votiert und scheinbar bekommen, was sie wollte.

Enttäuscht von einer postindustriellen Wirtschaftspolitik zugunsten der Großkonzerne haben sie eine Regierung der Reichen durch die Reichen für die Reichen mit dem ewig uneingelösten Versprechen des Trickle-down-Effekts bekommen. Enttäuscht vom Tricksen und Täuschen des Establishments haben sie eine Regierung bekommen, die den Unterschied zwischen Schein und Sein aufhebt, um sich alles erlauben zu können.

Photo: Michael Helming

Jeder wäre gern adelig, aber herrschen sollen bitteschön andere: Besucher im Schlosspark Lütetsburg, Photo: Michael Helming

Polybios und Platon haben Trump kommen sehen.

Obwohl Hannah Arendt, George Orwell und Victor Klemperer die Autoren der Stunde sind, lohnt der tiefere Griff ins Buchregal, um zu verstehen, wie es sich mit dem neuen Geldadel und seinen zornigen Untertanen verhält. Trumps Präsidentschaft ist nämlich kein Betriebsunfall. Vielmehr vollendet sich mit ihr eine Verfallsgeschichte, die sich allzu gern übersehen in der US-amerikanischen Politik und Kultur längst abzeichnete und den antiken Staatsphilosophen zufolge allen Gemeinwesen eigen ist.

Der von Polybios beschriebene Verfassungskreislauf baut auf der aristotelischen Staatsphilosophie auf, die sich wiederum auf die Politeia Platons stützt. Jede Regierungsform kommt in den Geschmacksrichtungen „gut“ und „schlecht“ daher, abhängig davon, ob sie am Gemeinwohl oder am Eigennutz orientiert ist. Sie lösen einander theoretisch und praktisch nach bestimmten Regeln ab, wie es im 8. Buch der Politeia beschrieben und von Polybios als Historiker „empirisch“ bestätigt wurde: Nach ihrer idealistischen Gründungsphase zerfallen Gemeinwesen in oligarchische Dynastien, die Geld und Macht anhäufen. Während die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, verlieren Werte und Grundsätze an Bedeutung, bis alles erlaubt ist, weil nichts außer dem Erfolg mehr zählt. Der rücksichtsloseste Volksfreund gewinnt die Gunst der Leute mit dem Versprechen, sie von dem Chaos zu erlösen, zu dessen Verursachern und Profiteuren er gehört. Die Absicherung seiner errungenen Macht führt in die Tyrannei, deren Sturz ebenso unabwendbar ist wie die Neubegründung des Gemeinwesens durch vernünftige Idealisten, mit der alles von vorn beginnt.

Illu: Georg Frost

(Illu: Georg Frost; in der Mitte: Symbolbild für die Herrschaftsverhältnisse in den USA, Schachfiguren von portablejim und Anonymous, openclipart.org)

An welcher Stelle dieses politischen Samsaras sich die USA gerade befinden, ist schwer zu sagen, da man seit der Antike den Rat des Polybios beherzigt, mit einer Mischung der verschiedenen Verfassungsformen ihren Verfall zumindest zu verzögern. Im mächtigen US-Präsidentenamt ist die antike Basilie wiederzuerkennen, in Schach gehalten von einem aristokratischen Obersten Gerichtshof und diversen Demokratie-Instanzen auf allen staatlichen Ebenen von der Kommune bis zum Kongress.

Schon Polybios unterschied – wie Rousseau später mit den Begriffen des volonté générale und des volonté de tous – das Gemeinwohl von der Summe der Einzelinteressen. Es sind die Parteien, von denen man in der Antike noch nicht ahnen konnte, dass sie Vehikel der (unvermeidlichen) Abkehr vom Gemeinwohl sein würden. Als vor den Wahlen kaum jemand einen Sieg Trumps für möglich hielt, wurde seine Nominierung als Zeichen des Niedergangs der Republikaner gedeutet. Die „Grand Old Party“ stützt sich auf eine demographisch schwindende Wählerbasis und ist zerrissen zwischen Konservativen und der Tea-Party-Bewegung. Schon dass führende Republikaner an ihrem offenkundig inkompetenten Kandidaten trotz seiner leidlich dokumentierten Eskapaden festhielten, wurde als der Frevel gewertet, die Partei über das Land zu stellen.

Die Republikaner blockierten Obamas Benennung eines Nachfolgers für den im Februar 2016 verstorbenen Obersten Richter Antonin Scalia, bis Trump ins Amt kam und seinen konservativen Kandidaten Neil Gorsuch einsetzen konnte. Von den neun auf Lebenszeit berufenen Richtern des Supreme Court sind drei 79 Jahre oder älter; wenn die Republikaner für alle drei die Nachfolger berufen können, haben sie die zwei verbliebenen von demokratischen Präsidenten berufenen Verfassungsrichter auf Jahrzehnte marginalisiert.

Der für europäische Verhältnisse befremdliche Enthusiasmus der Parteianhänger darf nicht über die eisenhart vermachteten Strukturen in den Parteien selbst hinwegtäuschen. Während die gespaltenen Republikaner einen Präsidentschaftskandidaten Trump nicht verhindern konnten, gelang es den inzwischen genauso zerstrittenen Demokraten auf wohldokumentierte Weise, Bernie Sanders trotz seiner großen Anhängerschaft gegen Rodham Clinton auszubooten.

Und selbst wenn sie noch eine Wahl haben wollten, hätten Anhänger der beiden Großparteien kaum noch eine. […]


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