Einleitung ins Titelthema „Häuser“

Es gibt einen Gassenstrich sensitiver Literaten. „Die Fischerstiege gehört mir!“ ruft der eine, und „mir die Domgasse!“ der andere. Eine Sorte von Snobs, die die alten Häuser betrachten und die neuen bewohnen möchten. Sie wollen wenigstens schützen, was sie nicht nützen können. Sie möchten ohne Dampfheizung, Warmwasserleitung und Lift nicht leben und halten ihre Hand segnend über den Basalten. Alter Käse schmeckt besser; aber Häuser, die schon durch sind?
– Karl Kraus, Die Fackel Nr. 237, 02.12.1907, S. 1

von Timotheus Schneidegger, 20.12.2014, 23:11 Uhr (Zwote Dekade, 1/2)

Häuser dienen zum Arbeiten oder Leben, auch wenn es Gottes-, Park- und Zuchthäuser gibt. Der Wikipedia-Etymologie nach ist es schützende Hülle, wie wir sie auch noch im Wort Gehäuse finden. Das Bedürfnis, über den unbefellten Leib eine zweite Haut zu streifen, wird verlängert in dasjenige, den ganzen Klumpatsch, den das Mängelwesen Mensch zum Überleben anhäuft, gleichfalls vor Wind und Wetter zu schützen. So sucht sich der Mensch einen Platz zum Bleiben und baut sich ein Haus, was so eng mit der Familiengründung verbunden ist, dass nur Sonderlinge ein Haus allein bewohnen. Dessen Grundriss war die Stilvorlage für den hebräischen Konsonanten Beth, mit dem die Tora beginnt und der als Wort ebenfalls „Haus“ bedeutet.

Lichtwolf Nr. 48, Titelthema: Häuser

Der Übergang von der Viehzucht Kains zum Ackerbau Abels liegt zu lange zurück, um die Romantik des Hausbaus noch unvermittelt erleiden zu können. Der IKEA-Katalog verspricht den Jobnomaden, auch unter fremden Dächern endlich leben statt nur wohnen zu können, während sich das Kapital vor der Nullzinspolitik in die Unbeweglichkeit flüchtet, also in Immobilien. Die werden im Englischen „Real Estate“ genannt, weil nur Grundbesitz wahrer Besitz ist. Grundbesitzer und Miethaie, Bausparbanker und Anlageberater leben davon, dass der allzumenschliche Traum von Heimat und Zuhause nie ausgeträumt ist, auch wenn die eigenen vier Wände nie die eigenen sind – weder hat man sie selbst errichtet, noch ist der Kram zu Lebzeiten abbezahlt.

Macht man sich ohne Smartphone schon verdächtig, so gehört eines ohne Meldeadresse sonnenklar zum Geschlechte Kains, vor dem die brav opfernden Sesshaften Fensterläden, Tür und Tor verriegeln. Der fröhliche Vagabund ist wie jeder Schlagerprotagonist Sehnsuchts- und Hassfigur zugleich für das Bürgertum, das Häuser besitzt und von ihnen besessen ist. Architekturkritiker Niklas Maak macht in seinem Buch „Wohnkomplex“ die bürgerliche Sehnsucht nach Wohnen im Grünen nicht nur für Schandbauten im Landlust-chic verantwortlich. Das Einfamilienhaus mit zwei Autos in der Einfahrt hat sowohl ökonomisch wie ökologisch keine Zukunft mehr, weshalb das Bauen ganz anders gedacht werden müsse.

Diese Aufforderung erging auch 1951 in Heideggers Vortrag „Bauen Wohnen Denken“ (GA 7; nicht zu verwechseln mit Botho Straußens „Wohnen Dämmern Lügen“, worin es 1994 hieß: „Im Haus des Seins werden polternd die Möbel gerückt.“). Er wendet sich implizit gegen eine Auffassung wie die le Corbusiers wandte, wonach das Haus eine Maschine zum Wohnen sei, und gibt dem Wohnen in der Welt – anders als IKEA – den Vorzug vor dem Leben auf der Erde. Die Wohnungsnot besteht für den Hüttenbewohner nicht im Mangel an Wohnraum, sondern darin, dass Wohnen „nie als der Grundzug des Menschseins gedacht“ wird: Bauen, pflegen, hüten, wohnen und sich aufhalten sind eins. Philosophie ist Architektur im Wortsinne, nämlich „das sagende Bauen am Seyn durch Erbauen der Welt als Begriff“ (GA94, S. 212). Für das Wohnen im Geviert aus Himmel und Erde, Göttlichen und Sterblichen gibt Heidegger als Beispiel den Schwarzwaldhof, der mit Rücksicht auf Wind und Wetter in die Landschaft gefügt ist, handgezimmert mit Herrgottswinkel, Kindbett und Totenzimmer. Auf gleiche Weise ist die Sprache Haus des Seins, das dem Mensch ein Wohnen gewährt und in dem sich Wahrheit ereignet – sofern man sich an die Hausordnung hält.

Auch fern des Todtnaubergs erweisen sich Häuser als allgegenwärtige und darum unsichtbare Hauptsache des Menschen, dessen Beziehungen nach dem Muster des aristotelischen oikos (im Unterschied zur polis) geprägt sind; in der totalen Ökonomie mehr denn je.


Lichtwolf Nr. 48

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