Der Lichtwelpe: Nobelpreisträger wer’n

Die Klo-Kim kennt bereits die Antwort auf die berechtigte Frage, wozu die ganze Lernerei gut ist. Nur den Sinn der Quantität derer sieht sie noch als zu Erfragendes und hat sich an den Lichtwelpen gewandt. Fürsorgliche Betreuung durch Beantwortung gibt der liebe Michael Helming.

von Michael Helming, 20.03.2013, 21:03 Uhr (Zwote Dekade, 1/2)

Lichtwelpe-Zuschrift Nr. 41

Hochgeschätztes Fräulein Kim-Chloë,

kein Geringerer als Karl Kraus brachte die Quintessenz jener Problematik, die Sie in Ihrer liebenswerten Zuschrift so beherzt ansprechen, bereits im Februar des Jahres 1900 weise auf den Punkt: „Es ist zu erwarten, dass das Expertengeschäft in Zukunft kräftig aufblühen wird. Besonders, wenn die Experten billig werden.“ (Die Fackel Nr. 33, S. 18.) Nun wollen wir Ihrem Lehrkörper nur die besten Absichten unterstellen, so er aktiv Ihre Partizipation an jener – damals noch aus weiter Ferne prophezeiter und inzwischen vermeintlich partiell eingetretener – Blütezeit anregen und fördern möchte, obwohl bei aller Ausrichtung auf diese Bestimmung ganz offensichtlich der Aspekt der Billigkeit unterschätzt wird, welcher hier weder juristisch noch pejorativ zu verstehen ist; in der Auswirkung geht es schlicht um zwei elementare Fragestellungen: Wie effizient ist erstens der Fachmann für die Gesellschaft und kann er zweitens Kraft seiner Kompetenz selbst einen menschenwürdigen Lebensunterhalt bestreiten? Doch der Reihe nach:

Ihre Frage impliziert zunächst einen direkten Zusammenhang zwischen Bildungsaufwand und Expertentum. Letzterem liegt wiederum der Gedanke an erprobtes und erfahrenes, ja sogar geprüftes Wissen (expertus, PPA v. experior) zugrunde. Besagte Verknüpfung wird zwar landläufig als gegeben und „wahr“ betrachtet, dennoch wollen wir, die wir um den dialektischen Nutzen des Skeptizismus wissen, uns im Interesse eines offenen Diskurses gestatten, diesen Anspruch dezidiert in Zweifel zu ziehen.

In jüngerer Zeit suggerieren gewisse italienische Städtenamen, hier zum einen die Heimat des Mathematikers Fibonacci und besonders der Geburtsort von Tortellini und Mortadella ein proportionales Verhältnis: Je mehr Zeit und Geld man in die eigene Bildung investiert, umso eher kann man im Verlauf des Prozesses den Status des Experten für sich generieren – ein Bekenntnis zu Leistung, Hierarchie und Ranking. Dieses in der Praxis recht straff „verschulte“ System offenbart jedoch eine gewisse Reihe von Nachteilen; so scheint es, wie Kritiker immer wieder anmerken, beispielsweise nur bedingt häresiefähig zu sein. Gern kauern unter dem Deckmäntelchen alternativloser Ordnung Denkverbote. Wenig Widerspruch bedeutet eben nicht selten auch wenig neue Ideen, wodurch innerhalb des Systems zunächst einmal ein Überschuss an gleichförmigen Junggesellen und Meistern entsteht, jedoch beileibe keine eigenständigen oder gar einzigartigen Fachleute. Der Weg vom einen zum anderen ist entweder lang und steinig oder im Falle unverhofften Glücks ein Witz.

Ja, das Schwert des Expertentums ist ein zweischneidiges. So lehrt es nicht zuletzt die Ihnen ja so geläufige Biographie des Herrn Alfred Nobel, der am Ende seines Lebens über dreihundertfünfzig Patente sowie obendrein jenes beachtliche Vermögen besaß, welches zum wohl nie versiegenden Urquell seiner Stiftung wurde. Unzweifelhaft hat Herr Nobel in Ihrem Alter mindestens so viel Stoff – vermutlich sogar bedeutend mehr – bewältigen müssen, wie es heute Ihre Dozentin von Ihnen und Ihren Kommilitonen fordert. Bedenken Sie, in jugendlicher Blüte von gerade einmal siebzehn Lenzen beherrschte dieser fraglos polyglotte Mann neben seiner Muttersprache bereits das deutsche, englische, französische und nicht zuletzt das russische Idiom. (Wann wird Frau Hasenweiler wohl beginnen, Ihnen Lektionen in schwedischer Grammatik zu erteilen?) Obwohl Herr Nobel selbstredend ebenso profunde Kenntnisse in den Naturwissenschaften erwarb, darf man die Behauptung wagen, der größte Teil seines Wissensschatzes war nicht zwingend notwendig für jenen einen, im wahrsten Wortsinn zündenden Geistesblitz, dem sich sein Reichtum und sein Ansehen verdanken, eben der Entwicklung einer simplen aber genialen Technik, die den „sicheren“ Umgang mit Nitroglycerin ermöglicht. Die Geschichte hätte den Namen Nobels gewiss längst wieder vergessen, existierten nicht seit über einhundert Jahren die von ihm gestifteten Auszeichnungen, denen neben einer rein wissenschaftlichen Bedeutung – sowie einer gewissen pekuniären – vor allem eine gewichtige politische zukommt. Nobels akademische Abschlüsse, sein Fleiß oder gar seine Schulzeugnisse – um den Kontext einmal näher an Ihren Alltag heranzurücken – stehen dabei bekanntermaßen nicht im Fokus des öffentlichen Interesses.

Tatsächlich umfasst Bildung mehr als Ausbildung. Sie ist neben einer Reihe anderer Eigenschaften Distanzleistung, Abstraktion und Möglichkeitssinn. Man kann freilich gar nicht früh genug damit beginnen, sich Fakten und Fähigkeiten anzueignen. Im Idealfall setzt sich der Prozess ein Leben lang fort und beinhaltet neben akademischer Theorie und Praxis eben auch die Persönlichkeitsbildung samt all jener sozialen Qualifikationen, die heutzutage unter dem Anglizismus „Soft Skills“ summiert werden. Dabei kommt es auf ein Diktat mehr oder weniger nicht an. Wichtig ist, was Sie mittelfristig aus dem Ergebnis, einem Erfolg oder Misserfolg machen. Lediglich kursorisch sei an dieser Stelle noch Alexander von Humboldt ins Gedächtnis gerufen, der ja das große Bonmot „Durch Wissen zum Weltbürger.“ prägte. Denn natürlich ist mir keinesfalls entgangen, dass Ihre Frage prinzipiell in eine deutlich fokussiertere Richtung zielt, in die ich nun behutsam und doch gewissenhaft vorstoßen möchte. Reden wir also endlich vom notwendigen Aufwand, somit auch von Leistung, Wertschöpfung und den damit verbundenen Belastungen und Opfern.

Es ist leider wahr! Bei der ganzen Lernerei bleibt keine Zeit mehr zum Spielen, für den Sportverein, für Freunde und Familie! Bester Beweis für diese These ist einmal mehr die Vita unseres Herrn Nobel. Er absolvierte sein Pensum, stellte die Arbeit über alles andere und blieb in der Konsequenz bekanntlich kinderlos. Nur darum steckte er sein Geld ja in besagte Stiftung, tauschte die sozialen Bindungen eines Clans und die Tradition einer Ahnenlinie gegen persönlichen, schon zu Lebzeiten einsetzenden Weltruhm.

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Lichtwolf Nr. 41

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