Die Wahrheit über Maier

Er hat mehr Pseudonyme als Tucholsky, wirkt geheimnisvoller als Bourbaki, tanzt in seiner Freizeit niemals Sirtaki. Was jeder Geheimdienst gern wüsste und was in keinem Lexikon steht, kann man weltexklusiv im Lichtwolf lesen: die ganze Wahrheit über Maier. Aufgeschrieben von einem, der sich seit 37 Jahren täglich mit ihm beschäftigt.

von Magister Maier, 16.04.2012, 23:09 Uhr (Neues Zeitalter)

 

1. Geburt und erste Lebensjahre

Um Maiers Kindheit ranken sich zahlreiche Mythen. So gibt es etliche renommierte Biographen, die behaupten, dass Maier bei seiner Geburt bereits 26 Jahre alt gewesen sei. Der Doyen der Maier-Forschung, Heinzmann, widerspricht in diesem Punkt freilich vehement. Andere Maier-Kenner vertreten die nicht minder kühne These, Maier stamme zumindest indirekt von Außerirdischen ab und habe die ersten zehn Jahre seines Lebens als eine Art Aschenbecher verbracht.

Maier selbst äußert sich zu solcherlei Gerüchten höchst ungern. Als gesichert gelten kann insofern nur, dass er das Licht der Welt in der Staatsrat-von-Fetzer-Klinik zu Stuttgart erblickte und niemals Mitglied im Bund Deutscher Mädel war.

>>>>>[ Wohl eher wird Maier, wie es sich für staatstragende Schriftsteller und moralische Autoritäten gehört, seine BDM-Mitgliedschaft bis zum Erhalt des Literaturnobelpreises eisern beschweigen, um sie dann in seiner Altersautobiographie („Beim Häuten des Schniepel“) beiläufig zu offenbaren („Die Zöpfe! Der Tanz!“). Oder auch nicht. ]<<<<<
– Abkanzler <08.07.2012, 20:29 Uhr>

 

2. Frühes Leid

Der Verdacht, dass Maier sich in seiner Jugend intensiver mit Nietzsche, Sartre und Adorno auseinandersetzte als mit den Mädchen, ist leider nicht völlig von der Hand zu weisen. Die Schuld daran liegt bei den Mädchen.

Weitere Indiskretionen verbittet Maier sich indes. Denn erstens sind wir hier nicht bei der Yellow Press. Und zweitens kann ein echter Dialektiker auch noch als Erwachsener mit seiner großen Jugendliebe schlafen. Der Doyen der Maier-Forschung, Heinzmann, wiegelt in diesem Punkt freilich ab.

 

3. Drogenerfahrungen

Ja doch!

 

4. Krieg

Da Maier in seinem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer schwerste philosophische Geschütze auffährt – darunter Platon, die Stoa, Camus und Kant – strecken die zuständigen staatlichen Stellen die Waffen. Maier wird als übergeistreicher Wehrkraftzersetzer eingestuft und tritt kurz darauf seinen Zivildienst in Tübingen an. Was er dort so treibt, steht unter Punkt 3.

 

5. Flucht und Vertreibung

Das 20. Jahrhundert ist ein Jahrhundert der Migration. Und für das 21. Jahrhundert gilt das nicht minder. Maier wandert in seinem Leben unter anderem von Ditzingen nach Tübingen, von Tübingen nach Ditzingen, von Ditzingen nach Göttingen, von Göttingen nach Ditzingen und dann erneut von Ditzingen nach Tübingen. Der Ausbruch aus diesem Teufelskreis gelingt ihm erst, als er 2005 nach Ludwigsburg zieht, wo er eine Zeit lang erfolgreich Werbung für Lotto („Jetzt gewingen!“) konzipiert.

Maiers Residenz

Blick von der Maier’schen Sommerresidenz; Photo: FlaviaC, Wikipedia, CC-by-3.0

 

 

6. Philosophische Positionen

Während seiner ersten Tübinger Zeit gerät Maier unverhofft in Kontakt mit dem Schwäbischen Marxismus-Gagaismus, den er gleichsam instinktiv ablehnt. Damals noch weit davon entfernt, ein radikaler Linksadornit pohrtistischer Prägung zu sein, beschäftigt er sich durchaus wohlwollend mit der Popper-Schule, deren alberne Theorien er heutzutage selbstverständlich rundheraus ablehnt und verlacht.

Während seiner Göttinger Jahre erweist sich Maier, exzentrisch genug, als Anhänger des Mühlhölzerismus, kann aber, in seinen eigenen Worten, „nicht viel mit diesem ewigen Regelfolgen-Gesumse“ anfangen. Überdies entdeckt er Frege, Quine, Davidson und strukturiert wissenschaftliche Revolutionen.

Welche Positionen Maier in seiner zweiten Tübinger Zeit vertritt, ist in der Literatur notorisch umstritten. Während Forscherinnen wie Anlauf Maier umstandslos dem Kreis um den umstrittenen Aufputschmittelhistoriker Dragan Binder zurechnen, betont Wagner, dass Binder und Maier sich ausschließlich auf der persönlichen Ebene nahestanden. Der Doyen der Maier-Forschung, Heinzmann, möchte sich in diesem Punkt freilich nicht festlegen.

Absolut ungeeignet, um Licht in dieses Dunkel zu bringen, ist übrigens die Magisterarbeit von Maier. Ich zitiere aus Kapitel 5.5 („Die Tracking-Analyse des Wissens“): „Das Gehirn einer Person ist von einem bösartigen Wissenschaftler mittels einer komplizierten Operation aus ihrem Körper entfernt und in einen Tank mit Nährlösung, der das Gehirn am Leben erhält, gesteckt worden. Die Nervenenden des Gehirns sind mit einem Supercomputer verbunden, der durch direkte elektrochemische Stimulation bewirkt, daß die Person, um deren Gehirn es sich handelt, glaubt, sie sei ein in Nährlösung schwimmendes, eingetanktes Gehirn, dessen Nervenenden mit einem Supercomputer verbunden sind, der …“

 

7. Arbeit am Magister

Was selbst die besten Kenner der Maier-Materie nicht zu sagen vermögen, ist, zu welchem Zeitpunkt Maier seinen Nom de Guerre annimmt. Der Doyen der Maier-Forschung, Heinzmann, konnte zwar nachweisen, dass in der Zeit um den 6. Januar 2005 ein Dokument mit dem Titel „Magister Maier taucht auf“ im sogenannten Internet auftauchte. Aber selbst wenn man diesen Text als Geburtsurkunde von Magister Maier akzeptiert, ist damit noch nicht geklärt, wann er geschrieben wurde.

Hervorragend belegt ist hingegen die These, dass die Magisterarbeit von Maier eine wahre Fundgrube für Menschen mit bizarrer Phantasie ist. Neben dem bereits erwähnten bösartigen Wissenschaftler, der Gehirne in Tanks steckt, kommen in ihr noch der Dorfbarbier, der in seinem Heimatdorf genau diejenigen Leute rasiert, die sich nicht selbst rasieren; der notorische Bücherdieb Tom Grabit und seine hochgradig psychotische Mutter; Toms vollends kleptomanischer Zwillingsbruder John; der ominöse Dr. Gustav Lauben, dessen Vasenwissen als stark eingeschränkt zu gelten hat; eine nicht minder mysteriöse bewaffnete Bande, die einer gewissen Frau Müller allein deshalb auflauert, um sie anschließend nach Tübingen (!) bringen zu können; ein Bezirk, in dem es nur so wimmelt vor Scheunenattrapen; ein unverheirateter Mann im heiratsfähigen Alter, der auch noch nie verheiratet war, aber vermutlich trotzdem kein Junggeselle ist; der berühmte französische Komponist Horst Verdi und nicht zuletzt eine Katze namens Ludwig Wittgenstein vor.

 

8. Kalamitäten

Im Lichtwolf Nr. 38 wird fahrlässigerweise das Gerücht verbreitet, der Oxforder Philosoph John L. Austin habe in den vierziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts eine Katze namens Ludwig Wittgenstein besessen. Wahr ist daran nur, dass Austin ein großer Freund vorsätzlich herbeigeführter Irritationen war. So gibt es beispielsweise eine Vorlesungsreihe von ihm, die den Titel „Sense and Sensibilia“ trägt und im Laufe der Jahre wahrscheinlich schon von Hunderten englischer Buchhändlerinnen mit Jane Austens klassischer Schmonzette „Sense and Sensibility“ verwechselt worden ist.

Noch viel größere Irritationen hervor ruft indes das Verhältnis von Maier zu Maier. Sehen wir es uns einmal ein wenig genauer an:

1. Eines der Frankfurter Stammlokale des Schriftstellers Andreas Maier liegt nur wenige Meter von einem der Frankfurter Stammlokale des Schriftstellers Andreas Maier entfernt.

2. Im Jahr 2010 trat der Schriftsteller Andreas Maier bei einer Lesung auf, die in einem der Frankfurter Stammlokale des Schriftstellers Andreas Maier stattfand. Bei diesem Stammlokal handelte es sich nun aber nicht um eine der beiden unter 1. erwähnten Lokalitäten, sondern um den einzigen wahren Tempel der Nouvelle Cuisine hessoise und Frankfurts legendärste Kneipe überhaupt.

3. Im selben Jahr, jedoch bereits einige Monate früher, kam es auf der Schweizer Straße zu einer denkwürdigen Begegnung zwischen Maier und Maier. Doch während der Schriftsteller Andreas Maier den Schriftsteller Andreas Maier sofort erkannte und sich dachte: „Na hoppla, das ist doch der Schriftsteller Andreas Maier“, war dies umgekehrt durchaus nicht der Fall.

4. Die Tatsache, dass der Schriftsteller Andreas Maier – übrigens ganz im Gegensatz zum Schriftsteller Andreas Maier – in diesem Augenblick bereits den ersten Schoppen gepetzt zu haben schien, kann dabei vollständig außer Acht gelassen werden.

5. Mit dem Brief an den Schriftsteller Andreas Maier, den der Schriftsteller Andreas Maier unlängst anonym in der Titanic (Ausgabe Mai 2012) veröffentlichte, hat all dies allenfalls am Rande zu tun.

Wenn wir nun noch, kontrafaktisch, annähmen, dass sowohl der Schriftsteller Andreas Maier als auch der Schriftsteller Andreas Maier das Pseudonym „Magister Maier“ verwendeten, könnten wir damit vermutlich selbst die technisch versiertesten Analytischen Philosophen in den Wahnsinn treiben. Doch da wir dieses nicht wollen, nehmen wir jenes nicht an.

Überdies hat einer der wichtigsten Sprachphilosophen des 20. Jahrhunderts, nämlich Quine, gezeigt, dass kontrafaktische Konditionale nicht wahrheitswertfähig sind. Um es etwas vorsichtiger und auch alltagsnäher auszudrücken: Wenn meine Oma Räder hätte, dann wäre sie vielleicht ein Omnibus. Vielleicht wäre sie aber auch ein Lamborghini Gallardo LP 560-4 mit 560 PS (412 kW), 5,2 Liter Hubraum sowie einem maximalen Drehmoment von 540 Newtonmetern. Und in letzterem Fall bestünde dann natürlich die Gefahr, dass sie von ihren Enkeln an einen ebenso schmierigen wie kaufkräftigen Freund protziger Sportwagen aus italienischer Herstellung abgetreten würde.

Katze Wittgenstein

Ludwig Wittgenstein (Abbildung ähnlich); Photo: Stephan Czuratis, Wikipedia, CC-BY-SA-2.5

 

 

9. Rückblick auf das Frühwerk

Maiers Frühwerk ist von einer solchen Kühnheit und Radikalität, von einer solch abweisenden Schroffheit, dass man es den sensiblen Seelen der Lichtwolf-Leserschaft unmöglich in Gänze zumuten kann. Geschrieben, um endgültige Antworten auf letzte Fragen zu geben und dabei auch noch jede Menge Schweinkram zu verbreiten, ragt es als Solitär aus der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts heraus.

Auf besonders ehrfurchterregende Art offenbart sich Maiers Sprachgewalt an folgenden Stellen:

„Wir hatten spontan Walser gezwungen, die Gedärme und was er von Luce sonst noch so im Raum finden konnte, in einen Müllsack zu stecken, einen von diesen recht keck wirkenden blauen, und dann hoben wir im Obstgarten der Domina Manfred beschwingt ein Loch aus, in welchem wir Luces Einzelteile verschwinden ließen.“

„Danach ging’s ins Heim, zu Anna und mir, wo Gisela, Lenin, Adorno, Freud, Marcel, Marlene, die Verandatür, mein buckliger Nachbar Eugen, der Deckenfluter, die Fußmatte, Fritz Fischer, Hartmut Hack, Annegret Hötzplötz, die Sittenpolizei, Anna & ich sowie alle, die ich jetzt vergessen habe, zur Feier von Luces Tod soffen und vögelten, was das Zeug hielt.“

„Wir verklickerten ihm, er sei ein unglaublich potenter Liebhaber und habe in der Nacht quasi die gesamte Party besprungen. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin hätten sich ihm sogar alle Männer, größtenteils orthodoxe Heterosexuelle, hingegeben. Er glaubt das bis heute und zahlt auch reichlich Alimente für Kinder, die niemals geboren wurden, z.B. an Barbara Backe und Bärbel Borschtsch.“

„Endlich schritt Michel zur Tür und öffnete. Er erbleichte und stotterte: ‚Ihr seid ja gar nicht Tod und Satan, sondern …’ – bevor er den Satz zu Ende sprechen konnte, wurde ihm mit einem riesigen Hartgummidildo ein Schlag auf den Kopf verpasst, der ihn ins Reich der Träume schickte.“

„Was mochten das für Menschen sein? Brauchten Sie noch Orangensaft? Was bedeutete es für eine Ehe, wenn man samstags gegen zehn vor zwei Orangensaft brauchte? Vor allem aber: Wo blieb Behle?“

„Könntest Du mir einen Gefallen tun und meine kleine Schwester bei Gelegenheit mit folgender provokanter Aussage konfrontieren: ‚Wer nicht ziseliert, verliert, Herr Geheimrat von Goethe’? Wenn Du kannst, dann Yipiee!“

„Als ich Marcel nach seinen Nichten fragte, konterte er mit einem seiner berüchtigten Sprachspiele: ‚Warum, mein Freund, kann man eigentlich Nichten vernichten, nicht aber Neffen verneffen?’ Ich entgegnete: ‚Du fragst ziemlich tantenhaft, Onkel’ und verließ ihn verbittert.“

„Gerade, liebe Mailkameradin, hab’ ich’s aus dem Netz erfahren. Unser Oberstrampler mit den feschen Waden, Ullrichs Jan, hat die Spanienrundfahrt gewonnen, die sogenannte Vulva. Ich freue mich ganz toll für ihn.“

„O.k., das war’s, ich muss jetzt wirklich weitertrinken.“

„In Anbetracht dessen, dass sich der Ösophagus als elastisch in allen Abschnitten erwies und die Z-Linie bei 40 cm liegt, hatte der behandelnde Arzt vermutlich nicht damit gerechnet, dass ich ihm den Behandlungstisch hemmungslos vollsabbern würde.“

„Die Singvögel in Schwerin sind Arschlöcher.“

 

10. Fazit

Der Versuch, sich einem Jahrhundertgenie wie Maier in weniger als 15.000 Zeilen zu nähern, mag auf den ersten Blick bizarr, grotesk und lächerlich erscheinen. Und das ist er ja auch. Was mich dennoch dazu bewog, ihn zu unternehmen, war zum einen das großartige Diktum des Doyens der Maier-Forschung, Heinzmann, der im Nachwort zu seinem 20-bändigen Hauptwerk mit dem schönen Titel „Maier“ schreibt: „Jede Zeile über Maier ist besser als alle Bücher über Schmidt.“

Zum anderen ermutigte mich aber auch Maier selbst dazu, diesen kleinen Text zu veröffentlichen. Ich werde nie vergessen, wie er mir einst, in seiner Winterresidenz auf den Bahamas, väterlich den Arm um die Schultern legte und sprach: „Alles, was dem absolut aberwitzigen Kult um meine Person dient, ist erst mal gut, mein Junge. Aber das mit den rosa Plüschschweinen, das vergessen wir einfach wieder. Und deine Katze, die nennst du besser Ludwig Wittgenstein.“

Kann es ein schöneres Schlusswort für diesen Essay geben?

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