Schöne Hände

You sexy Motherfuhrer: Toynbee und Heidegger priesen Hitlers Hände, wir Spätgeborenen legen am Gedenktag Kränze nieder, tanken E10 und vermeiden Vulgärsprache, um nicht an das rühren zu müssen, was hinter all dem steht. Ein Beitrag zur Entsachlichung eines Tabus (und deiner Mudder)

von Timotheus Schneidegger, 20.03.2012, 15:22 Uhr (Neues Zeitalter)

Die Ähnlichkeit von Katzen und Frauen ist zu offensichtlich, um einer tieferen Begründung zu bedürfen – eine beliebige, lustige Beispielreihe tut’s auch: Katzen und Frauen sind – wie Kunst nach Karl Valentin – schön, machen aber viel Arbeit. Sie bringen einem die ganze Bude durcheinander und ruinieren Staubsauger und Abflussrohre mit ihrem Gehaare. Außerdem wollen sie täglich berührt und angefasst werden – und zwar auf eine Weise, die man entweder raus hat oder eben nicht –, sonst laufen sie weg. Drum tun homosexuelle Leserinnen und heterosexuelle Leser gut daran, ihre Hände als sekundäre Geschlechtsmerkmale zu begreifen und zu pflegen.

War Arnold J. Toynbees also ein Freund röhmscher Männerfreundlichkeit, wenn die seichtgebieterische Hitlerapologie, der Führer habe („wenigstens“) schöne Hände gehabt, auf ihn, den britischen Universalgelehrten zurückgeht und nicht etwa auf Riefenstahl, Leander oder Reitsch? Es spricht für ein gefestigtes Verhältnis zur eigenen Heterosexualität (wo verfügbar), Angehörigen des eigenen Geschlechts begierdefrei, von mir aus mit einer Spur von Neid schöne Haare, Hände, Titten oder einen „geilen Arsch“ attestieren zu können. Ebenso gerät unter mehr als Halbgebildeten weder das Demokratieverständnis noch die Achtung der Ermordeten in Verruf, wenn Adolf Hitler zugestanden werden kann, als Führer das gehabt zu haben, was ihm als Künstler fehlte.

Schöne Hände

Photo: Schneidegger in jüngeren Jahren – der ebenfalls für seine schönen Hände gerühmte Autor, hier wie Arno Breker ihn vielleicht gesehen hätte.

Der SPIEGEL brachte in Ausgabe 9/1967 einen Auszug aus Toynbees soeben erschienenen Memoiren („Acquaintances“), in denen er von einem 130-minütigen Privatvortrag in der Reichskanzlei berichtet, mit dem Hitler sich ihm im Februar 1936 als Englands einzige Rettung vor Russland und Japan darstellte. Dabei entwickelt der Führer „sein Thema mit meisterhafter Logik und Klarheit. Ich kann mir nicht vorstellen, daß irgendeiner der Professoren, die ich gehört habe, so lange ununterbrochen hätte sprechen können, ohne den Faden zu verlieren.“ Den hält Führer und Handmodel Hitler fest in den Pfoten: „Die meiste Zeit waren meine Augen auf Hitlers Hände gerichtet. Er hatte schöne Hände. Mit ihnen begleitete er seine Worte. Er hatte sowohl ausdrucksvolle als auch anmutige Gesten. Auch seine Stimme war für mich unerwartet angenehm – menschlich in der Tonlage und in der Tonhöhe, das heißt solange er nicht über Rußland sprach.“ Dann erinnerte er Toynbee an einen gemächlichen Affen im Londoner Zoo, der in Raserei geriet, wenn außerhalb des Käfigs das Wort „Polizist“ fiel.

More than words

Aller Souveränität zum Trotze ist Vorsicht vor dem Worte geboten – ob nun „Titten“ oder „Hitler“. Alles sagen zu dürfen (denken sowieso), heißt nicht, alles sagen zu sollen. Dass Damen – freilich meiner Generation und erst nach längerer Bekanntschaft – im Zwiegespräch das T-Wort gebrauchen und ich an dieser Stelle aufrichtig erkläre, Frauen für weit mehr als die damit bezeichneten Körperteile zu schätzen, enthebt nicht der Zweifel: Benutzen meine Copines das Wort „Titten“ nur, damit ich mit meinem beschränkten Männerthesaurus verstehe, worum es geht? Wenn nicht: Stünde mir als Erben und Profiteur des Patriarchats dieser Wortgebrauch zu, wenn er ein im Laufe der Emanzipation eroberter Code ist (vgl. „nigger“ oder „schwul“)?

Bei „Hitler“ ist mindestens ähnliche Vorsicht geboten. Im genannten SPIEGEL-Auszug aus Toynbees Erinnerungen kommen die Worte „Juden“ oder „Mord“ nicht vor. Freilich, wir befinden uns „erst“ im Februar 1936: Berlin macht sich hübsch für Olympia, Ossietzky ist im KZ Esterwegen ein „zitterndes, totenblasses Etwas, ein Wesen, das gefühllos zu sein schien, ein Auge verschwollen, die Zähne anscheinend eingeschlagen“ (C. J. Burckhardt), die Nürnberger Rassengesetze sind seit einem halben Jahr in Kraft, das Reich noch in den Grenzen von 1919. All das bleibt in den Erinnerungen an seine Hitleraudienz nicht etwa darum unerwähnt, weil Toynbee der autobiographischen Versuchung widersteht, ex post schon von Anfang an gewusst zu haben, wie das alles enden wird. Denn schon damals will er geahnt haben, dass Hitler es auf die Ukraine abgesehen hat, worin ihn fünf Jahre später der deutsche Überfall auf die Sowjetunion bestätigt – „eine leichtsinnige Tat, die so schreckliche Folgen für Hitler und für Deutschland hatte.“ (ebd.) Von denen für die osteuropäische Bevölkerung buchstäblich ganz zu schweigen, was mit Blick auf das Publikationsdatum von Buch und SPIEGEL-Ausgabe umso bemerkenswerter ist: genau zwischen dem zweiten und dritten Auschwitzprozess. Niemand wird dem SPIEGEL Unkenntnis oder Desinteresse bezüglich des Holocausts unterstellen können. Aber er – der Massenmord an den europäischen Juden – gerät hinter unzähligen Titelgeschichten über Hitler und Hitlers Helfer, Hunde und Handcremes zur Kulisse, weil dem auflagenträchtigen Führer immer wieder der Platz im Rampenlicht eingeräumt wird. Die Leserschaft ergeht sich nun einmal lieber in Gedankenspielen über die großdeutsche Supermacht, die aus der Vermeidung eines Zweifrontenkriegs oder einem geglückten Attentat am 20. Juli 1944 hervorgegangen wäre, anstatt sich auszumalen, wie es etwa einem jüdischen KPD-Mitglied ergangen sein muss, das ohne Friedensnobelpreis ins KZ gesteckt wird. Da eine Beschäftigung mit Hitler und den Nazis ohne die mit dem Holocaust nicht möglich sein kann, darf und soll, hat sich das erinnernde Deutschland eingerichtet zwischen den Gedenktagen mit dem Schuldstolz, die Vergangenheit ohne Tabus öffentlich zu bewältigen, sofern die Form gewahrt bleibt. Aber sie ist das Tabu, das schon durch ein „sogenannt“ zu wenig oder ein „aber“ an der falschen Stelle berührt werden kann. Symptom der Unsicherheit sind die Anführungszeichen, bei denen Zuflucht sucht, wer seinen Aussagen allein nicht zutraut, den Verdacht einer heimlichen Komplizenschaft nicht aufkommen zu lassen. Hitler zum „Gottseibeiuns“ zu machen ist falsch, Nazi-Begriffe wie „Führer“ und „Drittes Reich“ zu verwenden ist nicht richtig. Von „Reichskristallnacht“ sprechen höchstens noch Omas, denen man es als Possierlichkeit durchgehen lässt. Dabei ist das Wort nicht – wie bei Zuwiderhandlung gern behauptet – ein Euphemismus aus Goebbels‘ PR-Agentur, sondern dem Volksmund entsprungen als sarkastischer Kommentar zu seiner „Ver-Reichung“ – vom „Reichsschrifttumswesen“ bis zur „Reichsklobürste“.

Wem die Gänsefüßchen nicht ausreichen, um sich und die Umwelt einer demokratischen Gesinnung zu versichern, muss den faschistischen Alpdruck, den die zivilisatorisch gebotene Triebunterdrückung mit sich bringt, projizieren auf diejenigen, die im Umgang mit Hitler aus der Reihe tanzen. Das reicht von den Sittenwächtern, die „Verhöhnung der Opfer“ bzw. den „Schlag ins Gesicht der Opfer“ zu Phrasen abgenutzt haben, bis zu Nazijägern, die in SA-Manier Internetpranger für Abonnenten der Jungen Freiheit errichten. Andererseits hat die Öffentlichkeit mit ihrer Verurteilung selbst scheinbarer Rechtstendenzen begriffen, nicht erst „Nie wieder!“ zu fordern, wenn Menschen unter den Augen der schweigenden Mehrheit, die froh ist, nicht selbst betroffen zu sein, zum Spielball niederer Beweggründe werden. Ebenso hat die Freiburger Antifa, als sie den E-Mail-Verkehr der NPD hackte und veröffentlichte, die Arbeit gemacht, mit der der Verfassungsschutz im besten schlimmsten Fall „überfordert“ ist. Der wachsame Deutsche ist dabei „heilfroh“ um die Zwickauer Neonazi-Zelle, weil er sich auf der Seite der Guten weiß; auf gleiche Weise versichert er sich mit Horrorfilmen seiner Normalität. Er bringt es fertig, sich sein Weltbild bruchlos bei Adorno und Sarrazin anzulesen. Die aufrichtige Erschütterung nach dem Besuch einer KZ-Gedenkstätte ist kaum verflogen, das Bier nach der Menschenkette gegen rechts gerade bestellt, dieser Schoß als fruchtbar noch beklagt, da bricht sich die kenntnisfreie Verachtung der „Mohammedaner“ oder der „Sozialschmarotzer“ die Bann, denen er neidet, was er ihnen unterstellt.

Abseits der Politik ist der angemessene Umgang mit Hitler noch unklarer. Was darf Satire? Alles – weil sie nichts bewirkt. Wer in Gefahr ist, auf die rechte Bahn zu geraten, liest eh nicht Titanic, deren Naziveralberungen ebenso wie der vorliegende Lichtwolf nur die erreichen, die sich ihre Ratlosigkeit nicht nehmen, sondern nur für einige Momente erleichtern und vergrößern lassen wollen. Galt für Adorno schon das Dichten nach Auschwitz als barbarisch, so war eine künstlerische Auseinandersetzung mit Hitler & Holo als Reproduktion des Täter-Opfer-Verhältnisses in seiner Ästhetisierung gänzlich unannehmbar. (Tarantinos „Inglorious Basterds“ bewies ihre Wirksamkeit sogar noch in der Umkehrung des Verhältnisses.) Celans Todesfuge bewegte Adorno zur Rücknahme seines Urteils, was nichts daran ändert, dass ein schlechtes Gedicht über den Holocaust weitaus schlimmer ist als ein schlechtes Gedicht über Einkaufswagenpfand.

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Lichtwolf Nr. 37

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