Der Lichtwelpe: Gerechtigkeit – sind wir bald daaa?

Hurra, die kleine Larissa ist schon so weit alphabetisiert, dass sie ihre Bemerkungen des feinen Unterschieds in Briefform zu artikulieren und dem Lichtwelpen zuzuführen weiß! Der liebe Onkel Rode erklärt Larissa, warum nicht jedes Kind Urlaub im Zauberlernschloss machen kann/darf. Megaknorke!

von Stefan Rode, 19.06.2011, 22:13 Uhr (Neues Zeitalter)

 

Zuschrift LW34

Liebe Larissa,

herzlichen Dank für deine nette Anfrage und liebe Grüße auch an die werten Erzeuger (sofern greifbar).

Sicherlich obliegt es nicht nur deinem subjektiven Empfinden, dass ein gewisser Grad an Ungerechtigkeit in der von Dir geschilderten Sachlage verwurzelt zu sein scheint. Analog dazu zunächst frei heraus Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen benachteiligt werden.“ Ferner heißt es im aktuellen Koalitionsvertrag von Christdemokraten, Christsozialen und Liberalen (ganz sicherlich unter der Ägide des „vox populi, vox dei“; gefasst unter dem Banner – „Wachstum, Bildung, Zusammenhalt“) „Bildung ist Voraussetzung für umfassende Teilhabe des Einzelnen in der modernen Wissensgesellschaft. Bildung ist daher für uns Bürgerrecht. Deswegen sagen wir der Bildungsarmut den Kampf an. Dazu bedarf es einer nationalen Anstrengung. Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit am Start, Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alle ermöglichen.“

Du siehst also, liebe Larissa, die Legislative hat auf dem Papier bereits alle Weichen für deinen Ausflug in den anglophonen Sprachraum gestellt. Bevor du nun allerdings deine Koffer packst, erlaube uns doch zusammen noch einen flüchtigen Blick über den Tellerrand hinauszuwagen. Denn, du weißt es sicher auch, grau ist alle Theorie.

In welche Himmelsrichtung wir diesen Blick richten mögen, soll mit Tacitus‘ Germania illustriert werden: „Wer würde, ganz abgesehen von der Gefahr, die das schauderhafte, unbekannte Meer bietet, Kleinasien oder Afrika oder Italien verlassen, um nach Germanien zu ziehen mit seinen hässlichen Landschaften, dem rauhen Klima, dem trostlosen Äußeren – es sei denn, es ist seine Heimat?“ Der aufmerksame Leser der Seite „Autoren und Illustratoren“ wird es erahnt haben, wir betrachten heute das Ruhrgebiet.

Es entspringt wohl der bereits angeschnittenen „Stimme des Volkes“, dass ein Zusammenhang zwischen verfügbarem Einkommen der Erziehungsberechtigten und Bildungschancen des Stammhalters besteht. Diesbezüglich hat das Zentrum für interdisziplinäre Regionalforschung anhand von bereitgestellten Daten des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen für die Jahre 2003 und 2004 Auswertungen zum Zusammenhang zwischen Sozialhilfedichte in Prozent und den Übergangsquoten zu den weiterführenden Schulen in Essen und Gelsenkirchen zusammengestellt. Brechen wir diese Betrachtung pauschal auf die Stadt Essen herunter und bilden eine der tatsächlichen Lage etwas abstrakter entsprechende Vorannahme dergestalt, dass die Stadt Essen in den „reichen Süden“ und den „armen Norden“ zerfällt, so bietet sich doch das beachtliche Bild, dass

1. diese Klischeevorstellung auch statistisch zutreffend ist und

2. der aufzuzeigende Zusammenhang zwischen Sozialhilfedichte und Schulsystem vorhanden ist.

Mithin überwiegt im südlichen Teil eine niedrige Sozialhilfedichte gepaart mit einem mindestens 50%igen Übergangsdurchschnitt zum Gymnasium, während im nördlichen Teil ein entsprechend gespiegeltes Bild erblüht.

Aber wie es bei Aulus Gelluis so schön heißt: „Ein Bart macht noch lange keinen Philosophen, auch nicht, einen billigen Mantel zu tragen“. Und so ist es im information age auch umgekehrt, dass ein billiger Mantel nicht einziges Ausschlagkriterium für einen niedrigen Bildungsstand, bzw. geschmälerte Bildungschancen bleiben kann. Vereinfacht drückt es Bourdieu (1997) aus, wonach nämlich der Begriff „Kapital“ nicht nur auf ökonomische Gesetzmäßigkeiten und die Weitergabe von materiellen Gütern zu beziehen ist, sondern die Gesetzmäßigkeiten des Kapitals, wie beispielsweise das Ziel der Konzentration von Kapital oder die Notwendigkeit von Zeit und Einsatz zur Anhäufung von Kapital, ebenso für Bildung gelten. Bourdieu definiert daher zwei weitere Kapitalformen, welche in direkter Abhängigkeit zueinander stehen – das kulturelle Kapital und das soziale Kapital. Im Kontext dieser Begriffe stellt Bourdieu die besondere Bedeutung der sozialisierenden Familie heraus. Diese stellt mit ihrem ökonomischen Kapital und weiterhin mit dem zur Verfügung stehendem objektivierten Kapital (materiell übertragbare Kulturgüter) und ihrem spezifischen Habitus die Voraussetzung für den Grad an inkorporiertem (verinnerlichte Kulturfertigkeiten) und institutionalisiertem (institutionalisierbarem) Kapital (erworbener Bildungsabschluss) dar. Zum Erwerb und zur Anhäufung von ökonomischem Kapital bilden das kulturelle Kapital in Abhängigkeit zum sozialen Kapital (Beschaffenheit des Beziehungsnetzwerkes und der durch dieses zur Verfügung stehenden Ressourcen) die Grundlagen.

[…]

 


Lichtwolf Nr. 34

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