Arbeitslos und Spaß dabei

Die Heimschreiber Prekariens bekennen: Für Bier (und eine Veröffentlichung) würden sie sogar arbeiten. Aber trifft das böse Wort auf jedes frohe Schaffen zu? Und müssen wir uns jenen „Dude“ Lebowski mit Camus und gegen Joel und Ethan Coen als unglücklichen Menschen vorstellen?

von Marc Hieronimus, 20.06.2011, 14:08 Uhr (Neues Zeitalter)

 

Spätestens seit Ende der letzten Eiszeit vor zwölftausend Jahren geht es dem Menschen um die Abschaffung der Arbeit und die Ausweitung der Arbeitslosigkeit. Vielleicht schon immer. Den ersten Menschen überhaupt war bereits aufgegangen, dass sie mit adäquatem Werkzeug viel leichter eine Mammuthaut, eine Nuss oder den Schädel eines Konkurrenten knacken konnten als mit bloßen Händen und Zähnen. Aber erst seit der Abkehr vom lästigen und mitunter gefährlichen Jagen und Sammeln und der Hinwendung zum Züchten und Ernten hält die Faulheit Einzug. Die Arbeit scheint deutlich später gekommen zu sein; die Herkunft des Begriffs jedenfalls ist unklar. Seit mindestens 1.200 Jahren bezeichnet der Begriff Mühsal und Dienerschaft und war vielleicht zunächst mit Sklaverei verbunden. In der Physik ist Arbeit messerscharf und unverrückbar das Produkt von Kraft mal Weg (mit Kraft = Masse x Beschleunigung) und wird in Kalorien oder Joule gemessen. Schwere Kartons, lange Wege, und der Umzug artet in Arbeit aus. Arbeit durch Zeit ist Leistung: Auch langsam macht die Schlepperei recht hungrig, aber reißt man das Ganze zackzack runter, gibt es anschließend vom Chef ein Händchen für die tolle Leistung (wenn er „Arbeit“ sagt, hat er in Physik nicht aufgepasst). Jenseits solcher Handlangerjobs hat sich die Arbeit längst verändert, mehr aber noch der Begriff, den man sich oder uns davon macht.

 

Die beinah bedingungslos positive Konnotation hat das Wort jedenfalls nach Marx erhalten, der noch davon träumte, dass die Maschinen die Arbeit übernehmen und dem Menschen Zeit für die wirklich guten, wahren, schönen Dinge des Lebens lassen würden. Sein Schwiegersohn Paul Lafargue schrieb in seinem „Recht auf Faulheit“ von 1881 vom „sonderbaren Wahn“, der von den Arbeiterklassen Besitz ergriffen habe: „Dieser Wahn ist die Liebe der Arbeit, die krankhafte Leidenschaft der Arbeit, und er führt bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommen.“ Kazimir Malévitch nannte die Faulheit in einem Essay von 1921 (der im Original, d.h. auf Russisch, erst 1994 erscheinen konnte) den „eigentlichen Wesenszug“ (la vérité effective) des Menschen; auch Clément Pansaers, Robert Louis Stevenson und Samuel Johnson haben Apologien der Faulheit, oder besser: des Müßiggangs geschrieben, mithin lauter umtriebige und reflektierte Menschen, die sich zum rechten Zeitpunkt vor Plackereien wie dem Verfassen vielseitiger Romane nicht scheuten. Die größten Faulpelze und Bohémiens waren zu müßig, ihren Müßiggang zu fundieren, lebten ihn viel lieber und schufen doch die bedeutendere B-Auswahl, den Zweit-, und das heißt: Kennerkanon wenn nicht der Musik (wo mühsam erübtes Virtuosentum jedenfalls bis zur elektronischen Musik noch unverzichtbar war), so doch der Literatur und Malerei. „Arbeitslos und Spaß dabei“ heißt das bei Rötger Feldmann alias Brösel, der mit „Werner“ sicher nicht den tiefsinnigsten, aber doch einen stilbildenden und überaus erfolgreichen Comic geschaffen hat. Selbst die arbeitssameren Vielschreiber und -maler wollten es den Müßigen nicht selten gleich tun, fühlten sich aber innerlich gezwungen, zu produzieren und so in der Regel mehr Kette als Perlen aufzureihen, andere, etwa de Sade oder Victor Hugo, hatten in Gefängnis und Exil wenig Besseres zu tun als zu schreiben. Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, fand Karl Valentin.

 

Das Wirtschaftssystem, der Sprachgebrauch, das Denken sind kapitalistisch, und man braucht schon eine Auszeit, um überhaupt wieder den Wahnsinn, von dem Lafargue spricht, zu erkennen: Im arbeitstäglichen Gebrauch sind „Arbeit“ und „Beschäftigung“ weder Verwirklichung und Lebenssinn noch Sklaverei und Entfremdung, sondern unentbehrliche Existenzgrundlage und nicht zuletzt Mangelware. Zum Glück sind die „Arbeit-geber“ so gnädig, den schier unersättlichen „Arbeitnehmern“ etwas vom teuren Gut Maloche zu bescheren; die erwirtschafteten Gewinne müssen also in den Händen der Aktionäre bleiben, weil sie in Maschinen investieren, die „neue Arbeitsplätze schaffen“. Selbst wenn es stimmte, wäre es noch falsch. Nach der nun Jahrzehnte währenden Umverteilung durch Steuergeschenke, Gewinnprivatisierung und Verstaatlichung der Verluste müsste längst wieder Vollbeschäftigung herrschen, und das Geld flösse doch weiter auf die Konten der Maschinenkäufer und Arbeitsplatzbeschaffer.

Nein: Vollbeschäftigung ist um jeden Preis zu vermeiden, und Staatsverschuldung kein Übel, sondern wünschenswert, denn der Staat ist ein schier unfehlbarer Schuldner der „Wirtschaft“. Angesichts der arbeitnehmersteuerlich finanzierten Zerstörung ihrer Produkte (Stichwort: Abwrackprämie) und vor allem der der Natur und damit letztlich der menschlichen Lebensgrundlagen darf man durchaus von einer neuen Dimension des Wahnsinns sprechen; eines hoffentlich nicht allzu fernen Tages werden unsere Kinder fragen, wie wir nur so dumm sein konnten. Wofür das alles – verfügt nicht schon der Arbeitslose auf Hartz IV über eine üppigere „Grundversorgung“ an Verkehr, Ernährung, Unterhaltung, Kommunikation als zum Beispiel die europäischen Könige Richard, Wilhelm, Friedrich und nicht zuletzt Ludwig von I bis mindestens XIV? Mit anderen Worten: Wenn Sonnenkönig heute „asi“ ist, wohin soll’s denn noch gehen?

 

Wenn es wirklich nur um Arbeit ginge, die ist leicht zu haben: warum nicht alles Elektrische verschrotten und wieder mühsam von Hand den Spül, die Wäsche und den Gartenkram erledigen? Aber so ist das natürlich nicht gemeint. Und überhaupt, wenn handfeste Arbeit glücklich machte, überließen die Aktionäre sie nicht den weniger gebildeten Menschen, wahrscheinlich wäre sie längst verboten. Aber auch das Un-Problem der Arbeitslosigkeit im herkömmlichen, d.h. modernen Sinne wäre lösbar. Die Wiederabschaffung der Zinsen etwa, systematische Geldentwertung oder lokale Währungen würden, wenn man denn nur wollte, in kürzester Zeit für Arbeit sorgen und ganz nebenbei dem weltweiten Spekulations- und Offshorezirkus ein Ende bereiten. Arbeit muss aber knapp sein, um die Verhandlungsposition der Arbeiterschaft möglichst schwach zu halten. Forcierte Gastarbeiterwerbung hat sich als gesellschaftlich problematisch herausgestellt; sehr viel probater ist die Verlagerung der Arbeit ins billigere Ausland und die Ausweitung der Arbeitszeit daheim: Wer einen Job hat, soll ihn möglichst lange pro Woche und Leben ausüben.

Es ist doch sonderbar: Angenommen, ein Unternehmen hat 100 Wochenstunden Arbeit „anzubieten“. Statt nun 10 Leute für jeweils 10 Stunden zu bestellen (und ihnen womöglich noch zu suggerieren, dass man auch und gerade mit viel Freizeit und wenig Konsum ein erfülltes Leben führen kann), stellt es zwei Vollzeitkräfte ein, und was die trotz Überstunden nicht wegschaffen können, erledigt dankbar und umsonst die Praktikantin. Bleiben vier offizielle Arbeitslose und drei inoffizielle, z.B. ein Frührentner, ein Umschüler und eine „Hausfrau“, die alle drei anders verrechnet werden; die zwei Vollbeschäftigten „müssen froh sein“, aber es gelingt ihnen nicht, von den anderen, mit Ausnahme vielleicht der Person im Ruhestand, braucht man gar nicht erst reden. Eine blödsinnige Rechnung? Wer je als Student das Glück hatte, eine Ferienjob in der Datenverarbeitung oder der Industrie zu ergattern, weiß, dass der Großteil der Arbeiten dort und wahrscheinlich in den meisten Unternehmen jedweder Größe binnen weniger Tage oder Wochen zu erlernen ist; Voraussetzung ist allerdings eine auskömmliche Schulbildung.

 

Der Fachkräftemangel in Industrie und Handwerk ist etwas anderes, wenngleich Verwandtes. Höhere Schul- und akademische Ausbildung kostet erstens Geld, das der Staat nicht mehr hat oder bereitstellen will; die gut verdienenden Eltern werden weniger, und die wachsende Unterschicht von Hartz-IV-Empfängern und Eltern von „Kopftuchmädchen“ bringt aus zahlreichen Gründen ebenfalls keine neue „Elite“ hervor (es wäre interessant, sich anzuschauen, wie sehr der heutige Diskurs von den zu gebärfreudigen Asozialen dem der heimlich immer noch bedauerten national’sozialen’ der Jahre 1933-45 ähnelt, wie auch das Ventil für die Unzufriedenheit über die fortdauernden Ungerechtigkeiten damals wie heute Fremdenhass und bunte Unterhaltung waren, aber irgendwo da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf, und überhaupt geht es hier um etwas anderes). Zweitens ist Ausbildung anstrengend. Die Fachdidaktik aller Bereiche hat sich spätestens seit den 60-er Jahren enorm verbessert, Lernen ist heute kommunikativ und modular, ist multimedial und spaßig. Aber auch die Konkurrenz im Buhlen um die kostbare Jugendzeit hat nicht geschlafen, ist ihr vielmehr um Jahre voraus. Wie soll man einen nicht übermäßig masochistischen oder obrigkeitshörigen Menschen aus den bildungsfernen Schichten ausgerechnet in den Krisenjahren der zweiten Pubertätshälfte dazu ermuntern, seine kostbare Zeit für ein Taschengeld in der Backstube oder gar gegen Eintrittsgeld in Bibliotheken und Hörsälen zu verbringen, wenn die Freunde mit Sexual- und Jenseitsverkehr, Musik, Drogen und nun noch einer ganzen Industriesparte von elektronischer Unterhaltung aufwarten, zumal ihnen jede Werbebotschaft und People-Nachricht unmissverständlich suggeriert, dass Jugend, Spaß, Konsum und Geld der ganze Sinn des Lebens und sofort zu genießen sind, während in der Zukunft anscheinend nur Arbeitslosigkeit und Klimakatastrophe warten…?

Daher rührt auch ein guter Teil der Jugendgewalt, die in ganz Europa und den ähnlich gearteten Staaten nurmehr mit Repression beantwortet wird – und die Anthony Burgess in seinem (immer) wieder zu lesenden Klassiker „A Clockwork Orange“ bereits beschrieben hat. In einer rein konsumorientierten Welt, in der das „Robotten“ mehr oder minder vorgeschrieben ist (im Original heißt es „to rabbit“, was es anders, wahrscheinlich noch besser trifft), verbringt der Protagonist Alex seine Zeit mit (in Milch gelösten) Drogen, Gewalt und – immerhin, wollte man sagen – klassischer Musik, die ihn aber nicht erhebt und veredelt, wie das bildungsbürgerliche Ideal es will, sondern eher noch zu seinen Taten anstachelt. Anders als die amerikanische Ausgabe und der auf ihr basierende Kubrick-Film sieht das englische Original aber ein Schlusskapitel vor, in dem Alex nach dem bekannten Rückfall letztlich doch erwachsen wird, eine Freundin, Familienpläne und die Sorge hat, sein Nachfahre könnte in den Jugendjahren den gleichen Blödsinn anstellen wie er selbst.

[…]

 


Lichtwolf Nr. 34

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