Die Rückkehr der Lykanthropen

von Filbinger, 05.04.2011, 14:09 Uhr (Neues Zeitalter)

 

Animalische Vertriebene kehren still und heimlich nach Deutschland zurück. Nach Biber, Wildkatze, Luchs und dem gemeinen Canis lupus, letzterer ist immerhin eng verwandt mit dem Wappentier dieser Zeitschrift, beziehen nun auch größere Lebewesen mit Fell und Fängen wieder Quartier in unseren heimischen Wäldern. Mancher erinnert sich noch an Bruno, den ersten Bären auf deutschem Boden seit 1835. Hysterische Medien erklärten ihn kurzerhand zum „Problembären“, produzierten so wochenlang Aufmerksamkeit, Aufregung und sogar Angst, worauf das Tier schließlich abgeschossen wurde. Inzwischen wandert offensichtlich auch der europäische Werwolf wieder zu uns nach Westen ein, vor allem aus den einsamen Gebirgszügen Siebenbürgens oder der Hohen Tatra, bis in die Wälder von Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Baden-Württemberg und Bayern, wo er bereits bis ins späte 18. Jahrhundert hinein regelmäßig anzutreffen war.

 

Naturfreunde begrüßen diese Wanderbewegung und mancher Halloweenliebhaber hört des Nachts gern einen Werwolf heulen. Doch des einen Freud ist bekanntlich des anderen Leid. Kaum wurden die ersten Exemplare gesichtet, schon kochte in der Boulevardpresse Panik über Bedrohungen und wirtschaftliche Schäden hoch. Ob in unseren zivilisierten Wäldern überhaupt noch Platz sei, für die großen, behaarten Jäger, die seit Jahrhunderten unter einem schlechten Image leiden, so lautete die Frage. Abergläubischen Zeitgenossen gelten Werwölfe als mit dem Teufel verbündet und ganz praktisch sind nicht nur Ziegen- und Schafhirten in Sorge um ihre Tiere, auch nachtaktive Menschen äußern offen Bedenken. Landwirte, Teenager und Berufstrinker der betroffenen Regionen gehen gegen ihre neuen Nachbarn im Revier auf die Barrikaden.

 

Der Werwolf sei gefährlich, ein übler Schädling, sagen sie. Gern würden sie die kräftigen und stolzen Wesen lieber heute als morgen wieder vertreiben oder besser noch ganz ausrotten. „Die Viecher müssen weg!“, fordert auch Manfred Köstritzer, Vorsitzender der Vereinigung Parkbank Süd, in der sich alle im Freien übernachtenden Quartalssäufer Süddeutschlands zusammengeschlossen haben. Mit Sorge schaut er auf Nationalparks wie den Bayrischen Wald, wo die Werwolfpopulation seit geraumer Zeit merklich zunimmt: „Wenn wir nichts unternehmen, haben wir in wenigen Jahren eine echte Plage. Die Bestien fallen arglose Kollegen an, die sich in betanktem Zustand nicht wehren können. Überleben sie, tragen sie zumindest zahlreiche Schrammen davon, wundern sich in der kommenden Zeit über Schlafstörungen und mangelnden Durst. Beim nächsten Vollmond werden sie dann selbst zu Werwölfen, treten aus unserem ohnehin kleinen Verband aus und dem Werwolf e.V. bei.“ Tatsächlich hat sich ein gemeinnütziger Verein von Werwölfen und ihren Befürwortern gegründet, der um ein uneingeschränktes Bleiberecht für Lykanthropen in Deutschland, sowie um eigene Schutzzonen kämpft. Bei Werwolf e.V. legt man Wert auf Besonnenheit, will auf keinen Fall den Konflikt schüren und so die von den Medien befeuerte Pogromstimmung weiter anheizen. Man tritt ausdrücklich für ein tolerantes Miteinander von Mensch, Tier und Therianthrop ein. In einem multikulturellen Land müsse auch Platz für integrationswillige Monster sein, heißt es in einer Stellungnahme des Vereins. Vermitteln soll schon bald ein Bundesbestienbeauftragter, den die Regierung noch in dieser Legislaturperiode benennen will, damit den Werwölfen das Schicksal eines Bruno erspart bleibt.

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