La Bruni et le Platon

Viel wurde seinerzeit über Sarkozys Trophäenweibchen gespottet. Die Wahrheit ist: Carla Bruni trägt ein hautenges Kleid aus Philosophie. Sie hat ihren Platon gut gelesen und führt Böses im Schilde. (Das Photo sagt doch schon alles!)

von Timotheus Schneidegger, 20.06.2010, 15:08 Uhr (Neues Zeitalter)

Ohne schon in Satz 1 ins billigste Wortspiel verfallen zu wollen, so muss doch mit der Beobachtung des traurigen Gefälles begonnen werden, dass zwischen dem Frankenreich und Germanien in popolitischer und poppkultureller Hinsicht besteht, auch und gerade wo ungecastete Musenküsse mit von der Partie sind. Beim Erbfeind schreibt noch der verstockteste Reaktionär irgendwann einen kleinen Gedichtband zusammen; dem hiesigen Abraum des Politbetriebs entspringen dagegen bestenschlimmstenfalls die ewig gleichen „Ich tat es für Deutschland“-Stiefel.

An Deutschlands Spitze war seit Brandts nachgerade kennedyesken Sündenfällen mit knackigen Weibspersonen in dieser Hinsicht gar nichts mehr los: Helmut Schmidt ist nordisch treu und spielt flott Klavier, wenn auch nicht Hammond-Orgel. Dann kam Birne, der sich höchstens eine Ernst-Jünger-Lektüre nachsagen ließ und zweimal eine Oggersheimer Elephantenhochzeit schmiss. Schröder heiratete das Stuntdouble von Fury und ließ sich Ölschmierereien über die Rotweinkisten hängen, um künstlerischen Sachverstand als Lifestyle-Accessoire vorzutäuschen.

Der oberste Franzmann Sarkozy dagegen trägt seit seiner jüngsten Ehe den Ehrentitel eines Lochschwagers von Mick Jagger, Eric Clapton et.al. Trifft sich Mitteleuropa dann zum diplomatischen Doppeldate, so offenbart sich vom Linksrheinischen her die Liason von Politik und Hochkultur, von Ethik und Ästhetik: Monsieur le President, dessen Genpool auch ganz alleine Politnachwuchs hervorbringt, der im ZEIT-Magazin ein treffliches Uhren- oder Lederwamsmodel abgäbe, und Madame Bruni, die Bruni, die neben äußerst ansehnlichem Phänotyp auch den Geist in die gallische Zugewinngemeinschaft einbringt (wenn auch erst 2008 aus dem Italienischen eingebürgert).

Michelle Obama und Carla Bruni

Photo aus der Wikipedia

Welche philosophische Tiefe und akademische Verve die Bruni besitzt, sei an ihrem musikalischen Ouevre nachgewiesen; um der Brevitatis Willen beschränken wir uns auf ihren Chanson „Raphael“ aus dem Jahre 2002, und hier auf die erste Strophe. Titelheld dieses Stücks ist gewisser Raphael Enthoven, den die Bruni vor Jahren der Schriftstellerin Justine Levy ausgespannt hat. Die übrigens – und hier wird das Genre der philosophischen Seifenoper wunderbar bedient – ist die Tochter des Irakkriegsbefürworters, Hobbyphilosophen und Krawallpapstes Bernhard-Henri Lévy, dieser seinerseits alter Freund des nouvelle philosophe Jean-Paul Enthoven, den die Bruni für seinen Filius Raphael sitzen ließ.

Erste Zeile: le prénom

Quatre consonnes et trois voyelles /

C’est le prénom de Raphael

(Vier Konsonanten und drei Vokale /

das ist der Vorname von Raphale)

Zu einer humanistischen Bildung gehören auch fundierte Grammatikkenntnisse, und wie die Bruni sogleich tief in die Morphologie einsteigt, muss beeindrucken. Sie offenbart hier noch mehr als ihre Fähigkeit, Haupt- und Tuwörter auseinanderzuhalten und mit der Hypotaxe wie auf einem Klavier zu spielen. Vielmehr verweist ihre anfängliche Vornamensanalytik überdeutlich auf den Kratylos-Dialog Platons, der die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke behandelt. Es ist wohl die Stelle Kratylos 429b, welche die Bruni im Sinn hat: Die Frage, ob Hermogenes wirklich Hermogenes heißen kann, obschon ihm gar nicht der Reichtum eignet, den sein Name verheißt.

Subversiv-kritisch bis neckisch säuselt die Bruni somit die Frage in ihren sokratisch gebleichten Damenbart, ob auch der Vier-Konsonanten-Mann Raphael so heißen kann, wie er heißt. Der Name stammt vom hebräischen „Raphach“ ab, was so viel heißt wie „Gott heilt“. Ob es nur die Männermordlust der Bruni ist, die zu heilen über Raphaels Benamsung richten wird?

Oder haben wir es hier doch mit einem ungeheuer subtilen Tritt in die Weichteile der geistigen Schickeria zu tun, der die Bruni den Raphael entrissen hat? Lévy firmiert in Frankreich nur als BHL: „Bö-Asch-Öll“ – comme Raphael, mais seulement trois consonnes! Kichern die Pariser Insider bereits über den in grammatischem Code gehaltenen Schwanzvergleich, bei dem BHL laut der Bruni den kürzeren Konsonantenstamm aufweist?

Zweite Zeile: s’émerveiller

Je le murmure à mon oreille /

et chaque lettre m’émerveille

(Ich flüstere ihn in mein Ohr /

und jeder Buchstabe erstaunt moi)

Doch wer sich auf ein Jerry-Springer-Duell mit einem ausgewachsenen Philosophen einlassen will, darf sich nicht bloß mit Pimmeln und Pronomen auskennen. Die Bruni stellt in Zeile zwo mit einem ganz klassischen Verweis klar, wie parat sie ihren Platon jederzeit hat: Sie besingt das Staunen, jenen Anfang der Philosophie, wie Platon ihn im Theaitetos-Dialog beschreibt: „Denn gar sehr ist dies der Zustand eines Freundes der Weisheit, die Verwunderung: ja, es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen…“ (Theaitetos 155d)

In genanntem Dialog ging es dem Sokratesschüler um Konzepte des Wissens, außerdem galt es, Heraklit und Protagoras („Der Mensch ist die Möse aller Dinge.“) mit krassen Moves von den Spitzenplätzen der SPIEGEL-Sachbuchliste zu kicken. Findet die Bruni hier einen Bruder im Geiste? Arbeitet sie bereits an einer philosophischen Abrechnung mit dem Werke BHLs? Ihre philosophische Beschlagenheit ist offenkundig, via Sarkozy hat sie Zugriff auf die untoten Denker im Pariser Parthenon – kündigt sich gar ein Armageddon des gallischen Tiefsinns an?

Dritte und vierte Zeile: se mêler

C’est le tréma qui m’ensorcelle /

dans le prénom de Raphael

comme il se mêle au a au e /

comme il les entre-mêle au l

(Es ist der Umlaut, der mich verzaubert-e /

im Namen Raphael

wie er sich vermischt mit A und E /

wie er sie mischt unter L)

Ganz gewiss: Es ist das Handgemenge, ja, das Schlachtengetümmel („se mêler“), auf das die Bruni aus ist und das sie hier anklingen lässt, wenn sie die Lanze ihres Chansons durch dreitausend Jahre Philosophiegeschichte stößt und die Unabwendbarkeit von Dualismen aus der so geschlagenen Wunde hervorbricht.

Programmatisch ist die Aufspreizung von Gegensatzpaaren (Vokale / Konsonanten), die sich durch das gesamte Lied zieht: Der widersprüchliche Charakter Raphaels wird darin nachgezeichnet; im Refrain wird er als Erzengel und Teufel der Liebe zugleich besungen.

Die Bruni greift mit nun schon kaum mehr überraschender Kundigkeit ein klassisches Thema der Antike auf, das seither immer wieder wie in Hegels Dialektik auftauchte: Der unauflösbare Widerspruch zwischen Sein und Werden und deren Mischung, ja: ihr Kampf in der Welt um uns herum, aus dem alle Erscheinungen hervorgehen. Mit diesen Zeilen spielt die Bruni natürlich auf den Hardcore-pornographischen Sophistes-Dialog an, in dem es um die Frage nach Sein und Schein geht. Platon wendet sich hier abermals gegen Heraklits Lehre, Identität stifte sich aus vereinten Gegensätzen: In Sophistes 242e heißt es, „das Seiende ist Vieles und auch Eines, und wird durch Feindschaft und Freundschaft zusammengehalten. So mischt es sich immer, sagen die einen, die anderen sagen, abwechselnd sei das Ganze durch Aphrodite befreundet bisweilen Eins, dann wieder feindselig durch Streit erregt Vieles“ – man könnte meinen, die antiken Musen hätten das unstete Liebesleben der Bruni vorbedacht! Sie indes giert weiter nach Männerblut, weshalb sonst sollte dem Vorangegangenen nun das Zitat der antiken Vorstellung folgen, wonach die Bewegung des Lebens aus sich vermischenden Gegensätzen entsteht? Es müssen ja nicht immer Konsonanten und Vokale sein. Man denke an heterosexuellen Geschlechtsverkehr, der wohl auch am Anfang dieses griechischen Gedankens stand.

[…]


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