Fuck off, Facebook

Warum Ihnen auf lichtwolf.de nichts gefallen kann.

von Georg Frost und Timotheus Schneidegger, 11.05.2010, 21:55 Uhr (Neues Zeitalter)

Vor einem Weilchen gab Eric Schmidt, Vorstandschef von Google, allen, denen die Sammelwut der Datenkraken unheimlich wird, den guten Rat: „Wenn es etwas gibt, von dem Sie nicht wollen, dass es irgendjemand erfährt, sollten sie es vielleicht erst gar nicht tun.“ Ein Satz, den man jedem Innenminister um die Ohren gehauen hätte.

Neuerdings passt Google seine Suchergebnisse individuell an: Ausgehend von früheren Suchanfragen, die von einem Computer aus abgeschickt wurden, reimt sich das Internet-Orakel algorithmisch zusammen, welche Treffer für den Benutzer am interessantesten sein könnten. Wer erst nach einem Land und dann nach einem Hotel googelt, will offenbar verreisen und kein Referat über Verkehrsmittel schreiben, und das berücksichtigt Google, wenn schließlich nach Flughäfen gesucht wird.

Dieses e-Profiling kann man – wenn auch umständlich – abschalten und nur hoffen, dass Google sich auch daran hält. Der Benutzer könnte es eh kaum nachprüfen, denn das Internet an sich ist dank solcher Amazonisierungen ebenso unerkennbar geworden wie das Ding an sich.

Ähnlich sieht es mit dem neuesten Tool zur Individualisierung des Netzes aus, das Ende April von Mark Zuckerberg, dem Chef von Facebook, als eine der wichtigsten Neuerungen des Internet vorgestellt wurde.

Im „sozialen Netzwerk“ Facebook sind nach eigenen Angaben weltweit über 400 Mio. Menschen registriert, die einander dort in verschiedenen Öffentlichkeitsgraden über das Neueste in Privatsachen wie Beruf, Liebe, Gesundheit oder Internet-Lektüre auf dem Laufenden halten können. Positive Zurkenntnisnahme signalisiert man auf Facebook mit einem Klick auf den „Gefällt mir“-Button, der unter jedem Lebenszeichen angezeigt wird. Bislang ist Facebook noch in der Konzernkindheit, muss also selber noch gar kein Geld verdienen, hofft aber, dies eines Tages mit den 400 Mio. Steckbriefen tun zu können, die von den Benutzern selbst ausgefüllt worden sind. Davon erhoffen sich Marktforscher faszinierende Einblicke in die Konsumentenpsyche, z.B. dass Leute, die Pepsi der Cola vorziehen, auch lieber Filme mit Cate Blanchett statt Claire Danes gucken.

>>>>>[ Ich bin leider bei facebook angemeldet, mich widert es an das alle abhängig davon sind.Wer macht sich schon noch die mühe zu telefonieren oder Post zu schreiben.Ich habe kein Internet, fühle mich angearscht weil alle nur noch insider durch facebook haben, und die bindung zum wahren leben verlieren. Und das sollten viel mehr leute merken.Facebook ersetzt eben keine Cafes oder derartiges wo man sich mit Freunden trifft.Warum auch immer, alle lieben es, außer ich.Mit einem versehen falschen klick lädt man ausversehen 100.000.000 leute zu sich ein, könnte mit persönlichen briefen oder ansprachen nicht passieren.ich habe im grunde nichts gegen Internet, Chatrooms, social Network u.s.w.aber ich habe die schanuze vall, das die Leute die sichkein Internet leisten können oder einfach keins haben dürfen,ausgeschlossen werden(sozusagen)Wohlmöglich werden mich jetzt alle leute bei Facebook hassen, aber es war mir wichtig zu sagen, was ich denke… also zurechtFuck off Facebook. ]<<<<<
– Lizzy <15.12.2011, 08:30 Uhr>

Die brandneue Schnittstelle von Facebook macht es noch leichter, die Kohorte auf tolle Sachen hinzuweisen, die man im Internet gefunden hat. Ein einziger Klick genügt, denn der „Gefällt mir!“-Button kann nun von allen Website- und Blog-Betreibern kosten- und mühelos in die eigenen Seiten eingebaut werden. Der vormals anonyme Besucher erhält so nicht nur ein Gesicht, sondern gar ein Profil, und alle seine Freunde werden auf die besuchte Seite hingewiesen.

Facebooks Schnittstelle ist jedoch mehr als eine weitere Spielerei im an Beschäftigungsgimmicks nicht armen Web 2.0; vielmehr soll sie den Weg bereiten, die überbordende Datenmenge des Internet endlich sinnvoll und effizient zu organisieren. Denn wo Google bloß die bisherigen Suchanfragen eines Benutzers hat, um einzuschätzen, welche der unzähligen Suchtreffer ihn wirklich interessieren werden, hat Facebook ein Profil von Vorlieben nicht nur des Benutzers, sondern auch aller seiner Freunde. Wer also z.B. Lobeshymnen auf die FDP gerne mit einem „Gefällt mir!“-Klick adelt und einen politisch sowohl homogenen als auch auskunftsfreudigen Freundeskreis aufweist, könnte bald von allen Westerwelle-kritischen Tönen verschont bleiben, die im Internet umhergeistern. Solche Trends – schön benamst mit „Balkanisierung“ des Internet – gab es auch schon vorher, weil es dem Menschen im Blut liegt, sich mit Gleichen zusammentun und sich in seinen Meinungen bestätigen statt verunsichern zu lassen. Facebooks Technik und die Offenherzigkeit gegenüber nicht-staatlichen Datensammlern machen das Internet mühelos zur maßgeschneiderten, übersichtlichen Komfortzone. (Eine ganz neue Art, die Netzneutralität (eigtl. die Gleichbehandlung aller Datenpakete bei der Übermittlung) aufs Korn zu nehmen.)

Die Vorzüge erscheinen so groß, dass inzwischen fast keine Seite, die wir regelmäßig besuchen, noch frei von Facebooks Knopf ist – abgesehen von Google, Wikipedia, tagesschau.de – und lichtwolf.de; selbst Blogger, die noch für Monaten für die Petition gegen die Vorratsdatenspeicherung warben, sind dem schlichten Charme von Facebooks Knopf erlegen, der einem US-Unternehmen detaillierte Daten über das Surfverhalten des Benutzers liefert. Das geschieht nämlich auch dann, wenn man den „Gefällt mir!“-Button gar nicht beachtet oder gar anklickt. Da er sich nicht direkt auf der angezeigten Seite befindet, sondern von Facebooks Servern geladen wird, erhalten diese jedes Mal eine Rückmeldung, welcher Benutzer gerade welche Seite geladen hat – egal, ob er da irgendwas anklickt. Wer gar nicht bei Facebook registriert ist oder zu den wenigen paranoiden gehört, die sich nach jedem Facebook-Besuch ausloggen und alle Cookies löschen, hinterlässt immer noch seine Spuren durch die IP-Adresse seines Computers, die von jeder einzelnen Seite, auf der ein Facebook-Knopf prangt, an die Server des Unternehmens gemeldet werden kann. Wohlgemerkt: kann. Nicht nur technisch möglich, sondern realisiert ist die Verknüpfung von besuchten Seiten mit dem Profil eines Benutzers, der sich nach seinem letzten Facebook-Profil nicht ausgeloggt hat.

(Bei Anja Krieger und Sebbi werden Technik und Anwendung anschaulich erklärt.)

Aus allen diesen Gründen verzichtet lichtwolf.de nicht nur auf „Gefällt mir!“-Buttons unter jedem einzelnen Artikel, sondern auch auf den, der auf der Titelseite prangt. In Zukunft gibt es hier nur noch ausgehende Links nach Facebook, bei denen kein Datenaustausch im Hintergrund stattfindet. Damit entsprechen wir dem Datenschutz und wollen dafür sorgen, dass unsere Besucher und Leser auch weiterhin selber entscheiden können, wer davon weiß, dass sie unsere Leser und Besucher sind.

P.S.: Natürlich haben Sie auch weiterhin die Möglichkeit, Ihre Freunde bei Facebook auf den Lichtwolf hinzuweisen. Nur eben direkt bei Facebook.

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