Die Quellen? Das Wort?

von Johannes Witek

 

Er benutzt Wörter wie „Gescheide“, „Gewölle“, und „Geweb“, er schreibt von Lamien, vom Bramarbasieren und von seinem „Immediatbüchlein“, von seiner „Klause“ und er zitiert Mörike:

„Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage,
vom heute gewesenen Tage.“

 

Er zitiert auch Latein, Französisch und Altgriechisch, gleichzeitig schreibt er über Nanotechnologien, Chatrooms, Gentechnik, Web 2.0, Strahlungspartikel etc., etc., und fragt sich, ob Mörike, hätte er zwischen all unseren Fernsehkanälen herumswitchen können, jemals Worte wie die obigen geschrieben hätte.
Logische Antwort: Nein.

 

Der (post)moderne Mensch ist nackt, sinn-, grund- und identitätslos, Erotik gibt es nicht mehr, so wenig wie Stille, Langsamkeit und zärtliches Ahnen, dafür überall Porno, Smartphones und Wikipedia, der Mensch als blind gepulster Netzwerker, der wie die Maus im Labor auf die jeweiligen Stromstöße der nicht mehr endenden Informationsflut reagieren muss und sich in alle Seiten gleichzeitig verzuckt.

 

Wow. Hier treffen die letzten Ausläufer eines sehr antiquierten Bildungsideales, eines sehr antiquierten Menschenbildes, die doch gerade gestern noch so aktuell waren, auf unsere heutige Zeit, und das ist irgendwie traurig und irgendwie interessant, denkt man, wenn man seine Bücher liest.

Was für ein Abgesang, was für ein stiller Versuch des Bewahrens, was für ein einsamer Wanderer am Rand unserer leeren, neonkreischenden Zeit, einer muss das doch machen, oder?

Einer muss doch bewahren?

 

Leider schreibt er seit bald vierzig Jahren Bücher und wenn man den Fehler macht, eines von vor, sagen wir, dreißig Jahren aus dem Regal zu nehmen, dann entdeckt man im Kern genau denselben Krampf:

Die Zeit ist schlecht, alles zu schnell, wo ist die Erotik hin, ich will junge Mädchen ficken, mir geht’s nicht gut, aber in der Natur ist es schön, Mörike, schau runter!

Lichtwolf Nr. 29 („Vergessen“)

Er ist ein guter Beobachter, ein sehr guter Beobachter sogar, aber jeder kann ein guter Beobachter sein, es braucht dafür nur Augen und einen Funken Lebendigkeit.
Dass so wenige Menschen welche sind, ist ihm kaum als Leistung anrechnen.

 

Die Sprache ist nuancierter geworden, aber die war immer schon extrem nuanciert.
Wenig Entwicklung in vierzig Jahren, viel Geraunze.

Verschissene Zeit.

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