Der uneigennützige Literaturtipp zum Titelthema

Über die genaue, vermutlich rein kultische Verwendung des Wu sind sich die Archäologen nicht ganz einig, genauer gesagt, sie sind in dieser Frage heillos zerstritten. Das Interessanteste an diesem anthropozoomorphen Gegenstand ist jedoch nicht seine Verwendung, sondern das Verfahren, mit dem er hergestellt wurde. Die Forscher haben in dieser Angelegenheit keinerlei Möglichkeiten für Vergleiche, denn der Wu ist das einzige bisher gefundene Gefäß seiner Art. Lediglich aus alten Aufzeichnungen weiß man, dass Wuä in der Ch´un-ch´iu-Periode relativ verbreitet waren und mindestens bis ins zweite vorchristliche Jahrhundert hinein benutzt wurden. Der Wu besteht aus reinem Gold. Obwohl sich dieses Edelmetall bekanntlich sehr dünn verarbeiten lässt, haben wir es hier mit einer besonderen Verfahrenstechnik zu tun, bei der das Gold stabil und bis zu einem gewissen Grad belastbar bleibt, obwohl es nur Tausendstelbruchteile eines Millimeters dünn ist. Das Gold besitzt hier viele Eigenschaften von Glas, ist beispielsweise zerbrechlich und ein wenig durchsichtig. Wie man vor über zweieinhalbtausend Jahren Gold auf diese Art bearbeiten konnte, ist ein Rätsel. Das Wissen um diese Technik ist noch vor der Zeitenwende verlorengegangen und bislang nicht wiederentdeckt worden.

aus: Michael Helming: „Sag mir nachher, wie der Melonenkaviar war, Schatz!“; in: „Die vorläufig letzte Fassung der Gegenwart“, S. 13-18 (ISBN 978-3941921-016, 9,80 Euro)

 

„Wenn der Tod und das Vergessen das Leben und die Liebe verneinen, dann verneine ich den Tod und das Vergessen. Indem ich mich weigere, zu vergessen. Sie zu vergessen, wie sie sich gedankenverloren das blonde Haar hinter die Ohren streicht. Wie sie lacht oder aufs Meer hinauszeigt. Solange ich lebe, weigere ich mich, ihren Verlust zu verwinden. Ich werde uns nicht aufgeben, ich werde weder dem Tod noch dem Vergessen auch nur das Geringste von ihr überlassen.
Die Zukunft hat aufgehört, aber ich bin immer noch da und ich will keine neue Zukunft, keine andere Zukunft, keine falsche Zukunft ohne sie haben und so tun, als sei alles nur so dahergesagt gewesen, als sei alles ein Irrtum gewesen, aufgelöst zusammen mit ihrer Existenz. Nein. Niemals. Ich will solange wie möglich leben, um sie vor dem Vergessen zu bewahren. Ich werde dich niemals aufgeben, hörst du? Ich werde nie zulassen, dass dieser Schmerz versiegt. Er wird noch meinen letzten Herzschlag ersticken – und mit ihm lache ich dem Tod und dem Vergessen in ihre dummen Visagen.“ Er rappelt sich auf und schreit mit der ganzen Kraft seiner geflickten Lungen: „Ich bin immer noch da!“

aus: Timotheus Schneidegger: „Dein Leben ohne mich“, S. 225f. (ISBN 978-3941921-009, 13,80 Euro)

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