Metaphysik & Revolution – Teil II

von Timotheus Schneidegger, 04.01.2010, 00:43 Uhr (Neues Zeitalter)

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4 – Die metaphysische Ehre

So ergibt sich das historisch stets neu inszenierte Drama: Auf der Flucht vor dem metaphysisch Absurden springt der Mensch in den Nihilismus, der ihm den politischen Zynismus erlaubt, mit den besten Absichten die größten Verbrechen zu begehen, woraus das ethisch Absurde hervorgeht.

Ideologien sind Reaktionen auf das Absurde, das alle Moral aufgelöst und den Menschen in die totale Freiheit von allem und zu allem versetzt hat. Das Problem, wie man sich in einer Welt verhalten soll, die keinen archimedischen Punkt zur Festsetzung von Gut und Böse bietet, hat Nietzsche ebenso umgetrieben wie die Romanfiguren Dostojewskis. Außerhalb des Heiligen, inmitten des Absurden gibt es keine Grundlagen für eine Ethik oder für Begriffe wie Liebe und Verbrechen.

Camus‘ Konzept der Revolte kann also nur überzeugen, indem er an die „metaphysische Ehre“ appelliert. Sie gebietet, am Absurden festzuhalten und den Sprung in Selbstmord oder Nihilismus trotzallem zu verweigern. Das Absurde räumt zwar jedem das straffreie „Recht zur Unehre“ (Dostojewski) ein, diese totale Freiheit muss sich der Revoltierende jedoch versagen. Mit Blick auf Camus‘ Zeit in der Résistance ließe sich pointieren: Der Sprung ist die Kapitulation vor dem Absurden; der vom Nihilismus legitimierte politische Zynismus ist die Kollaboration mit dem Absurden.

5 – Das Heilige und der Westen

Camus findet beides in der Geschichte, Literatur und Philosophie ebenso wie in der Theologie. Die ursprüngliche Revolte ist schließlich eine metaphysische, die sich an der Theodizee entzündet und Gott für das Absurde zur Rechenschaft zieht. Auf seine Entthronung folgt die Enthauptung des Königs von Gottes Gnaden in der Französischen Revolution, bis in den folgenden Jahrhunderten der Ideenhimmel endgültig entvölkert ist. Wie Adorno und Horkheimer betrachtet auch Camus die nihilistischen Ideologien des 20. Jahrhunderts als Konsequenz der transzendentalen Entlaubung im Abendland.

So hat das Problem der Revolte „nur innerhalb unserer westlichen Gesellschaft einen Sinn.“ Andere Traditionen lösen das Problem des Absurden scheinbar mit dem Heiligen, innerhalb dessen sich die Fragen nach dem Tod, der Moral, dem Leiden und dem Sinn gar nicht stellen.

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Metaphysik und Revolution

Metaphysik und Revolution

von Timotheus Schneidegger

Albert Camus konnte nicht erleben, wie die Islamische Revolution im Iran 1979 das Schah-Regime durch einen Gottesstaat ersetzte. Umso interessanter die Frage, was Camus‘ Begriff der metaphysischen Revolte über dieses Ereignis lehrt. Bonustrack: „Subtraktion statt Subversion“ – politisches Grundrechnen mit Slavoj Žižek und Alain Badiou.

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