Humboldt? Der Unternehmensberater!

Markt-Schreierisches vom Zukunftskongress im September

von Johannes F. Peters, 11.12.2007, 23:31 Uhr (Verlorenes Zeitalter)

 

Kursives entstammt den Tagungsunterlagen oder den Vorträgen und sonstigen Wortbeiträgen. Nichts davon ist vom Kabarettisten Jess Jochimsen, der im Begleitprogramm des Kongresses auftrat.

 

Am 20. September 2007 fanden sich morgens dreihundert Visionäre in der Aula der Uni Freiburg ein, um im Rahmen eines zweitägigen Kongresses das Unmögliche zu denken und zu experimentieren mit den Grenzen der klassischen Universität. Das ist nötig, denn die deutschen Universitäten sind in internationalen Rankings nicht top. Die Ursache, so viel weiß Rektor Jäger in der zu Beginn zusammen mit bunten Werbeheften verteilten Hochglanz-Broschüre, liegt in den grundsätzlichen Unterschieden der Ordnungskategorien. Das Ordnungssystem der amerikanischen Universitäten ist der Markt, jenes der deutschen Universitäten bislang der Staat. Bislang! Wilhelm von Humboldts Ideen und Konzepte, modern interpretiert und aus ihrem historisch-etatistischen Korsett befreit, vermögen auf dem Weg zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Universitäten nach wie vor den Weg zu weisen. Vor allem natürlich der Universität Freiburg als führender „Research University“. Auch die Instrumente auf diesem revolutionären Weg sind im Grunde schon bekannt. Zum Beispiel Studiengebühren, die die Verantwortlichkeit der Studierenden für ihre Universität und den entsprechenden Respons der Lehrenden kräftigt (sic). Als Ausdruck der fruchtbaren Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kongress-Sponsoren aus der Industrie fordert Jäger gesellschaftliches Umdenken, vor allem bei der öko-fundamentalistischen Mehrheit der Deutschen: vielfach würden Forschung und neue Technologien nämlich nur dann geschätzt, wenn Risiken quasi ausgeschlossen oder zumindest kontrolliert werden können, auch wenn dafür wirtschaftliche Nachteile in Kauf genommen werden müssten. Offensichtlich, dass es so forschungsfeindlich nicht bleiben kann. In diesem Sinne, willkommen im Humboldt-Labor!

 

Die unbedingte Universität

Impulsvorträge bereiteten uns auf unsere anstehenden Aufgaben vor. Als hochkompetitive, am globalen Wissensmarkt konkurrierende Universität wird Freiburg, das ist uns klar, synergetische Leistungspotentiale abrufen müssen. In den Bildungswertschöpfungsketten des 21. Jahrhunderts zählen kleine units mit corporate identity und höchtsmöglicher Budgetintensität. Denn, ob wir wollen oder nicht, für das Studium wird nun einmal Lebenszeit ausgegeben, oder sogar noch Geld. Bei aller Liebe zum wissenschaftlichen Gespräch und zur Forschung in „Einsamkeit und Freiheit“ müssen wir daher lernen, unternehmerisch an das eigene Denken heranzugehen. Was war für uns das goldene nugget in diesem Vortrag? Ein erneuter Blick in die als Teil der Tagungsunterlagen verteilten Werbe-Broschüren erhellt die Lage: People for Process Automation, klar, aber – unser Kapitalismus ist nicht amerikanisch, sondern „rheinisch“ – mit dem Mensch im Mittelpunkt.

 

Verschiedene Redner – alle männlich, obwohl wir doch im Demographie-Kampf eigentlich niemanden verloren geben sollten, also auch nicht die Frauen – diktieren uns im Folgenden ins Stammbuch: Die Universitäten sind nicht schlecht aufgestellt als knowledge-broker, aber nur bedingt in der Lage, marktadaptiv zu handeln. Bislang. Sich dem Haupttrend stellen, also exzellent sein im globalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe, verlangt die Einrichtung eines chief-intelligence-officers als erste Voraussetzung zur Umsetzung von Visionen. (Zum Mitschreiben hat übrigens freundlicherweise ein südwest-deutscher Metallindustrieller Kugelschreiber gespendet.) Die Volluniversität mit ihre Vielfalt an interdisziplinär vernetzten Fakultäten hat den Referenten zufolge aber auch Vorteile: ihr Leitprinzip könnte die Kooperation der unterschiedlichen Centers of Excellence sein. Natürlich nicht irgendwie, sondern in Form einer Holding. Zum Vergessen also die „unbedingte Universität“ (Derrida), die Hochschule der Zukunft ist die unternehmerische Universität.

 

Von Fußball-Wundern und Blumenkindern

Vor der feierlichen Abschlussveranstaltung gaben wir uns also anderthalb Tage der lustvollen Kreativität hin und verließen eingefahrene Gleise. Am Nachmittag des 21. September fassten wir dann, gestärkt vom Buffet und bewacht von privaten Sicherheitsleuten, Polizisten in Zivil sowie den kräftigen Personenschützern des Wissenschaftsministers (getreu dem Jubiläums-Motto „Wir sind die Uni!“) den Mut zur fundamentalen Kritik und zum Unorthodoxen. Wobei uns bestimmt eine deutsche chemical company geholfen hat, deren Motto am Eingang des Audimax prangt: Unsichtbarer Beitrag. Sichtbarer Erfolg. Als Chef-Visionär des Nachmittags erwies sich der Verleger Hubert Burda, der uns in seinem Festvortrag auf die vielfältigen Schnittstellen Universität–Wirtschaft hinwies. Jedenfalls diejenigen Schnittstellen, über die so ein i-phone verfügt, Burda hat es nämlich schon gesehen, und es ist unglaublich. Fundamental für sein Thema waren daneben auch Helmuth Rahn – wir hören einmal mehr Herbert Zimmermann im Wochenschau-Stil rufen: aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! – Tooor! Tooor! Tooor! Tooor! – und natürlich die Begründer von google. Im unglaublichen Amerika, genauer gesagt im Silicon Valley – wir hören „If you’re going to San Francisco“ – hat er auch Mark Zuckerberg getroffen, den Macher von facebook. Ein toller Junge, man sieht’s auf dem Foto, nur leider: er verkauft nicht. Andererseits: das ist der globale Wettbewerb! Die kreativen Amerikaner bejubeln den Erfolg ihrer applications, und dann spielen sie Beach-Volleyball. Völlig unglaublich. Deutschland hingegen fehlt nicht nur das Toyota Hybrid-Auto (komischerweise hat Herr Burda kein Foto dabei), sondern auch die Erfolgsanleitung, die in den USA längst ein Renner ist: „The Rise of the Creative Class“. Herr Burda empfiehlt das Buch wärmstens, und mit Foto. Denn: es herrscht Kompetition (sic) in search of excellence, und wir waren mal top, sind es aber nicht mehr. Wir müssen sogar schauen, dass wir nicht abgehängt werden. Zum Glück haben im (laut Herrn Burda seit Jahrhunderten pressetechnisch führenden) Oberrheingraben jetzt die Verantwortlichen, jedenfalls Herr Burda, die Zeichen der Zeit erkannt: wir sind mittendrin im clash of civilizations – was gilt’s zu verteidigen? Unsere centers of excellence. Alles klar?

 

Freiräume für unangepasstes Denken

Kurz vor der feierlichen Erneuerung der Übergabe der Stiftungsurkunde der Universität spielen die professionellen Moderatoren mit uns Kindergeburtstag: wer hat denn an einem 21. Geburtstag, darf ich um Handzeichen bitten? Wer hat denn heute vor 550 Jahren Geburtstag, darf ich um Handzeichen bitten? Unglaubliche Sache, vielleicht auch das eine Idee aus Amerika, dem Land des seventh-inning stretch? Zurück im Alten Europa ergießt sich dank Minister Frankenberg dann das Wasser heilsamer Einsicht über eine der führenden Universitäten Europas, ein Brunnen der Weisheit. Nicht nur heute, sondern so Gott will, für die nächsten 550 Jahre.

 

Unbescheiden fassen daraufhin die zwölf Workshop-Leiter (alle männlich, obwohl doch – siehe oben) ihre Ergebnisse zusammen. Wir müssen das Rennen um die besten Köpfe gewinnen. Dazu müssen wir self-career-management-Kompetenzen in die Studiengänge implementieren, einen dienstleistungsorientierten Dialog starten und Personalentwicklung nicht als Kostenfaktor, sondern als Investition begreifen. Ein paar liebgewonnene Besitzstände müssen im Sinne der wahren Freiheit von Forschung und Lehre allerdings aufgegeben werden: wir brauchen endlich Flexibilität bei Beschäftigungsverhältnissen und Entbeamtung, um im Exzellenz-Wettkampf zu bestehen. Die gute Nachricht: wir werden global player dabeihaben. Und unser digitales storyboarding erreicht, web-gestützt natürlich, die Massen (man kann alle Ergebnisse in Comic-Form nachvollziehen und selbst ein bisschen mitwerkeln: www.zukunftskongress.uni-freiburg.de). Also die universitas litterarum nur in der Sonntagsrede, die unbedingte Wahrheitssuche nur als Werbetrick, die Weisheit bloß als Décors? Aber nein. Wir erhalten doch gerade Freiräume für unangepasstes Denken. Die nutzen die Entscheider von morgen folgerichtig zur Verwirklichung ihrer Lebensstrategie: „ich plane meine Karriere mit Methode“. Ganz im Sinne von Humboldt!

 

Gegen das Feuer menschlicher Unvernunft und Blindheit

Unsere zweitägige fundierte Reflexion auf das Ganze ergab also die Einsicht in die Notwendigkeit einer Marketing-Strategie mit aktivem recruiting. Wir brauchen nämlich, sagt der Minister, einen brain-gain. Und der muss es wissen, lässt er doch in seinem Ministerium einzig eine Gruppe, genannt „foresight“, unsere Besten, unkontrolliert frei denken.

Fazit: wie schon die Stiftungsurkunde der Universität von 1457 festhält, existiert die Alma Mater zur erlöschung des verderblichen fewers menschlicher unvernunft und blintheit. Konsequent zu Ende gedacht ist das ein unverkennbares Plädoyer für die Ausrichtung an den Kriterien des Wettbewerbs.

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