»Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher.« Versuch über Bibliomanie

von Augušt Maria Neander, 25.09.2006, 16:17 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Das zeichenmächtigste Autodafé in effigie, noch vor der Verbrennung von Flaggen, ist die Bücherverbrennung. Die modernen Totalitarismen kannten keine Verbrennungen von Bildern und Puppen mehr.

George Orwells Vision einer totalen Diktatur ist nur vordergründig die einer totalen Überwachung. Tatsächlich ist die Manipulation der Sprache die Kraft des ozeanischen Regimes. Ray Bradburys Vision ist die institutionalisierte Verbrennung aller Bücher.

Warum Bücher? Das Buch ist die vornehmste Form der Hybris der Menschheit nach dem Sündenfall: Menschen sterben. Bücher bleiben.Wo jedes menschliche Streben unvollkommen bleiben muß, bleiben Bücher als Artefakte dieses Strebens zurück. Bücher sind geronnene Sprache, geronnene Literatur, geronnene condition humaine.

Wohlgemerkt: Keineswegs allein der Text selbst. Texte werden reproduziert im freien Vortrag, in der Erinnerung, in Digitalien. Bücher sind körperlich. Bücher sind trotz ihrer Austauschbarkeit stets mit der vergänglichen Unvertretbarkeit des Materiellen ausgezeichnet.

Kurzum: Ein Buch ist ein Mensch in effigie, mehr als es jedes andere Medium, jeder andere Gegenstand sein kann. Das Buch steht somit neben Gott: Durch Gott transzendiert der Mensch die Welt, im Buch sich selbst.

Dabei kommt es, wie gesagt, nicht auf den Text an. Es kommt auch nicht auf das Lesen an. Nicht einmal auf das Handwerk, auf Satz und Bindung, auf Papier und Leinen, auf Leder und Seide kommt es an. Sicherlich: All das sind Akzidentien des altväterlich- und -fränkisch so genannten »guten« Buches, manches sogar notwendige, diese für den Liebhaber von Antiquitäten, jene für den von Literatur. Besitz und Umgang, umsichtiges Hantieren machen das Buch zu dem, was es ist. Nie ist ein Mensch besser vollständig geschätzt als in seiner Haltung zum Buch.

Wenn Thomas Chorherr es als Tautologie bezeichnet, »die kulturelle Institution Bibliothek als solche zu beschreiben« – dann ist das tiefe Einsicht in das Phänomen. Es gibt den bibliomanen Menschen – und den Rest. Dem bibliomanen wird die Tautologie unmittelbar offenbar.

Dem Rest ist das alles esoterische Schwärmerei.

Bibliomane Menschen leben in einer Welt, deren größte Dimension die der Tiefe ist. Bücher sind für sie – und der Autor zählt sich hinzu – nicht Faktenhalden. Bücher sind Partner im Dialog über die Zeiten hinweg. Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Beziehung zwischen Bibliomanem und Buch ist kein affektierter Kulturfetisch. Bücher sind Freunde im klassischen Sinn. Sie mahnen und tadeln. Sie haben Ecken und Kanten, vielleicht bröckeln ihre Seiten, vielleicht haben sie Falten und Risse, vielleicht sind sie gebrochen. Bücher sind unbequem, auffällig, aufdringlich, aufsässig. Aus dem Regal spricht das Buch auch ohne Lektüre.

Ein Sessel vor dem eigenen Bücherregal – schon das genügt dem Bibliomanen; die schiere Präsenz ist das echte Reden, in dem eigentliches Schweigen möglich ist.

Und doch sind die Inhalte wichtig. Dem Autor sei es gestattet, in der dritten Person zu verweilen. Zu persönlich ist, was die eigene Ausgestaltung der Bibliomanie sagt, um auf die die Subjektivität verschleiernde Konvention des Mediums verzichten zu können. Der Autor liebt Enzyklopädisches. Enzyklopädien, jene Prometheus-haften Monumente, die Meter um Meter an Regal beanspruchen, Ozeane, die kaum jemals durchschwommen werden. Diderots und d’Alemberts Encyclopédie, der Zedler, die Britannica – nicht bloß Wissenssammlungen:

Projekte der Aufklärung, Projekte eines befreienden Impetus, Fanale einer friedlichen Revolution.

Die strenge Notwendigkeit des Alphabets, verknüpft mit der Möglichkeit der Auswahl (die allein der Notwendigkeit des Raums und des Menschenmöglichen geschuldet ist) zeigen wie kein Zweites Kontingenz als eigentlichen Kern jener oben angesprochenen condition humaine.

Dazu die äußere Anmutung: Zwar Monolithen, gebunden in Leder, doch gedruckt auf feinem Bibelpapier, die alten mit filigranen Holz- und Kupferschnitten, die modernen zumindest noch mit feinen Schriftschnitten, ist jeder Band ein Kontinent einer zweiten Welt in der Nußschale: »›Ich besitze das Buch der Bücher,‹ sagte er eindringlich und ekel heil. ›Die Encyclopaedia Britannica?!‹ rief ich falsch und künstlichneidisch: ›Donnerwetter!‹« heißt es bei Arno Schmidt.

Soviel dazu. Es gäbe noch viel zu sagen; etwa, warum (anders als für Schmidt) auch dem anderen Buch der Stellenwert der Britannica zukommt. Es bleibt indes in allen Fällen Schmidt: »Es gibt keine Seligkeit ohne Bücher.«

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