Berichterstattung mit Freund-Feind-Erkennung in Vorkriegszeit

(Dieser Beitrag ergänzt das Dossier „Endlich wieder ein Ost-West-Konlikt!“ in Lichtwolf Nr. 19, S.17ff.)

von Timotheus Schneidegger, 11.04.2006, 18:20 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Wir sind abermals „in dieser lauten Zeit, die da dröhnt von der schauerlichen Symphonie der Taten, die Berichte hervorbringen, und der Berichte, welche Taten verschulden“ (K.Kraus), m.a.W.: In der Vorkriegszeit.

Irans Präsident Ahmadi-Nezhad bietet sich seit geraumer Zeit als „willkommener Buhmann“ (taz, 27.01.) an. Seine antiisraelische Rhetorik bleibt ohne ernsthafte außenpolitische Konsequenzen, erlaubt es ihm aber, nach innen als entschlossener Führer dazustehen, und gibt hier das perfekte Feindbild vom durchgeknallten Mann mit der Bombe ab. Ein gefundenes Fressen für die Medienwelt, die sich in ihrer Begeisterung oftmals überschlägt. Der Sender CNN z.B. musste sich im Januar dafür entschuldigen, Ahmadi-Nezhad mit den Worten widergegeben zu haben, der Westen solle „Iran nicht daran hindern, Kernwaffen zu haben“. Tatsächlich hatte Ahmadi-Nezhad jedoch das persische Wort für „Technologie“, nicht für „Waffen“ verwendet.

Wir sparen uns die Gemeinplätze, wonach Krieg gut für die Auflage ist, und auch sollen die Übermittler von Nachrichten über ein fernes Land mit unverständlichen Sitten und unberechenbaren Absichten nicht dafür haftbar gemacht werden, daß sagenwirmal Ahmadi-Nezhad wirklich einen an der ungewaschenen Waffel hat. Wenn denn die Übermittler wirklich Übermittler im Wortsinne von „Medium“ sind – und nicht selbst für das verantwortlich sind, was dem Leser im Gedächtnis bleibt (z.B. indem sie muslimischen Hauptschülern 200 Euro für kamerataugliche Randale zahlen).

 

Bei aller Liebe zur Polemik soll hier nicht einmal angedeutet werden, in der dem Axel-Springer-Haus formal und inhaltlich immer näherrückenden SPIEGELredaktion sei ein Krieg gegen den Iran bereits beschlossene Sache. Es ist wohl eine Mischung aus Nervösität und Überforderung, aus der heraus die angeschlossenen Medien einen Kulturkampf herbeischreiben und darin publizistisch das Feindbild errichten, das später militärisch abgerissen werden soll, um die Trümmer jahrelang publizistisch wiederzukauen. Nein, eine böse Absicht kann man einem Medium nicht unterstellen, das allen Ernstes Worte wie „Umsonst-Uni“ und „Bezahl-Studium“ verwendet. Das macht die Eindrücke aber nicht belanglos, die der SPIEGEL in den vergangenen Monaten über den Nahen und Mittleren Osten vermittelt hat:

 

1.Beispiel: Es beginnt mit scheinbaren Banalitäten wie der Wortwahl. Am 19.01. schrieb SpOn:

Wirtschaftssanktionen gegen Iran würden zu einem drastischen Anstieg der Ölpreise führen, „unter dem mehrere Länder leiden würden“, hatte Finanzminister Dawud Danesch-Dschafari am Donnerstag gedroht.

Einem Finanzanalysten hätte man dieselbe Vorhersage nicht als Drohung ausgelegt. Aus dem iranischen Ölministerium heißt es im Übrigen, das Land verbinde die Ölfrage nicht mit der Nuklearfrage.

 

2.Beispiel: Am 23.01. meldete SpOn:

Zweifelhafte Anerkennung für Außenminister Steinmeier: Die Regierung in Teheran hat begrüßt, dass der Deutsche in der Atomkrise eine Militarisierung des Denkens ablehnte.

Die FAZ, dank der Intimfreundschaft von SPIEGEL-Chef Aust, Springer-Vorstand Döpfner und FAZ-Herausgeber Schirrmacher sonst immer im Gleichschritt, gab die obige Meldung gleichlautend wieder, bloß ohne die „Zweifelhafte Anerkennung“ in der Überschrift.

 

3.Beispiel: Beharrlich wird, nicht nur vom SPIEGEL, ein Zusammenhang suggeriert zwischen der Wiederaufnahme des Atomprogramms und Ahmadi-Nezhads israelfeindlichen Parolen. Der neue Iranchef wurde am 04.08.05 vereidigt, am 06.08. wurde die Uranforschung in Isfahan aufgrund einer Ende Juli der IAEA mitgeteilten Entscheidung der Vorgängerregierung Chatami wieder aufgenommen.

Die Macht liegt, wie der militärische Oberbefehl, allein beim religiösen Wächterrat unter Ayatollah Chamenei, der kein Interesse an einer weiteren Isolation seines Landes hat. Als Regierungschef kann Ahmadi-Nezhad nicht gegen den Willen des Wächterrats handeln, woran auch der Reformer Chatami – in jedem Sinne das Gegenteil von Ahmadi-Nezhad – scheiterte.

 

4.Beispiel: Der SPIEGEL erwähnte nach dem Wahlsieg der Hamas Ende Januar kurz, warum sie gewählt wurde, nämlich weil die bisher regierende Fatah-Bewegung den Palästinensern als korrupt und unfähig galt. Fortan aber wurde der Eindruck erweckt, die Palästinenser hätten die Hamas nicht trotz, sondern wegen ihrer unnachgiebigen Haltung gegenüber Israel gewählt.

Wenn dann auch noch H.M.Broder am 26.01. urteilt, der Wahlausgang habe „sicher auch etwas mit den pyromanischen Phantasien des iranischen Staatspräsidenten zu tun. Er hat absurde Hoffnungen beflügelt, Israel könnte dazu gebracht werden, sich selbst zu liquidieren…“ dann komplementiert das auf irritierende Weise das Bild, das die Radikalos in der islamischen Welt gerne über sich verbreiten:

„Ayatollah Khamenei said that Hamas owed its recent victories to the resistance of the Palestinian nation, adding that Palestinians voted for Hamas in the knowledge that it signified they had chosen the path of resistance against the Zionist regime“, schreibt die iranische Tageszeitung Tehran Times.

 

Ja, apropos Broder – 5.Beispiel: Der nämlich durfte im Februar nochmals seinen Phantomgegner, die „Terroristenversteher“ via SpOn angreifen. Als HMB vor einigen Jahren einen fast gleichlautenden Text von der Kette ließ, war ebenso unklar, warum es plötzlich so schändlich ist, lieber verstehen als vernichten zu wollen, und auf wen er denn überhaupt schimpft. Denn selbst Claudia Roth, der ja vom Grünsein bis zur Kleiderwahl alles mögliche vorzuwerfen ist, kann niemand bei Verstand unterstellen, sie wolle einem entsicherten Selbstmordattentäter beim Kaffeekränzchen den Vaterkomplex auskurieren.

„Dialog? Nein, danke!“, brüllt HMB über seinen Jägerzaun und so ist das halt mit dem Broder, der zeigt, daß senile Bettflucht nicht nur gemächliche Gestalten wie den bonbonverteilenden Opi hervorbringt. Die Logik ist die gleiche wie bei Botho Strauß und Kameraden: Um die Zivilisation zu retten, muß sie aufgegeben werden. Damit die Zivilgesellschaft offen und liberal bleibt, muß sie sich abschotten und aufrüsten. Und weil diese Okzidentalhysteriker mit der Gegenwart sichtlich überfordert sind, bleibt ihnen nichts anderes, als trotzig die zähen, unspektakulären Bemühungen um eine Konfliktentschärfung entweder mit der Forderung, in Europa die Scharia einzuführen, oder mit Bauchtanzseminaren gleichzusetzen.

 

6.Beispiel: Am 27.01. SpOn knallt die Überschrift „Schäuble erwartet Anschlag mit schmutziger Bombe“ ins Netz, die mit drei anschließenden Ausrufezeichen glatt von einer BILD-Titelseite stammen würde.

Im dazugehörigen Text allerdings heißt es dann:

Konkrete Beschaffungsaktivitäten seien den Sicherheitsbehörden bislang nicht bekannt, sagte Schäuble. Sein bayrischer Kollege Günther Beckstein (CSU) bestätigte … (es) lägen zwar derzeit „keinerlei konkreten Hinweise“ vor, dass so ein Anschlag in Deutschland geplant sei.

Aber kann ja sein. Ein Anschlag mit einer schmutzigen Bombe tötet übrigens nicht durch die freigesetzte Radioaktivität, sondern durch die Massenhysterie, die er höchstwahrscheinlich auslöst.

 

7.Beispiel: SpOn berichtet von der Sicherheitskonferenz am 04.02., bei der auch iranische Vertreter zugegen sind, was die Journaille vor Geilheit sabbern lässt. „Iran hat mutwillig die rote Linie überschritten“, sagt Kanzlerin Merkel zum Atomstreit, außerdem machten die „inakzeptablen Provokationen von Präsident Mahmud Ahmadinedschad Reaktionen notwendig“. „Besonders als deutsche Bundeskanzlerin“ verspricht sie, Deutschland werde „in dieser Frage nicht die geringste Toleranz“ gegenüber Iran zeigen. Dessen Vize-Außenminister Araghchi bedankt sich für ihre „sehr wertvollen Ausführungen, ausgenommen den Teil, der sich mit meinem Land beschäftigte“, und weist auf die friedlichen Absichten Irans hin, der niemals versucht habe, Atomwaffen zu erhalten. Man habe aber „mit Laboraktivitäten zu einem Nuklearprogramm für friedliche Zwecke“ begonnen. „Warum wird das als Überschreiten der roten Linie betrachtet?“

Hier hört die Berichterstattung aber unmerklich (haha, Spaß muß sein) auf und irgendein Film beginnt:

Es ist offensichtlich: Araghchi will sich und sein Land in München als Opfer des Westens inszenieren.

Um nachvollziehen zu können, warum jemand glaubt, in Sachen Atomtechnologie werde mit zweierlei Maß gemessen, reicht der Griff ins Archiv unter den Stichworten Nordkorea, Israel, Pakistan, Indien – und natürlich Irak. Das von Spiegel und Springer-Journaille gemeinsam genutzte Archiv schien jedoch gerade von recherchierenden (hahaha) BILD-Redakteuren belegt:

Araghchi will einen zivilisierten Eindruck hinterlassen, den Parade-Bösen soll man in ihn nicht hineininterpretieren… Der US-Politikwissenschaftler Eliot Cohen stellt vergnügt fest, dass sich die Äußerungen Merkels „sehr von dem unterscheiden, was wir hier früher hörten“. Früher, das war München 2003, als der damalige Außenminister Joschka Fischer dem zornigen Donald Rumsfeld klar machte, dass er und die Deutschen nicht in den Irak-Krieg folgen würden: „I am not convinced“, sagte Fischer – und krächzte sich damit in die Geschichtsbücher.

Da kann man ja nur für den SPIEGEL hoffen, daß der jetzige Außenminister Steinmeier nicht so ein Arschloch ist wie Fischer und sich die Große Koalition munter der „Vorbereitung eines Angriffskriegs“ (Grundgesetz Art.26(1)) gegen Iran schuldig macht. Dabei hat SpOn selbst auf die Studie „Iran: Consequences of a War“ hingewiesen.

Aber was interessiert mich mein Geschwätz von gestern, wenn es morgen schon wieder ein neues zu veranstalten gilt.

Schreiben Sie einen Kommentar