von Timotheus Schneidegger, 08.04.2006, 20:46 Uhr (Freiburger Zeitalter)
Es fällt nicht immer leicht, lieber Leser, die gebotene journalistische Distanz zu wahren. Es gibt Ereignisse im Leben eines Berichterstatters, die ihn zwingen, mitzufühlen, mitzufiebern und auch mitzuleiden. Als sich die FDP 1972 in Freiburg zum Parteitag versammelte, lag die Große Koalition im Bund erst drei Jahre zurück, die Bürger wandten sich in ihrer Sehnsucht nach Visionen den Liberalen zu, die mutig zwischen Kommunismus und Imperialismus oder so hindurchzusteuern wagten – eine Stimmung, die SPIEGEL-Gründer (und FDP-Mitglied) Rudolf Augstein sogar selbst ans Pult treten und eine (wahrscheinlich flammende) Rede halten ließ.
Politik wie die Profis: Lecker Schnittchen auf dem 2.Landesparteitag der PARTEI am 08.04.06. in Freiburg.
Die Stimmzettel sind nicht so rot und zahlreich wie auf einem Chinesischen Volkskongreß, dafür sind die Abstimmungsergebnisse ähnlich.
Im Jahr 2006 herrscht abermals klammer Stillstand unter einer Großen Koalition, und abermals trat eine Partei in Freiburg zum Parteitag zusammen, nämlich Die PARTEI, bzw. ihr baden-württembergischer Landesverband – der mit 500 Mitgliedern bundesweit stärkste und einer der erfolgreichsten dazu. Mit dem Vorsitzenden des Freiburger Ortsvereins, Martin Walcher, als künftigem Ministerpräsidenten trat die PARTEI bei der Landtagswahl am 26.03. an; allein in Walchers Wahlkreis errang sie auf Anhieb 292 Stimmen. So war es kein Wunder, daß dieser Ortsverein Gastgeber des 2.Landesparteitags der PARTEI wurde, zu dem Walcher etwa 30 Mitglieder und Sympathisanten, sowie den eigens aus Hanau angereisten Generalsekretär der PARTEI, Tom Hintner, in der Freiburger KTS willkommen hieß. Hintners Beitrag beschränkte sich darauf, die besten Wünsche des Bundesverbandes auszurichten und hernach Filmaufnahmen für eine erkennungsdienstliche Behandlung der Anwesenden oder ein Schulungsvideo der Hintner-Jugend zu drehen. Nach der ordentlichen Wahl von Versammlungsleiter, Schriftführer und Wahlkommission trat der Landesvorsitzende Peter Mendelsohn grüßend vor seine PARTEIgenossen, um seinen Jahresbericht vorzulegen. Der Landesschatzmeister Martin Keller nutzte die Triumphstimmung, in die der PARTEItag geraten war, um in Erinnerungen an den Bundestagswahlkampf im vergangenen Herbst zu schwelgen und zügig den frisierten Kassenbericht zu seiner Entlastung vorzulegen. Es war eine sehr schöne Powerpoint-Präsentation, in der sich jedoch nichts bewegte. Da war die FDP vor 34 Jahren weiter.
Passt gerne auf Ihre Kinder auf: Martin Keller stellt den Jahresbericht der Hintner-Jugend („Hi Hintner!“) vor. Für 2006 plant die HJ die Aufschüttung des Berges Watzmann um 300m, damit Deutschland endlich einen 3000er besitzt.
Die neubestellten Funktionäre der PARTEI in BaWü (v.l.n.r.): M.Keller (Verteidigungspolitischer Sprecher), B.Langendörfer (Landespropagandaleiter und Vorsitzender der Kommission für Agitation), P.Mendelsohn (Landesvorsitzender der PARTEI-BW), T.Täuber (1.stv.Landesvorsitzender), E.Schwarz (stv.Geschäftsführerin des Landesverbands), C.Ritter (Generalsekretär der PARTEI-BW), M.Walcher (Geschäftsführer der PARTEI-BW und Vorsitzender der Freiburger PARTEI), C.Müller (Versammlungsleiter).
Die Personalia wurden sachgerecht und pragmatisch im Freiburger Stil geregelt. Da sich die selbstgebastelte Wahlurne nur einmal öffnen ließ, mussten zwangsläufig die Wahlen aller neu zu besetzenden Posten im Landesverband abgeschlossen werden, ehe mit dem Auszählen begonnen werden konnte. Zum Glück war manche Wahl reine Formsache, wie diejenige des zweiten stellvertretenden Landesvorsitzenden: Dieses Amt hatte ein gewisser Thomas Schlegl bei eBay für 18 Euro 65 ersteigert. Er wurde in Abwesenheit einstimmig gewählt. Weitere Personalfragen waren gleichsam übersichtlich, trat doch meist nur je ein Kandidat zur Wahl an, so daß auch ohne Eingreifen des in Weißrussland geschulten Saalschutzes größtenteils dreistellige Prozentanteile auf die jeweiligen neuen Funktionäre der Landespartei der PARTEI entfielen.
>>>>>[ Man waren das noch Zeiten… ]<<<<<
– Haens <31.08.2017, 02:03 Uhr>
Einer der größten Gewinner des Abends, Tobias Täuber, der in einer Stunde einen „kometenhaften“ Aufstieg vom Schriftführer des Parteitags zum ersten stellvertretenden Landesvorsitzenden hinlegte, war sich nicht zu betrunken dafür, in einer ergreifenden „spontanen“ Rede seine politischen Visionen für die nahe Zukunft darzulegen. Mit Blick auf die im Sommer anstehenden Berliner Senatswahlen beschrieb Täuber den amtierenden Bürgermeister Wowereit als Kometen, der sich dem Wahlvolk, also der Erde, lediglich annähere, nur um dann wieder in den stillen, kalten Raum zu entschwinden. Ein Raunen ging durch den Parteitag, dem Täuber sogleich einbläute, daß es allen, die sich der PARTEI entgegenstellen, so ergehen werde wie dem im September gestürzten „Schröder-Regime“. Denn den Berliner Senat im Sommer zu erobern reicht noch nicht aus, die „Agenda 2007“ sieht vor, die Große Koalition in weniger als einem Jahr zu stürzen, um bei den folgenden Neuwahlen die absolute Mehrheit im Bundestag zu erringen. Die PARTEI werde dann endlich ihre große Vision vom Wiederaufbau der innerdeutschen Mauer verwirklichen können, „damit wieder das getrennt ist, was ohnehin nicht zusammengehört“, so Täuber, der sich in seinem Schlußwort an Konrad Adenauer hielt: „Ich liebe Deutschland so sehr, daß ich lieber zwei davon habe.“
Die PARTEIgenossen schmettern das Lied der PARTEI.
Der Parteitag der PARTEI quittierte die Rede mit einem offiziell „48minütigem“ Applaus, richtete noch Kommissionen für Agitation und Programmatik ein, und beschloß den offiziellen Teil aus voller Kehle mit dem Lied der PARTEI („Die PARTEI, die PARTEI, die hat immer Recht usw.“).
Mancher musste da eine Träne verdrücken, die ihm die geschöpfte Hoffnung darauf, es möge zumindest mit der besseren Hälfte Deutschlands wieder aufwärts gehen, ins Äuglein getrieben hatte. –
siehe auch:
–„Die PARTEI strebt in den Freiburger AStA“ (28.01.06)
-Interview mit Martin Walcher in Lichtwolf Nr. 17, S. 21ff.
-Berichterstattung über die Landtagswahl vom 26.03.06 und das Abschneiden der PARTEI in Lichtwolf Nr. 19, S. 31.