Das Telephonbuch

von Georg Frost, 24.03.2006, 15:21 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Arminia Eurostar wohnt in einem dieser dunkelroten Häuserblocks mit weißen Balkons am Ende der Stadt, wo die riesigen Gewerbeflächen warten. Sie hat ihre viel zu kleine Wohnung ganz für sich alleine und hat die Freiheit, ihr Leben ganz so zu gestalten, wie sie will – niemand redet ihr in irgendwas rein.

Wofür andere Leute Schuhkartons, Regale und Schubladen brauchen, hat Arminia ihr Telephonbuch.

Darin bewahrt sie alles auf, was ihr wichtig ist.

Darin steht die ganze Stadt und bestimmt auch einige Namen, die ihr bekannt vorkommen. Ihr eigener übrigens auch!

Darin versteckt sie ihr ganzes Geld, auf Seite 100 die Hunderter, auf Seite 50 die Fünfziger und auf Seite 20 die Zwanziger.

Darin hebt sie auch die Rechnungen auf und die Postkarte zu Weihnachten von der Firma, in der sie saubermacht.

Darin finden sich auch die ganzen acht Photos, die sie hat, alle aus dem Urlaub in Schwerin.

Zwischen der ersten und zweiten Seite schließlich liegt immer ein Gänseblümchen von dem Rasen, der in einem Bottich auf dem Balkon wächst.

Eines Tages, schwer zu sagen, welcher Werktag es war, klingelte plötzlich das Telephon und zerstörte die Ruhe. Arminia stand benommen vom leeren Küchentisch auf. Der Backofen war leer, sie hätte sich erinnert, wenn sie einen Kuchen gemacht hätte. Der Herd war ebenfalls ausgeschaltet, ja, hatte sie die Eieruhr überhaupt aufgezogen? Nein. Sicher die Haustür. Durch den Türspion war aber niemand zu sehen.

Am Ende stand sie vor dem geduldig bimmelnden Telephon. Sie wollte schon eine Nummer heraussuchen, da wurde ihr klar, dass sie jetzt nur noch abheben musste. Das tat sie dann auch.

Ihr Nachbar, er stellte sich Lempke vor, fragte, ob sie ihre Post schon bekommen hätte, er erwarte nämlich wichtige Nachrichten von seiner Tochter aus Wien usw. usw.

Arminia sagte „Nein.“ und legte wieder auf.

Am nächsten Tag kam das neue Telephonbuch und alles fing von vorne an.

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