Denver Clan in Freiburg

Bericht von der Jubiläumstagung der Martin-Heidegger-Gesellschaft 2005

von Timotheus Schneidegger, 20.10.2005, 20:37 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Als Martin Heidegger im Sommer 1950 am Tresen eines Freiburger Konditors neben meiner Oma stand, hat der Todtnauberger ihr unverhohlen in den Ausschnitt geglotzt. Macht mich das zu einem besseren Menschen?

In Freiburg: Ja.

Dem Heideggerianer geht es heutzutage wie dem Dasein: Er steht im Nichts. Einzig in Freiburg wird seine Weltanschauung noch mit Ehrfurcht gelehrt – der Rest der Welt reißt nur blöde Witze über die bindestrichige Blut- & Bodenphilosophie. Da kommt der Martin-Heidegger-Gesellschaft (MHG) eine besondere Bedeutung zu, auch wenn von den über 600 Mitgliedern einige hundert keine gültige Adresse hinterlegt oder seit Jahren keine Beiträge mehr gezahlt haben – oder beides. Zweck des Vereins ist laut §4 der Satzung »die Förderung der philosophischen Forschung im Sinne des Denkens Martin Heideggers«.

Obwohl dessen Geburtsörtlein Meßkirch zehntausende Euro investiert hat, um sich zu einem fundamentalontologischen Graceland zu wandeln, tagt die MHG in diesem ihrem 20. Bestehensjahr Mitte Oktober ausnahmsweise in Freiburg – der einzigen Stadt, in der bezüglich §4 noch nicht alles verloren ist.

Daß sich an der dortigen Universität seit Heideggers Rektorat von 1933/34 einiges getan hat, sorgt für spürbare Überraschung bei den angereisten Seinssenioren. Erstmal die ganzen Ausländer in der Uni, »die meinen Vater«, so Nachlaßverwalter Hermann Heidegger in einem Interview mit der Jungen Freiheit (01.11.02), »nach 1945 wenig freundlich behandelt hatte«. Dann auch noch das: Die Eröffnungsrede sollte »eigentlich« Rektor Jäger halten. Seine Magnifizienz aber lässt sich von Prorektor Volz entschuldigen – »politische Verpflichtungen in Stuttgart«. Steht da also dieser elende Kommunist und stellt nach dem obligatorischen Kotau vor der anwesenden Familie Heidegger die »Gastgeberin« Uni Freiburg in seiner Bolschewikensprache vor (»in allen Rankings auf Spitzenplätzen«, »Wettbewerb«, »scientific community«, »centers of excellence«, »Exzellenzcluster«, »wirtschaftlicher Transfer«). Mit MHs Rektoratsrede vom 27.5.1933 („Die Selbstbehauptung der deutschen Universität“) hat das doch nichts mehr zu tun! Nachdem Volz auch noch vom 25 statt 20jährigen Bestehen der MHG redet, sind alle froh, als G.Figal das Grußwort an sich reißt und sich erstmal als Vorsitzender der MHG, Kodirektor des neu gegründeten Zentrums für Antike und Moderne, sowie als Prodekan der Philosophischen Fakultät vorstellt. Kenner wissen: Der Mann sitzt außerdem auf Heideggers Lehrstuhl. Dieser Ämterreigen sei ihm keine Last, sondern steigere die »Nachdrücklichkeit des Willkommenheißens« zu einem dreitägigen Vortragsmarathon der Spitzenklasse, das Tagungsthema »Heidegger und die Griechen« sei nämlich ein ganz besonderes, »nicht so wie sonst«, denkt man im Stillen über den Punkt hinaus.

Drei Tage lang versammelt man sich in Hörsaal 1010, in dem es gespannt vor sich hinmurmelt. Wendehälse in Sonntagskleidung verteilen sich auf die Sitzreihen zur Linken und Rechten, es ist nicht nur mit dem »Sehen und Gesehenwerden« wie in der Kirche. Dann werden die Pforten behutsam, doch vernehmbar geschlossen, man wartet im ahnenden Schweigen – einzig das Rascheln der Gesangsbücher, also Vortragsprogramme ist noch zu hören – auf die einsetzende Orgel und dann stimmen die altehrwürdigen Mümmelgreise mit gebrechlichen Stimmen zur Bachschen Melodie an: »Maaartin blei-bet meeiine Freude – meeeines looogos Troohoost und Sammlung.«

Natürlich wird nicht gesungen. Sondern vorgetragen. Schlecht.

Die Herren (kaum zu glauben, aber wahr: 14 Vorträge und kein einziger einer HeideggerianerIN!) klemmen sich im chronologischen Entenmarsch ans Pult – und die meisten schnarren sofort im »Jargon der Eigentlichkeit« (Adorno), der hier lingua franca ist. Und während vorne von Bewegung und Möglichkeit bei Ding und Mensch (der hier »Dasein« »ist«), von der sich im logos zeigenden Gesammeltheit des Seins, vom Anwesen des Waltens oder der Waltung des Anwesens, von Ausgelegtheit, Verfallenheit und Fragwürdigkeit erzählt wird, beginnen die Bettnässer auf Ausgang leidenschaftlich an ihren Fingernägeln zu knabbern, und das, was hier das ganze Sein durchwaltet, ist nicht PHYSIS, sondern Haarausfall und unterdrückte Homophilie. Zur Pause lungert man an den Tapeziertischen vor der Tür herum, auf denen Kaffee und Brezeln aufgebahrt sind; wenn vorhin der Zusammenhang zweier Heideggerismen verstanden worden ist, ist man so selig, als hätte man gerade einen Seinszusammenhang verstanden.

Am besten nichts neues, auch auf die eine oder andere Veröffentlichung zu Heidegger, die nicht aus dem einzig wahren Exegetenkartell (=der MHG) stammt, wird nicht reagiert. Einzig Hans Ruin aus Huddinge (Schweden), sowieso schon sowohl mit seiner jugendlichen Erscheinung, als auch seinem noch nicht völlig ramponierten Sozialverhalten ein Paradiesvogel unter den Vortragenden, stellt mit den Heideggerismen »Geschick« und »Schicksal« zwei kontroverse in den Saal. Auf Emmanuel Fayés bislang nur auf Französisch vorliegendes Buch »Heidegger, l’introduction du nazisme dans la philosophie« geht Ruin nicht ausdrücklich ein. Fayé versucht darin, die Debatte um Heidegger neu zu entfachen, indem er dessen Nationalsozialismus nicht auf Grundlage historischer Quellen, sondern auf der von Heideggers Werk nachspürt; am Ende bestätigt er Karl Löwiths These von 1936, nämlich Heideggers Engagement für die Nazis sei direkt aus seiner Philosophie hervorgegangen. Soweit kann Ruin natürlich nicht gehen, er macht auch keinen lebensmüden Eindruck. Dennoch kann er fragen, wie sich das Schicksal, das sich »in Mitteilung und Kampf« als Gemeinsames und als Macht im Individuum offenbart, als Irreführung erkennen lässt, denn phänomenologisch enthält es immer auch die Aufforderung zur Unterwerfung und zum Geleitetwerden (Stichwort »Führer«…). Das Schicksal aber ist ein gar scheues Reh, also nicht erkenn- oder wünsch-, nur als Schickung empfangbar. Es als doch nicht so tolles zu erkennen ist immer erst hinterher möglich.

Aber was wissen die Historiker schon! Heideggers Philosophie sei nicht aus ihrer Zeit begreifbar, sondern gehe durch ihre Korrespondenz mit den Griechen über ihre Zeit hinaus, so Figal in seiner Eröffnungsrede und einer der harmloseren Versionen der in der Heideggeristik üblichen Verschränkung von Verachtung der Geschichtswissenschaft und Apologetik des MH. –

»Gastlich wie die MHG ist« (Vizevorsitzender H.-H.Gander), sind zur Mitgliederversammlung am Ende der Tagung auch Nichtmitglieder zugelassen. Trotzdem wird es richtig schön familiär.

Unter »Verschiedenes« hat Figal mit betroffener Miene den überraschenden Rücktritt von H.Tietjen aus dem Vorstand zu verkünden. Nach F.-W. von Herrmann zieht sich der zweite große Verweser zurück, um der Generation Platz zu machen, die nicht mehr die gleiche Luft wie MH atmen durfte. »Ohne ins floskelhafte zu verfallen« bedauert Figal, daß Tietjen »eine Lücke hinterlassen wird, die schwer zu schließen« ist, nachdem er seiner Arbeit »so diskret wie effizient« nachgegangen war. Zum Dank wird Tietjen noch an Ort und Stelle zum Ehrenmitglied ernannt.

Auch Oberst a.D. Hermann Heidegger erhebt sich zur Danksagung für das jahrzehntelange »kameradschaftliche Verhältnis«. Er habe damals bei einem Manöver (wahrscheinlich schon Bundeswehr) einen jungen Oberleutnant kennengelernt, der Philosophie studiert. »Mit welchem Schwerpunkt?«, fragt Heidegger. »Heidegger«, soll Tietjen geantwortet haben, und das war der Beginn einer…usw.usf.

Den Wichtigtuer Fayé kann man ignorieren, aber nicht, was die eigene Familie treibt. Hermann H. will noch »ein Wort zur Presse dieser Tage« loswerden. Gemeint ist ein Presserummel, der gar nicht stattgefunden hat (als interessiere sich noch jemand für die letzten MHikaner) rund um das Buch »“Mein liebes Seelchen!“ Briefe Martin Heideggers an seine Frau Elfride, 1915-1970.«, herausgegeben von MHs Enkelin und HHs ehemaliger »Lieblingsnichte« Gertrud. Unter den einschläfernden Belanglosigkeiten, die MH seiner Frau postalisch mitzuteilen hatte, finden sich neben zeitgemäßem Gejammer über die »Verjudung« von Kultur & Uni zahllose Hinweise, was für eine Zumutung die Ehe mit dem chronisch untreuen MH (nicht nur mit Hannah Arendt…) gewesen sein musste, der seiner Gattin gegenüber Fremdficken als Bedingung der Möglichkeit von Fundamentalontologie darzustellen pflegte, oder, um es feiner auszudrücken: »Die Amouren waren Stimulantien, derer das Genie bedurfte, damit die Tinte fließt.« (Süddeutsche Zeitung, 26.09.). Daß Elfride dieses Spiel auch spielen konnte, geht aus dem Nachwort hervor, das Hermann H. verfasst hat, und nun, »unter Freunden« ausdrücklich wiederholt: Er ist zwar der eheliche Sohn MHs, aber nicht der leibliche. –

Es geht kein Raunen durch den Saal. Entweder ist der Zuhörerkreis (»Liebe Freunde des Denkens meines Vaters«) zu klein, oder aber es wissen eh schon alle Bescheid. Denn was dem Leser der »Neuen Revue« ungewaschene Enthüllungen aus den Unterhosen europäischer Königshäuser, das sind den Heideggerianern Veröffentlichungen aus dem Nachlaß. Ins betretene Schweigen hinein wird noch erklärt, ein Rechtsstreit innerhalb der Familie Heidegger, um die Veröffentlichung zu verhindern, hätte viel zu viel Aufmerksamkeit erregt. Dann ergreift Figal schon das letzte Wort. Erstens, um das, was sich in der zu drei Vierteln vollständigen MH-Gesamtausgabe offenbart, »ein philosophischer Kontinent, der nicht in einem Leben zu durchmessen ist«, sei. Und, daraus folgend, daß der Name Heidegger die Ewigkeit überdauern und »unstatthaft an die Öffentlichkeit gebrachtes marginalisieren« werde.

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