Nachruf auf Hunter S. Thompson

von Timotheus Schneidegger, 24.02.2005, 11:43 Uhr (Freiburger Zeitalter)

Es war im verregneten Dezember 2004, kurz nach dem letzten Spiegel-Interview mit dem großen Gonzojournalisten Hunter S. Thompson, als wir ihm zum ersten und zum letzten Mal in unser aller Leben begegnet waren. Mein Kollege Corner Stone hatte Thompsons Ausspruch „Zögere niemals auch nur einen Augenblick, Gewalt anzuwenden.“ lieben gelernt und riet mir, ihn sofort in mein Notizbuch einzutragen, was ich auch gemacht habe – jemandem, der um Niederschrift eines solchen Spruchs „bittet“, tut man besser den Gefallen.

Unsere Begegnung fand im Keller einer gar nicht so abgelegenen Hütte (mit Strom, fließend Warmwasser und einem aus Waschbär und Bisamratte gekreuzten Haustier) statt. Ich hatte mich mit Kollegin (n k)², zwei Flaschen Rotwein, olivenölgetränktem Brot und reichlich Teelichten dorthin zurückgezogen, um Gottfried Benns Geist zu beschwören und auf die Geschlechtskrankheiten seiner Gattin hin zu befragen. Kollege Corner Stone erschien so, wie er auch auf Redaktionssitzungen zu erscheinen pflegt: Zu spät und vollkommen entrückt, ob durch diverse Drogen oder durch einen angeborenen Hypophyseschaden, der aus ihm ein Island der Affekte machte, spielt keine Rolle, kommt auf das gleiche raus. Sorgsam darauf bedacht, das zu unserem Schutz errichtete Teelicht-Pentagon nicht einzureißen, nahm der Nachzügler bei uns vor dem umgedrehten Kreuz Platz.

Nach der ersten Flasche Wein tauchte endlich Benns Geist auf, manifestiert im Körper eines Weberknechts (das sind die kleinen Stecknadelkopfspinnen mit den langen dürren Beinchen). Wie das jetzt mit den veneralen Krankheiten seiner Gemahlin war, konnte ich fragen, habe inzwischen aber schon längst vergessen, was die Antwort war, bzw. wie ich das zweifache Zucken des mittleren Beinchens auf der rechten Flanke gedeutet habe. Das ist heute auch nicht mehr so wichtig. Wir hatten den schreibenden Nazidoktor wohl gerade bei einer himmlischen Koksparty gestört: Aus einem anderen Winkel kam eine andere Spinne getrappst, die sich vor vier Tagen, am vergangenen Sonntag als Hunter S. Thompson vorstellte. Er musste sich damals – bei ihm in Colorado war zu dem Zeitpunkt ja noch gähnender Nachmittag (und Thompson noch am Leben) – völlig eingeschneit, wie es im amerikanischen Ski-Paradies Aspen Usus ist, quer über den halben Globus zu uns in den Schwarzwald geknallt haben – oder er hatte sich einfach an den Schweif von Benn-Kokenn gehängt und war eben deshalb an den Ausläufern unseres fünfeckigen Schutzzirkels gestrandet.

Immer wieder argwöhnten unsere Messe passierende Passanten, hier seien doch bestimmt noch andere Sachen als bloß Rotwein mit im Spiel. Mir war nur klar, daß eine Sache definitiv nicht mit im Spiel war: Das Diktiergerät. Ein wahrer Jammer, denn mit dem, was uns der alte Haudegen Thompson in Gestalt eines kleineren Weberknechts erzählte, hätte man locker drei, vier Sonderausgaben bestreiten können.

Manches prägt sich aber ein. Den Lichtwolf zum Beispiel mochte er, bis auf kleine, nur einem erfahrenen Profi wie ihm auffällige Schwachpunkte („Mehr Titten, mehr Autos!“), gerne leiden.


Thompsons Gonzo-Symbol und dessen Vorbild, die Narren auf eigene Faust vom Lichtwolf.

Immerhin hatte er sich bei der Gestaltung der Plakate, mittels derer er 1970 zum Sheriff von Aspen gewählt zu werden trachtete, vom „aurum ad excrementum“ -Symbol inspirieren lassen, das der Lichtwolf seit dem dritten Jahrgang trägt. Hui, so viel Anerkennung von diesem Urvater des „Smells like teen spirit“ -Journalismus, wir waren ganz besoffen vor Verlegenheit! Beeindruckte ihn aber gar nicht, er trippelte vor dem umgekehrten Kreuz auf und ab, vermutlich Harndrang, oder er war auf der Suche nach Benn, der unlängst zurück in die Schatten gekrabbelt war, um den Staub unter den Heizkörpern wegzusaugen. Eigenwillige Typen wie Thompson haben auch ihre abrubten Stimmungswechsel, vor allem wenn sie zu viel kolumbianischen Export weggerüsselt haben. Einmal fordert der alte Gonzo aus heiterem Himmel mit zitternden Beinchen sofortige Nacktheit von allen, schließlich habe er auch nichts an. Aber da es ihm augenscheinlich nur um die anwesende Dame ging, die darauf mit dem Vorschlag antwortete, irgendeinem Gott eine Spinne zu opfern, ignorierten wir seine Forderung, in der sich Hippie-Slogans auf wunderbarste mit einer besoffenen Erika Berger (ist die Grande Dame von RTL überhaupt noch ein Begriff?) vermählten. Im übrigen ist es mit beschworenen Geistern wie mit kleinen Kindern und Hunden: Wenn man ihnen nicht klarmacht, wer hier der Chef ist, hat man verloren.

Aber Thompson wurde schnell wieder leutselig, als einer von uns den Rotwein umwarf und die Spinne an die Wand spülte. Wir müssten viel mehr auf Drogen schreiben oder zumindest so tun als schrieben wir auf Drogen, riet er uns, nachdem er sich aus der Weinlache freigestrampelt hatte. Erstens kämen dabei viel interessantere Sachen heraus, zweitens befüllt inzwischen selbst der Spiegel seine Textknechte mit weißem Kreativweichspüler und drittens bekäme man, nach dem Ende als Drogenpoet, von der gesammelten Schleimerbande der Feuilletonisten den Drogenbonus, der noch die unmotivierteste Schreibe zu adeln imstande sei: „Er hatte so sehr mit sich und der Welt gehadert, am Ende hat er den Kampf verloren.“ So einen Scheiß schrieben die nicht über Leute, die sich am Riemen reißen und ohne biochemische Weltflucht etwas hervorzubringen versuchen. Der Drogenbonus mache hip und cool und Rock’n’Roll, und die pubertierende Idiotenjugend zwischen 12 und 50 Jahren glaube dann ihre Federviehstimmung noch im witzlosesten Notizzettel von letzter Hand wiederzuerkennen.

Das ungefähr war es, was uns der Alte riet, in dem er fleißig mit den Beinchen aufstampfte und wir die Signale eilig mit Hilfe einer Morse-Tabelle entzifferten.

Irgendwann wurde es Morgen und wir hatten genug von dem Unfug, Herr Thompson musste auch wieder langsam zu Bewußtsein kommen, es dämmerte schließlich in Aspen und nachts schmeckt der Whiskey am besten und es hallt das Schreibmaschinenstakkato am weitesten über die Skipisten von Colorado. Wir verabschiedeten uns fröhlich voneinander – ohne zu ahnen, der weise Gonzo würde sich gut zwei Monate darauf mit einem Prachtexemplar aus seiner Revolversammlung das gemarterte Gehirn in seine Diele fönen. Er tat das, wie um sich selbst Recht zu geben: Seht her, Kinners, so müsst ihr das machen damit die Speichellecker euch hochschreiben!

Was aber ist davon zu halten, wenn sich alle Idole der nach 1980 geborenen in den Kopf schießen? Was bleibt uns da am Ende übrig, als einen Cordhut auf selbnämlichen zu setzen, Hausmeister zu werden und die Nachbarskinder vom Rasen zu verscheuchen? Habt ihr etwa das gewollt, Kurt Cobain und Hunter S. Thompson? Bei der nächsten Messe wird nachgefragt!

Bis dahin wollen wir vorläufigen Trost darin finden, Herr Thompson habe wirklich nichts ausgelassen (Drogen, schnelle Autos, dicke Knarren, junge Frauen, flinke Texte gegen Nixon und Bush, heideggereske Hütte in den Rocky Mountains, berühmte Freunde, ein Jahr mit den Hell’s Angels unterwegs gewesen) – und es sind immerhin ein paar schöne Geschichten bei der ganzen Sache herausgekommen. Für einen, der mal so zugedröhnt war, daß er sich noch zu Lebzeiten von besoffenen Studenten in den Körper eines Weberknechts bannen ließ, ist das nicht übel.

Prost, Hunter Stockton!

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