Gespräch mit AStA-Mitglied Martin Lyssenko

Obschon Martin Lyssenko (22) im Mai als Kandidat der buf-Listen (Bündnis unabhängiger Fachschaften) in den Allgemeinen Studierendenausschuß (AStA) gewählt wurde, erklärte er auf der ersten Sitzung des AStA 2004/2005 am 22.10.04, sich nicht mehr an das imperative Mandat gebunden zu fühlen. Er werde nur noch dann im Sinne des u-asta und des buf stimmen, wenn diese sich zu einer Reform des Freiburger u-Modells entschließen.

von Timotheus Schneidegger, 29.10.2004, 11:44 Uhr (Freiburger Zeitalter)

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Lichtwolf: Das Jahr fing für den u-asta gut an mit den Protesttagen im Januar, aber danach kam die Debatte um die Besetzung der CDU-Zentrale, das Wahldebakel im Mai und jetzt ist die Mehrheit des gegenwärtigen u-Modells im AStA ernsthaft bedroht. An alldem warst du maßgeblich beteiligt. Wie fühlt man sich als Antichrist Superstar der Freiburger Studierendenpolitik?

M.Lyssenko: Es wurde mir der Vorwurf gemacht, daß ich aus Rachegefühlen und Haß handle – das ist nicht im geringsten der Fall. Doch natürlich gab es Gefühle der Enttäuschung und Verbitterung, die zu meinen jetzigen Einstellungen geführt haben.

Lichtwolf: Dir geht es um eine Reform des u-Modells. Ist die Überzeugung von der Richtigkeit deiner Sichtweise groß genug, um alle politischen Skrupel über Bord zu werfen und die buf-Liste und ihre Wähler zu täuschen?

M.Lyssenko: Die Frage, die dahinter steht, ist die, ob es legitim ist, sich dem imperativen Mandat, dem man sich verschworen hat, in einem Fall, in dem man es für angebracht hält, nicht mehr zu unterwerfen. Ich bin davon überzeugt, nicht im geringsten jemandes Vertrauen zu brechen, weil die meisten Wähler mich gewählt haben. Die meisten meiner Wähler kennen sich so wenig aus mit u-Modell, buf und den dahinterstehenden Strukturen, daß sie gar nicht in der Lage waren, aus einer autonomen Entscheidung heraus buf zu wählen. Sie mussten deshalb ihr Vertrauen in einzelne Personen setzen.

Der Hauptgedanke ist, ein u-Modell zu erhalten, und das ist es, wofür ich weiterhin kämpfe. Deswegen lasse ich mir nicht den Vorwurf eines Betrugs machen.

Lichtwolf: Aufgrund deines langjährigen Erfahrungsschatzes kannst du die Studierenden, die sich nicht mit dem u-Modell auskennen, an der Hand zu nehmen, um ihnen ein u-Modell zu präsentieren, wie es deiner Vorstellung nach ihren Vorstellungen entsprechen würde?

M.Lyssenko: So umständlich formuliert es ist, so ist es irgendwo auch der Fall. Das jetzige u-Modell macht nichts anderes.

Lichtwolf: Das bisherige u-Modell hat sich über Jahre bewährt und ist nicht lediglich einem einzigen Kopf entsprungen. Dein Konzept dagegen rührt allein von deiner dreijährigen Erfahrung her.

M.Lyssenko: Das ist nicht richtig. Für ein repräsentatives Modell, wie es mir vorschwebt, lassen sich Erfahrungen aus anderen Studierendenschaften und darüber hinausgehenden nutzen.

Das bisherige u-Modell hat sich insofern bewährt, als es zumindest in den ersten Jahren eine sinnvolle Studierendenvertretung war. Nun hat sich aber im letzten Jahrzehnt gezeigt, daß das u-Modell politisch nicht so offen ist, wie es sein sollte. Ich sehe nicht, wie sich die politischen Meinungen den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst hätten. Das hat sich mir in den Monaten nach dem Streik vom Januar ganz deutlich gezeigt. Dadurch bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß dies ein struktureller Fehler ist und damit keine sinnvolle Hochschulpolitik mehr betrieben werden kann.

Lichtwolf: Wieso konntest du nicht durch deine Fachschaft den Reformprozeß anstoßen?

M.Lyssenko: Ich war von Anfang meines Studiums an hochschulpolitisch tätig und habe in der Zeit oftmals versucht, Reformen anzuregen. Dabei musste ich feststellen, daß es nicht möglich ist, so weitreichende Reformen durchzusetzen, wie ich sie plane. Das hat einen ganz einfachen Grund: Die Leute, die jetzt „an der Macht sind“, möchten sie natürlich nicht verlieren. Diejenigen, die jetzt die Entscheidungen treffen, also die Fachschaften, würden in dem u-Modell, das ich mir vorstelle, tatsächlich viel weniger Entscheidungsgewalt haben.

Wenn man sieht, wie die Fachschaften sich zusammensetzen, dann wird deutlich, daß sie in ihrem Fachbereich Arbeit leisten wollen. Wer Hochschulpolitik betreiben und, wie ich, das u-Modell kritisieren will, wird natürlich nicht zu den Fachschaften gehen, die sich dem u-Modell sowieso schon unterworfen haben.

Lichtwolf: Überforderst du den u-asta nicht mit deiner Forderung einer sofortigen Reform seiner Strukturen?

M.Lyssenko: Es ist tatsächlich nicht die günstigste Zeit, aber dann fragt man sich: Wird es denn jemals einen günstigen Zeitpunkt geben? Viele Menschen beschließen abzunehmen oder mehr Sport zu treiben, aber es gibt immer wieder Ausreden oder Aktivitäten, die sie davon abhalten.

Die Zeit für Reformen muß aber erübrigt werden, egal zu welchem Zeitpunkt. Ich habe ihn mir nicht ausgesucht, erst die gegenwärtige Sitzverteilung im AStA hat diesen Schritt ermöglicht. Wenn die Mehrheitsverhältnisse für buf klarer gewesen wären, dann hätte ich sicher von diesem Schritt abgesehen.

Lichtwolf: Würdest du die Handlungsunfähigkeit des u-asta in Kauf nehmen, um deine Ideen durchzusetzen?

M.Lyssenko: Ich will das nicht so dramatisieren, als ob ich über das Wohl oder Wehe des u-asta entscheiden kann. Ich möchte die Reformdebatte anstoßen und Druck ausüben, damit meine Beiträge so ernstgenommen werden, daß sie in die Realität umgesetzt werden. Der u-asta muß zu der Einsicht kommen, daß es anders nicht mehr funktioniert. Ich will ihn nicht handlungsunfähig machen, aber das geht nur, wenn ich vom u-asta eine gewisse Kooperationsbereitschaft erwarten kann. Sollte er sich mit allen Mitteln auf den harten ideologischen Kampf einlassen, könnte es dazu kommen, daß sich der u-asta damit totrennt. Denn ich werde nicht bereit sein, Entgegenkommen zu zeigen, wenn es von Seiten des u-asta kein Entgegenkommen gibt. Die Handlungsmöglichkeiten des jetzigen u-asta werden natürlich eingeschränkt werden. Aber das heißt noch lange nicht, daß Studierendenvertretung überhaupt nicht mehr möglich sein wird.

Lichtwolf: Soll der Vorstand vor jeder Entscheidung nachfragen, ob sie deinen Segen findet, und sie gegebenenfalls an deine persönlichen Vorstellungen anpassen?

M.Lyssenko: Ich alleine habe ja keine Mehrheit im AStA. Es bräuchte mindestens sieben weitere Vertreter, die genauso abstimmen wie ich.

Lichtwolf: Aber du kannst die Entscheidungen der buf-Fraktion blockieren.

M.Lyssenko: Das kann ich dann, wenn auch die Vertreter der anderen Gruppen den Beschluß für falsch halten.

In solchen Fällen muß ich mich natürlich mit Vertretern der anderen Hochschulgruppen absprechen. Dann aber existiert eine ganz klare politische Mehrheit im AStA, die entscheidungstragend ist und die Mehrheit der Studierenden repräsentiert, also ganz klar das Recht hat, in ihren Augen falsche Entscheidungen des u-asta zu blockieren, bzw. eigene Vorschläge dazu einzubringen und durchzusetzen.

Lichtwolf: Warum nennst du die basisdemokratische Rückbindung des u-Modells „verlogen und überholt“?

M.Lyssenko: Weil es diese Rückbindung faktisch nicht gibt. Die meisten Studierenden kennen sich nicht mehr aus und interessieren sich nicht mehr so, daß man sie mit hochschulpolitischen Themen tatsächlich erreichen und ihre qualifizierte Meinung einholen kann. Diese qualifizierte Meinung kann erst durch einen langen Kampf wieder ermöglicht werden. Bis dahin ist eine offene und deutliche Übergabe der Verantwortung an einige wenige, kompetente Entscheidungsträger das einzig richtige Verfahren.

Lichtwolf: Verschärft ein repräsentatives Modell nicht die Probleme der Nachwuchsgewinnung und der Rückbindung an die studentische Basis?

M.Lyssenko: Es braucht eine gewisse Vorlaufzeit, bis sich eine neue politische Kultur etablieren kann.

Die überfachlichen Parteigruppierungen, die ich in Zukunft als Entscheidungsträger des Systems sehen möchte, sind seit der Einführung des u-Modells ihrer Einflußmöglichkeiten enthoben. Als Folge davon haben sie sich stark zurückgebildet. Diese Hochschulgruppen haben aber die Mittel, sich wieder eine geeignete Infrastruktur zu schaffen. Deshalb glaube ich, daß sich eine neue Politikkultur in kurzer Zeit etablieren kann.

Was die Nachwuchsgewinnung darüberhinaus angeht will ich die Fachschaften gar nicht aus diesem politischen Prozeß ausschließen. Ich stelle mir durchaus eine Art zweiter Kammer vor, die nicht nur beratende Funktion hat, sondern gewisse Entscheidungen blockieren oder modifizieren kann. Natürlich viel eingeschränkter als die FSK jetzt Entscheidungsgewalt innehat.

Lichtwolf: Du hast noch bis zum Oktober 2005 Zeit, um dich an Reformen zu beteiligen. Reicht diese Zeit – oder glaubst du ernsthaft, nach der nächsten Uniwahl noch irgendwie in der Freiburger Hochschulpolitik mitmischen zu dürfen?

M.Lyssenko: Viel wichtiger ist die Frage, ob es gelingen wird, die Grundlagen für einen Umformungsprozeß zu schaffen, der von alleine weiterläuft. Wenn nicht, dann muß ich anerkennen, zu wenig Energie investiert zu haben. Oder aber daß es die ideologischen Kader, die jetzt so etablierte Machtverhältnisse genießen, geschafft haben, sich an der Macht zu halten.

Lichtwolf: Es gibt ja noch den schlimmeren Ausblick, daß die Strukturen der Studierendenvertretung im Oktober 2005 ersatzlos in Trümmern liegen.

M.Lyssenko: Das könnte passieren, aber ich weiß gar nicht, ob es das schlimmste Szenario ist. Falls es den Wunsch, sich zu engagieren, bei vielen Studierenden gibt, dann wird sich auch schnellstens eine neue, den Gegebenheiten besser angepasste Struktur einstellen. Wenn sich zeigt, die Studierendenvertretung liegt in Trümmern und es kommt nichts nach, dann fühle ich mich fast ebenso bestätigt darin, daß der u-asta dem Anspruch, im Interesse der Studierenden und in enger Anbindung an sie Hochschulpolitik zu betreiben, nicht gerechtwerden kann und damit sowieso zur Auflösung verdammt ist und kein Existenzrecht mehr hat.

Lichtwolf: Kann sich ein für buf gewählter Vertreter gegen einen der wichtigsten Punkte der buf-Liste stellen, nämlich die Weiterführung des u-Modells?

M.Lyssenko: Die wenigsten sind sich bewußt, was der Hauptgrund für die Unterstützung eines u-Modells ist. Der liegt nicht darin, eine basisdemokratische Studierendenvertretung zu gewährleisten.

Es geht darum eine Vertretung der politischen Ansichten der Studierenden außerhalb der jetzigen rechtlichen Beschränkungen durch ein u-Modell zu gewährleisten. Dafür stehe ich weiterhin ein. Die Satzung des u-asta sagt, daß es das Ziel des u-asta ist, sich selbst abzuschaffen, um eine verfasste Studierendenschaft einzuführen. Über deren konkrete Struktur sagt sie jedoch nichts, also auch nicht, daß sie basisdemokratisch sein muß.

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