Abgrund

von alter ego, 28.09.2004, 13:11 Uhr (Freiburger Zeitalter)

 

Ich stehe am Abgrund. Der Himmel ist blau und die Sonne scheint. Ich frage mich, ob ich es wohl merken werde, wenn ich auf den Boden aufschlage oder ob ich zuvor von einem Baum abpralle. Noch mehr Gedanken mache ich mir allerdings um die Frage, ob die Klippe so hoch ist, daß ich den Absprung definitiv nicht überleben werde. Auf dem Fluß schwimmt ein Dampfer, glückliche Touristen fotographieren den Felsen, auf dem ich stehe. Wenn sie Glück haben werden sie einen menschlichen Vogel fotographieren können. Behagen breitet sich in meinem Körper aus, Ruhe vor dem Sturz. Die Entscheidung ist gefällt; Trübsal wandelt sich in Vorfreude. Soll ich Anlauf nehmen? Drei Schritte? Besser vier. Lautlos zahle ich rückwärts: vier, drei, zwei und „Komm, wir gehen weiter!“, ich werde von meinen Eltern gerufen. Der Augenblick ist vorbei. Selbst bei der wichtigsten Entscheidung des Tages/Jahres/Lebens haben sie es mal wieder geschafft, mich zu stören, mir hineinzupfuschen. Mein Vater hat den Fotoapparat in der Hand und wohl gerade ein Foto seines Sohns gemacht: Ein junger Mann, der an einem schönen Sommertag mit Sonnenschein und blauem Himmel entschlossen in die Zukunft schaut.

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