Die Schreibmaschine an sich und für uns

von Timotheus Schneidegger, 28.07.2004, 14:06 Uhr (Dunkles Zeitalter)

Der Mensch ist ein animal rationale und ein zoon politikon: Es denkt und es ist unter anderen Denkenden. Thales von Milet (624-546 v.Chr.) gilt als der erste Mensch, der seine Gedanken nicht nur mündlich mitteilte, sondern auch schriftlich festhielt – für die Artgenossen, die nach ihm kommen sollten. Das Schreiben ist eine der ältesten Kulturtechniken, seine Fortschritte gelten uns als Meilensteine der Zivilisation: Die Übersetzungen von überlieferten Handschriften aus Antike und Mittelalter, die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg im 15. Jahrhundert und schließlich die der Schreibmaschine, mit der das alltägliche Schreiben technisiert und demokratisiert wurde – bis hin zum Personal-Computer in jedem Kinderzimmer.

Der Lichtwolf wird nicht am Computer und nur selten per Hand geschrieben, sondern auf Schreibmaschinen getippt und dann fotokopiert. Ganz im Sinne des Goetheschen Unreims

„Wer nicht von dreitausend Jahren

sich weiß Rechenschaft zu geben,

bleibt im Dunkeln unerfahren,

mag von Tag zu Tage leben.“

ist es an der Zeit, auf die Entwicklung zurückzuschauen, an deren vorläufigem Ende wir gestern noch standen, um heute neu anzufangen.

Am 7. Januar 1714 ist Henry Mill (nicht verwandt mit John Stuart) zum British Patent Office (Patentamt) gegangen und hat dort die erste Schreibmaschine der Welt angemeldet, von der es in den dortigen Unterlagen heißt:

„An artifical mashine or method for impressing or transcribing of letters singly or progressively one after another, as in writing, whereby all writings whatsoever may be engrossed in paper or parchment so neat and exact as not to be distinguished from print …“

Weil das Ding aber fürchterlich unhandlich war, hat sich keiner dafür interessiert. Erst im 19. Jahrhundert traten neue Erfindungen von Schreibmaschinen auf den Plan, unter anderem vier Modelle von Peter Mitterhofer (Südtirol), die zwischen 1864 und 1869 aus Holz gebaut worden waren. Zur gleichen Zeit, nämlich 1867, konstruierte Christoph Laham Sholes auf der anderen Seite des Atlantiks eine Typenhebel-Schreibmaschine, die der von Mill ähnlich war, sich durchsetzen und zum Vorbild aller folgenden werden sollte.

Eine Ironie ist es nicht, daß Sholes Erfindung nach 1873 ausgerechnet von der Remington Small Arms Company serienmäßig fabriziert werden sollte: Denn man kennt sich mit Anschlägen gut aus, wenn man schon Revolvertrommeln bauen kann.

Der Attentäter hätte Ape Lincoln auch mit einer solchen Ur-Schreibmaschine erschlagen können, anstatt ihm die Hauptvorstellung per Kopfschuß zu versauen. Das Wort ist genauso Waffe wie die Kugel. Die dazugehörige Maschine ist ja nur das ge-stellte Hilfsmittel, das die causa mortis in den Kopf befördert.

Von nun an sollte dieses Werkzeug – ganz wie die Knarren von Remington – jedem freien, weißen Mann zugänglich sein und gemäß des 2. Verfassungszusatzes für viele, viele Jahrzehnte im Kampf gegen Indianer, Neger, Juden, kurzum das damalige Böse verwendet werden.

Wo die USA in ihrem Kampf gegen den Terror jetzt zwei Waffengattungen besaßen, wollte Good Ol Germany in Nichts zurückstehen. Deutsches Handwerksgeschick vermochte den technischen Rückstand nicht nur aufzuholen, sondern gar in Weltmarktführung zu verwandeln. Der deutsche Geist (sofern nicht ausgewandert und fürderhin auf Remington-Fabrikate angewiesen) schien ähnlich bestrebt, den Ami übertrumpfen zu wollen: Die Bedeutung der mechanischen Schreibmaschine für den industriellen Massenmord während des „Dritten Reichs“ ist zurecht zum Gegenstand historischer Untersuchungen geworden.

Der Ami griff irgendwann mal in das Treiben auf dem alten Kontinent ein – und zerbombte erstmal alle deutschen feinmechanischen Werke – natürlich weil er aus eigener Anschauung wusste, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Gewaltpotential eines Staats und seinem Schreibmaschinen-Ausstoß gibt.

Die großen, 1945 in Trümmern liegenden deutschen Schreibmaschinen-Hersteller waren neben Siemag die später fusionierten Firmen Triumph und Adler, und natürlich der Klassiker: Die Olympia-Werke. Diese wurden im Krieg vollständig zerstört, so daß die Firma nach ausgerechnet Bielefeld umziehen musste. Der Laden kam schließlich im Wilhelmshavener Minengerätelager (!) unter, wo die 1947 gegründete Orbis Büromaschinenwerke GmbH schnell zum führenden europäischen Schreibmaschinen-Fabrikanten aufstieg und 1950 die Olympia Werke West GmbH und 1954 die Olympia Werke AG hervorbrachte. Erstes Kind des neuen Betriebs: Die Olympia SG1, ein Meistwerk deutscher Ingenieurskunst, das in einem Atemzug mit dem VW Käfer oder diversen Panzerkanonen genannt wird und heute das grundlegende Produktionsmittel des Lichtwolf ist.

Die Olympia SG1 wurde zwischen 1953 und 56 produziert. Das Modell SG1 – das erste in Wilhelmshaven gefertigte – war und ist eine hochwertige Büro-Schreibmaschine, die sich in den 60ern dank ihrer hohen Qualität („Made in Germany“ galt damals noch was, vor allem mit dem Zusatz „Western Zone“, den auch unsere beiden Olympia SG1 tragen) großer Beliebtheit erfreute: Bis 1964 verkaufte sich die Olympia SG1 allein in den USA über eine Million mal.

Unsere erste Olympia stammt aus den früheren Räumlichkeiten der u-Fachschaft Philosophie im Hinterhof der Belfortstraße 18, wo sie unbekannte Zeit lang unter Unrat und Sperrmüll verborgen lag. Zu Anfang verweigerte sie sich noch den meisten Schreibwilligen, indem sie willkürlich Leerzeichen in den Text setzte und nach zwei Anschlägen stets blockierte. Nicht wenige Pamphlete der Freiburger Studentenproteste von 1968 wurden mit diesen selben Typenhämmern auf weißes Papier gestanzt, die heute den Lichtwolf in Form bringen.

Die zweite Olympia-Schreibmaschine der Redaktion ist eine weiterentwickelter Typ des Modells SG1, d.h. um einige Jährchen jünger: Nicht nur ist Olympia 2 hübsch mausgrau lackiert. Sie besitzt auch einen 8-stelligen Dezimaltabulator mit Einzel- und Gesamtlöschung und ist wesentlich leichter zu tragen und zu bedienen als Olympia 1, der eine mechanische Anschlagshilfe fehlt.

Die Maße einer Olympia SG1 sind 42x33x23cm bei einem Gewicht von 16,08kg oder 45 Pfund (lbs.). Sie hat sich mittlerweise so großen Ruhm erworben, daß sie nicht nur in der Freiburger UB (siehe Bild), sondern auch im „Haus der Geschichte“ (im Internet unter dieser Adresse zu finden) ausgestellt wird.

Alle auf Typenträger-Mechanismen beruhenden Schreibmaschinen benötigen eine Antriebsenergie, um in Tätigkeit zu treten. Sie wird bei handbetriebenen (oder „mechanischen“) Schreibmaschinen nach DIN 2112 (wie die Olympia SG1) vom Benutzer durch Tastenanschlag geliefert, im Gegensatz zu Weicheier-Schreibmaschinen mit Kraftantrieb (z.B. elektrisch).

Zur letzteren Gattung gehört Gabriele (Typenbezeichnung: Gabriele 100DS), eine elektrische Koffer-Schreibmaschine der Marke TA Triumph-Adler mit beigefarbenem Gehäuse.

Bei der Produktion des Lichtwolf dient Gabriele wegen ihres modernen Typenrads als Aushilfs-Maschine für den Fall, daß keine andere frei ist oder ein Schreibender aus sonstigen (eigentlichen…) Gründen keine der beiden Olympias bedienen kann. Aber auch zur Niederschrift wichtiger, unbedingt leserlicher Texte wie dem Inhaltsverzeichnis usw. wird Gabriele benutzt. Nebenbei findet sie bei der Beschriftung von Karteikarten mit bibliographischen Angaben oder bei der Vertonung von Kriegsfilmen Verwendung. Gabriele wiegt mit 6,5 kg weniger als halb soviel wie eine Olympia SG1, besitzt aber einen Korrekturspeicher und viele automatische Funktionen wie: die automatische Korrektur von Tippfehlern, das Schreiben von Zahlenkolonnen, das Zentrieren von Texten, das automatische Unterstreichen usw.

Interessante Details zum Handbetrieb einer mechanischen Schreibmaschine liefert Dr. Ewald Jarz vom Institut für Wertprozessmanagement und Wirtschaftsinformatik in Innsbruck:

„Dazu [zum Handbetrieb] ist, je nach der Art der verwendeten Maschine, ob kleine, mittlere oder große, eine Anschlagarbeit von 250 bis 400cmp (p = pound = Krafteinheit) notwendig, wobei ein Tastentiefgang von 12 bis 17mm zu überwinden ist. Im Durchschnitt erfordert ein Tastenanschlag den Kraftaufwand von 50p. Bei einer Schreibleistung von etwa 50000 Anschlägen/Tag bewegt ein Schreiber mit seinen Fingern etwa 2,5t!“

Womit einmal mehr die alte Weisheit bewiesen wäre: Deutsche Sprache, schwere Sprache!

1 Gedanke zu „Die Schreibmaschine an sich und für uns“

Schreiben Sie einen Kommentar