heads and hands 2004 – Ethikum für sonntägliche Besinnung

Die nette Frau am Stand von Die Zeit und Junge Karriere hat sich leider nicht vorgestellt und es wurde auch versäumt, sie noch einmal nach ihrem Namen zu fragen (daher firmiert sie im Folgenden unter „Die Zeit“). Nichts desto trotz war es ein tolles Gespräch, das nur so überquillt vor Seitenhieben gegen den kapitalistischen Weltgeist und vor Anregungen für das Ausbildungsministerium.

von Timotheus Schneidegger, 19.05.2004, 10:58 Uhr (Dunkles Zeitalter)

 

(Gespräch am Stand von Die Zeit als MP3, ungefähr 8,37MB groß)

 

Lichtwolf: Wer sind Sie und warum sind Sie hier?

 

Die Zeit: Ich stehe mit den beiden Titeln Die Zeit und Junge Karriere und wir stehen hier nicht weil wir rekrutieren möchten, sondern weil wir unsere Titel vorstellen wollen als Stellenmärkte die interessant sind für den Bereich der Absolventen, der Studenten und der young professionals, die schon ein bis fünf Jahre Berufserfahrung haben.

 

Lichtwolf: Also haben Sie dieselbe Zielgruppe wie die ganze Messe hier?

 

Die Zeit: Ja, auf jeden Fall. Abgesehen davon sind wir Medienpartner dieser Messe.

 

Lichtwolf: Ach so, dann müssen Sie ja hier sein!

Was ist, würden Sie nach diesen paar Stunden sagen, der Studententyp, der hier bei Ihnen das Gespräch gesucht hat?

 

Die Zeit: Das sind sehr viele Fachbereiche gewesen, die in den letzten Semestern sind, kurz vorm Examen stehen oder jetzt bereits Examen gemacht haben, und die sich eben umgucken wollen, in welche Bereiche sie einsteigen können als trainee, eventuell sogar erstmal Praktikantenstellen anzutreten und auf der anderen Seite schon gleich den richtigen Schritt ins Berufsleben zu wagen.

 

Lichtwolf: Man hört sehr viel von Unternehmensphilosophie. Mit welchem Philosophen oder welcher Philosophie ganz konkret würden Sie Ihr Unternehmen, Ihre Branche identifizieren?

 

Die Zeit: Das ist schwierig zu sagen. Als Medienhaus, als große, bekannte, die älteste und größte deutsche Wochenzeitung sind wir natürlich mit ganz vielen Philosophen in Verbindung zu bringen. Da könnte ich im Grunde gar keinen einzigen nennen, weil die Zeit eigentlich auch für die Philosophie schlechthin steht.

 

Lichtwolf: Würde es in Ihren Augen Sinn machen, weiterhin die Beherrschung mindestens einer alten Sprache von den Philosophie-Studenten zu verlangen oder wäre es stattdessen besser, einen Hörerschein in Makroökonomie oder Urheberrecht von den Studenten zu verlangen, bevor sie zur Zwischenprüfung zugelassen werden?

Die Zeit: Für das Philosophie-Studium, in dem ich mich nun nicht so gut auskenne, ist es – denke ich – schon wichtig, eine alte Sprache mit dabeizuhaben, einfach auch um die philosophische Literatur in ihrer Gesamtheit besser zu erfassen. Auf der anderen Seite ist es natürlich sehr, sehr sinnvoll, bei einem Philosophie-Studium, das ja nicht praxisnahe angelegt ist, auf jeden Fall auch so einen ökonomischen sight mit dabeizuhaben.

Ich selber habe Geisteswissenschaften studiert, und habe neben meinen

geisteswissenschaftlichen Fächer Literatur und Geschichte auch BWL studiert. Nicht weil das mein absolutes Lieblingsfach war, sondern weil ich mir überlegt habe: Das ist wirklich was praktisches, was ich hinterher auch im Berufsleben gebrauchen kann.

 

Lichtwolf: Das machen viele, das ist sozusagen die Versicherung für das Berufsleben.

Ich habe gerade mit dem Herrn vom Arbeitsamt geredet, der sehr offen und frei heraus sagte, daß die Chancen für den klassischen Philosophie-Abgänger – 16 Semester studiert, 28 Jahre alt und ein Drittel seines Lebens nie wirklich gearbeitet – gleich null sind.

 

Die Zeit: Ich muß sagen, mit 28 Jahren sein Studium abzuschließen halte ich nicht für wahnsinnig jung, aber auch nicht für so dramatisch. Wenn ich neben meinem Studium, selbst der Philosophie, was in dem Sinne mit der Praxis nicht so viel zu tun hat, sinnvolle Praktika in meinen Semesterferien ausgewählt habe, sprich irgendwo gearbeitet habe, wo ich die Arbeitsrealität schon kennenlerne, dann wäre das ein sehr kluger Weg.

 

Lichtwolf: Also in den Semesterferien nicht arbeiten, um primär Geld zu verdienen, sondern um Qualifikationen zu erwerben?

 

Die Zeit: Man kann beides ja wunderbar verbinden.

 

Lichtwolf: Das stimmt.

 

Die Zeit: Ich habe in den Semesterferien auch Geld verdienen müssen, mir aber trotzdem immer Jobs gesucht, in denen ich Erfahrungen für das spätere Berufsleben sammeln konnte. Und wenn es erstmal nur als Sekretärin ist, wo man lernt richtig Briefe zu schreiben und wo man organisiert arbeitet.

Lichtwolf: Der Bachelorstudiengang Philosophie: Was sollte ein Student der Philosophie nach sechs Semestern können, um Chancen auf dem modernen Arbeitsmarkt zu haben?

 

Die Zeit: Er sollte eigentlich die Grundideen und Grundkenntnisse in Organisation, Wirtschaft und Marketing beherrschen (lacht). Also, um auf dem Arbeitsmarkt eine Chance zu haben, hilft es nicht unbedingt, viel über Kant und Hegel zu wissen, sondern da sollte man wissen: Wie bringe ich ein Produkt auf den Markt oder wie kann ich ein Produkt verkaufen…

 

Lichtwolf: …oder sich selbst.

 

Die Zeit: Sich selbst auf jeden Fall auch.

Ich denke, daneben sollte man auf jeden Fall auch ein bißchen ökonomische, praktische Ideen mitbringen.

 

Lichtwolf: Da ist es dann ein Problem, daß der Bachelorstudiengang zwar sehr praktisch angelegt sein wird, aber nicht mehr die klassischen Nebenfächer hat, wie Sie sie zum Beispiel auch studiert haben. Wo man also BWL ganz explizit als Nebenfach nehmen kann. Da wird es dann natürlich schwierig diese Qualifikationen zu erwerben, wenn die nicht recht eingebunden sind in das Studium, etwa in der Form, daß man philosophische Betrachtungen der ganzen Sache

anstellt, sagen wir indem man sich mit Marxens „Das Kapital“ auseinandersetzt.

 

Die Zeit: Philosophische Betrachtungsweisen auch der weltwirtschaftlichen Strukturen sind, denke ich, auch sehr wichtig in der heutigen Zeit, damit man ein Gegengewicht zu dem im Grunde sehr profitorientierten Denken und Handeln hinlegen kann. Auf der anderen Seite sind solche Überlegungen zwar wichtig, um diesem Profitstreben Einhalt zu gebieten – aber Geld verdienen kann man damit nicht.

 

Lichtwolf: Eine meiner Fragen war auch, ob sich Unternehmen vorstellen könnten, einen Betriebsphilosophen zu haben. Das Problem dabei ist, wie Sie gesagt haben, daß dieser Philosophie der Schalk im Nacken dieses Unternehmens wäre…

Die Zeit: Er wäre derjenige, der mit dem erhobenen Zeigefinger umhergeht und sagt: „Moment, das geht gegen die Rechte eurer Arbeitnehmer! Verdient lieber weniger, und habt mehr den moralischen Aspekt im Kopf!“

Und ich weiß nicht wie lange dieser Philosoph sich in einem Unternehmen halten könnte.

 

Lichtwolf: Es ist schwer vorstellbar, daß ein großes Unternehmen jemandem dafür Geld zahlen würde.

Die Idee war ganz einfach: Es gibt in vielen Unternehmen auch etriebspsychologen, und das soll erweitert werden, indem sich einer mit den Mitarbeitern über „Sein und Zeit“ oder Marcuses „Der eindimensionale Mensch“, darüber, was dort eigentlich das Problem ist, auseinandersetzt.

 

Die Zeit: Jeder sollte wirklich während seiner Arbeitsaktivitäten den philosophischen Ansatz mitbetrachten, das machen wahrscheinlich die wenigsten. Aber einfach um ein gesundes Gegengewicht zu schaffen.

 

Lichtwolf: Sie meinen die Philosophie-Studenten?

 

Die Zeit: Ja, aber eventuell auch denjenigen, der als Ökonom in einem Unternehmen tätig ist. Damit der auch mal, und wenn es am Sonntag auf seiner Couch ist, sich den philosophischen Aspekt noch einmal vor Augen führt. „Ist es das wirklich? Daß ich über Leichen gehe, um zum Ziel zu gelangen?“ Ich will jetzt nicht alle über den Kamm scheren, daß jeder Ökonom wirklich diesen Weg geht…

 

Lichtwolf: Klar.

 

Die Zeit: Es wird natürlich immer mehr von allen Seiten, von der Konkurrenz, dazu gedrängt, sich auszurichten. Da wäre ein erhobener Zeigefinger in einem Unternehmen gar nicht so schlecht.

Aber das ist sicher nicht die Berufsperspektive für den Philosophen heutzutage.

 

Lichtwolf: Es gäbe da die Idee, so wie Mediziner ihr Physikum absolvieren müssen, für alle anderen Studiengänge verpflichtend ein Ethikum einzuführen. Also ein oder zwei Scheine, die alle Studenten tatsächlich in der Philosophie belegen müssten, was dann – so die Hoffnung – den Yuppie in die Lage versetzen würde, am Sonntag mal kurz innezuhalten und sein Handeln zu reflektieren.

Die Zeit: Interessanter Gedanke. Den würde ich wahrscheinlich unterstützen, den sollte man vielleicht weiterverfolgen und in einige innovative Unternehmen hineintragen. Ich könnte mir vorstellen, daß sowas bestimmt auf offene Ohren stößt. Diesen Gedanken wird man nicht so umsetzen können, daß man einen Betriebsphilosophen hat, der in alle Abteilungen hineinhorcht und dann sagt „Moment, so geht das nicht!“. Aber einfach um das Bewußtsein dafür zu schärfen, was heute in dem ganzen Profitdenken verlorengegangen ist.

 

Dieses Dossier kostet im Gegensatz zu denen von Spiegel Online nichts und enthält folgendes:

heads and hands 2004 – Der Bericht

Interviews:

heads and hands 2004 – Fotogalerie

Einladung zum de-qualification Wochenendseminar des Lichtwolf (PDF-Datei, ungefähr 42,8KB groß)

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