Alles fließt – meistens weg

von Rawulf von Sar auf Etz, 29.06.2003, 16:17 Uhr (Dunkles Zeitalter)

Zufällig fiel mir neulich ein Firmenprospekt in die Hände, der eine „Philosophie“ des Unternehmens darstellte. Der erste Satz hat mir am meisten imponiert: „Wir verstehen uns als einen Prozeß zur Herstellung von Zufriedenheit bei internen und externen Kunden.“

Wenn man das nicht nur als Werbetextgeschwafel abwertet, sondern als Grundlage unseres Wirtschaftssystems auffaßt, dann kann man tatsächlich so etwas wie eine ökonomische Theorie darin lesen. Dazu entschlüsseln wir zunächst einmal den Text: Wir=Firma, Prozeß=Bewegung, interne Kunden=Aktionäre, externe Kunden=Käufer.

Dann lautet der Satz: Die Firma ist eine Bewegung zur Herstellung von Zufriedenheit bei Käufern und damit auch bei den Aktionären.

Interessant daran ist, daß hier in keiner Weise von Gewinn die Rede ist. Der Aktionär gewinnt nicht materiell, sondern ist zufrieden, wenn die Käufer zufrieden sind. Dann ist er bereit weiter in das Unternehmen zu investieren und damit geht die „Bewegung“ weiter. Dazu paßt, daß von „guten“ Unternehmen keine Gewinne mehr an die Aktionäre ausgeschüttet werden, sondern direkt wieder in den Prozeß investiert werden. Der Käufer erhält aber auch nur akzidentiell ein Produkt, sondern in Wahrheit „Zufriedenheit“ geliefert.

Daraus folgt zweierlei: Akkumulation wird nicht mehr materiell aufgefaßt, also muß ML revidiert werden. Außerdem kann die Firma, die nur reine Bewegung ist, keine Kapitalisten hat, auch jederzeit auf ihre Produktionshalle, Arbeiter und Kenntnisse verzichten, jede High-Tech-Firma könnte von Hannover nach Taipeh ziehen und plötzlich Joghurt herstellen, wenn es zu mehr Zufriedenheit bei den Kunden führt.

Wir sehen, das aus dem ganzen alle substantiell greifbaren Teile immer mehr entfernt werden, bis am Ende nur noch reine Bewegung zurückbleibt, die genauso Zufriedenheit herstellen könnte. Da wünscht man sich die guten alten Materialisten zurück.

Dummerweise hat das die Politik noch nicht erkannt – oder selbst wenn, dann kann sie vielleicht nicht anders. Denn kaum irgendwo entsteht noch eine Produktionsstätte, ohne daß Mittel des Landes oder Bundes dafür locker gemacht werden, zumindest gibt es eine Bürgschaft, für die wir alle haften. Das Problem dabei ist, daß unsere Wirtschaftspolitik in Produktionshalle, Produktionsstandorten, Beschäftigungszahlen und dem ganzen alten materialistischen Kategorien arbeitet, ihr Objekt, die Wirtschaft, sich aber völlig als Bewegung auslegt, die heute so und morgen völlig anders aussehen kann. Die tatsächlich vorhandenen Arbeiter in der tatsächlich vorhandenen Produktionshalle sind nur ein Posten in der Gesamtrechnung – kein sehr wichtiger.

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