Das Amt

Ein Fragment voller Hoffnung

von dr faustus, 11.02.2003, 12:50 Uhr (Dunkles Zeitalter)

Im Amt III

„Warum stören Sie?“ wurde K. an der Anmeldung des Amtes III von einer metallenen Stimme gefragt. K. sagte, daß er mit Frau D. sprechen muß. „Dann füllen Sie das Formular B14,e aus und reichen es ein.“

K. tat, wie ihm aufgetragen wurde.

Nach zwei Tagen erhielt er einen Brief vom Amt; ihm wurde mitgeteilt, daß er am nächsten Tag um 10.25 Uhr auf dem Amt III zu erscheinen habe. K. war pünktlich dort ? zu pünktlich: statt 10.25 Uhr schon zehn Minuten früher. Die Stimme an der Anmeldung hatte kein Erbarmen: „Sie sollen 10.25 Uhr da sein und nicht 10.15 Uhr. Warum geben wir Ihnen einen Termin? Damit sie erscheinen, wann es Ihnen paßt? Nein, Sie bringen alles durcheinander. Sie müssen Ihren Termin neu beantragen, hier ist das Formular!“

K. fügte sich.

Nach einer Woche erhielt er den neuen Termin. Dieses Mal erschien K. Punkt 14.50 Uhr im Amt. Die Stimme fragte: „Warum stören Sie?“. K. antwortete, daß er um 14.50 Uhr einen Termin bei Frau D. habe. „Warten Sie, dies wird geprüft.“ Zeit verging. Die Stimme meldete sich erneut: „Nein, das ist nicht wahr! Wenn Sie um 14.50 Uhr einen Termin hätten, dann wären Sie jetzt in Frau D.?s Büro ? Sie aber stehen hier. Sie lügen! Gehen Sie!“ Erbost, nahm K. das Schreiben zur Hand und hielt es in die Richtung, wo er eine Kamera vermutete. „Hier sehen Sie ? ich habe einen Termin, ich lüge nicht!“ Die Lautsprecher blieben stumm. K. studierte das Schreiben erneut und stellte fest, daß er um 14.50 Uhr im Amt III sein sollte; von einem Termin bei Frau D. war nichts zu lesen. Blaß sagte er, daß er sich geirrt hätte, daß es ihm leid täte. Die Stimme ertönte: „Wir wußten dies von Anfang an ? doch Sie wollten mit uns diskutierten. Dafür haben wir kein Verständnis! – Sie kennen das Formular B14,e. Gehen Sie!“

Zwei Wochen später war K. erneut auf dem Amt. Pünktlich. Dieses Mal wußte er, daß er keinen Termin bei Frau D. hat. Also antwortete er auf die erniedrigende Frage, daß er einen Termin hat und da ist. „Gut, warten Sie.“ K. wartete. Aus den Lautsprechern meldete sich eine tiefere und energischere Stimme. K. hatte eine weitere Instanz überwunden. „Warum stören Sie?“ K. antwortete, daß er einen Termin bei Frau D. haben muß. „Einen Termin bei Frau D.? Dann füllen Sie die Anträge B24,g und C45,h aus und reichen diese ein.“

Frau D.

Pünktlich und eingeschüchtert fand er den Weg zu Frau D. ? er wurde vorgelassen. Da saß sie – groß, glatzköpfig und imposant – hinter einem riesigen Schreibtisch, welcher leer war. Ihm wurde ein Platz angewiesen. „Warum stören Sie?“ donnerte Ihre Stimme. K. faßte seinen Mut zusammen und antwortete: „Ich will kündigen!“

„Dann füllen Sie die Anträge J6,3 und G4,z doppelt aus und reichen jeweils den einen bei Herrn J. im Amt IV und den anderen bei Herrn T. im Amt XI persönlich ein! ? Sie sind hier fertig ? Gehen Sie!“

Im Amt II

K. bekam einen Brief vom Amt. Seit Tagen wartetet er darauf. Mit wenigen Wörtern wurde ihm mitgeteilt, daß er am nächsten Dienstag um 13.40 Uhr auf dem Amt II zu erscheinen habe.

Die Lautsprecher an der Anmeldung wiesen ihn an, zu Herrn L. ins Zimmer 332 im 5. Stock zu gehen. K gehorchte ? er suchte den Fahrstuhl und fand diesen mit einem Schild „Für Antragsteller verboten!“ versehen. Also nahm er das Treppenhaus und stieg in den 5. Stock hinauf. Das Zimmer 332 fand er nicht. Es gab 331 und 333 ? beide von Herrn L. belegt. Da er weder wußte zu welchen Herrn L. er zu gehen hat noch ob er überhaupt zu einen von beiden zu gehen hat, lief er zurück zur Anmeldung. „Warum stören Sie?“ K. erwiderte, daß es das Zimmer 332 nicht gibt. „Wir irren nicht! Zimmer 332 befindet sich im 5. Stock!“ Wieder die Treppe hinauf, suchte K. das gesamte Stockwerk ab ? das Zimmer konnte er nicht finden. Schließlich klopfte er bei Zimmer 331 an. „Warum stören Sie?“ „Ich muß zu Herrn L. im Zimmer 332, können Sie mir helfen?“ „Das ist Zimmer 331 ? Können Sie nicht lesen ? Sie sind hier falsch, gehen Sie!“ Das Gleiche widerfuhr ihm als er an der anderen Tür klopfte. K. saß im 5. Stock und wußte nicht weiter. Dann ertönte eine Stimme aus den Lautsprechern: „Herr K., Gehen Sie! Herr L. hat jetzt keine Zeit mehr für Sie!“

Frau K.

K. kam nach Hause. Seine Frau erwartete ihn bereits ungeduldig an der Tür. „Wo warst Du solange? Hast Du mit Herrn L. gesprochen?“ K. war müde und hatte keine Lust auf eine müßige Diskussion. „Ich habe ihn nicht finden können!“

„Wie nicht finden können? Wie kann man jemanden dort nicht finden, wenn man einen Termin mit ihm hat? Das geht nicht!“ Er schaute sie rücksichtsvoll an, sie hatte erst wenig Erfahrung mit dem Amt, glaubte noch an das System und die Ordnung, die es einst repräsentiert hat. „Denk‘ darüber nicht nach ? ich werde es wieder versuchen. Für heute bin ich fertig.“

„Nein, das kann nicht sein ? Du willst gar nicht kündigen, das sind alles Ausreden, weil Du dort weiter arbeiten möchtest.“, und dann fragte sie ? nicht ohne Häme: „Was willst Du machen?“ K. sagte kopfschüttelnd, daß er es nicht wisse. „Es ist jedesmal dasselbe mit Dir, Du kommst spät nach Hause und hast nichts erreicht. Ich habe es satt ? Wie lange soll denn das noch so weiter gehen?“ K. verspürte keinen Zorn; nach den Jahren auf und mit dem Amt hatte er gelernt hinzunehmen. In diesen Momenten bereute er manchmal, sie geheiratet zu haben, aber eine Trennung oder gar Scheidung war von Amts wegen ausgeschlossen. „Reg dich nicht auf, es ist sinnlos.“ K. nahm seine junge Frau in seine Arme, drückte ihre zierliche Figur an sich und streichelte ihren Rücken, um sie zu beruhigen.

„Ich werde gekündigt werden!, flüsterte er ihr beschwörend ins Ohr.

Zimmer 332

Wieder war K. auf dem Amt, wieder hatte er einen Termin bei Herrn L. im Zimmer 332 und wieder fand er ihn nicht. Aber K. wußte, daß Herr L. hier sein mußte, schließlich log das Amt nie.

Er ging hinab zur Anmeldung, nachdem er erneut den 5. Stock abgesucht hatte, und beantragte einen Termin bei Herrn L. im Zimmer 331 ? vielleicht konnte dieser ihm weiterhelfen.

Drei Wochen später bekam er den Termin; K. war pünktlich dort. Als er im 5. Stock ankam, mußte er feststellen, daß es Zimmer 331 nicht gab ? statt dessen fand er nun das Zimmer 332.

Das Bett

„Warum stören Sie?“ Die Frau vor dem Schreibtisch verlangte K.’s Antwort. K. stammelte, daß er seine Akte für den Antrag G4,z benötigt. „Sie wollen einen Antrag G4,z stellen? Wie alt sind Sie? Sind Sie verheiratet? Wann hatten Sie Ihren letzten Geschlechtsakt?“ K., ziemlich verwirrt und sichtlich peinlich berührt, gab an, daß er 35 Jahre alt und seit 8 Monaten verheiratet sei. Mit knallrotem Kopf flüsterte er, daß er seit seiner Hochzeitsnacht keinen Sex mehr hatte. Die Frau blühte förmlich auf, gierig schaute sie auf K.’s Hose.

„Ich gebe Ihnen die Akte, wenn Sie sich mir hingeben!“ K. hoffte, daß er zu verspannt sei, um ihre Wünsche zu erfüllen. Doch die Frau sprang ihn an, plötzlich war sie voller Leidenschaft, sie küßte K., sie streichelte ihn, sie verführte ihn, zog ihn in den Raum hinter ihrem Büro ? dort stand das Bett zweckmäßig ? und riß ihm seine Kleider vom Leib. K. konnte sich nicht wehren, durfte sich nicht wehren. Gab seinen Widerstand auf. Dieser Frau ? nackt ? auf diesem Bett konnte kein Antragsteller je entkommen. Gierig und willig öffnete sie ihre Beine ? K. stand ebenso entzündet im Raum. Er ließ sich fallen, das erste Mal, seitdem er den Entschluß gefaßt hatte zu kündigen. K. genoß es ?zögerte es heraus und nahm sie dann im Sturm, während sie voller Geilheit stöhnte.

Sie saß ihm wieder gegenüber hinter dem Schreibtisch, zugeknöpft, als wäre nichts geschehen. „Ich werde Ihnen die Unterlagen zuschicken. Gehen Sie jetzt!“

Amt XI und der Alte Mann

K. mußte zu Herrn T. im Amt XI; den Antrag hatte dabei, inklusive der nötigen Unterlagen, doch er wußte nicht, wohin er gehen sollte. Niemand sagte es ihm. Keiner, den er fragen könnte. K. stand vor dem Amt X, als ein alter Mann mit grauen Haaren und Anzug vorbei kam. K. sprach ihn an. Die Antwort überraschte ihn nicht: „Das Amt XI? Das wird erst dieses Jahr gebaut werden. Dann dürfte es dort stehen!“, er wies vage in die Gegend. „Was willst du denn dort?“ K. klärte ihn über seinen Antrag und den Auftrag von Frau D. auf. Der alte Mann lächelte schwach: „Bei mir war es damals das Amt VI, das noch nicht stand… Viel Glück.“ Der alte Mann ging und ließ K. ? auf das Amt XI wartend ? stehen.

Pension

K. war inzwischen ein alter Mann geworden ? er mußte nur noch ein paar Monate arbeiten, dann konnte er ? finanziell abgesichert ? in Pension gehen. K. ist in den vergangen Jahren zum Bearbeiter der R,3t und T3,f Anträge geworden. Manche im Amt XVI beneideten ihn ob seiner Machtfülle und Autorität.

Drei Wochen vor seinem letzten Arbeitstag erhielt er einen Brief vom Amt. Ihm wurde mitgeteilt, daß man seine Kündigung mit sofortiger Wirkung annahm. Mit der Kündigung waren all seine Pensionsansprüche dahin.

K. wurde kreidebleich und ging.

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